Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Gerhard Wettig

 

SVAG i formirovanie partijno-političeskoj sistemy v Sovetskoj zone okkupacii Ger­manii 1945–1949. Sbornik dokumentov v dvuch tomach. Hrsg. von V. V. Za­cha­rov / N. Katcer / M. Ul. Moskva: Rosspėn, 2014. T. 1: 1207 S., Tab.; T. 2: 1150 S., Tab. = Sovetskaja voennaja administracija v Germanii, 1945–1949. ISBN: 978-5-8243-1907-1.

Die vom Deutschen Historischen Institut Moskau zusammen mit dem Kulturministerium der Russländischen Föderation, der Föderalen Archivagentur und dem Staatsarchiv der Russländischen Föderation (GARF) herausgegebene Dokumentation über die zentrale wie regionale Tätigkeit der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) bis zur Gründung der DDR beruht auf – detailliert aufgelisteten – freigegebenen Teilbeständen vor allem des GARF, daneben des Russländischen Staatsarchivs für sozial-politische Geschichte (RGASPI). Die beiden Bände, deren SMAD-Dokumente vor allem interne Arbeits- und Lageberichte sowie Weisungen an deutsche Stellen, dazu Per­sonenbeurteilungen umfassen, ergänzen die bisher auf russisch oder deutsch erschienenen Publikationen von SMAD-Akten: die aus einem Projekt der Gemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen hervorgegangenen Bände (N. V. Petrov [Hrsg.]: Sovetskaja voennaja administracija 1945–1949. SVAG i nemeckie organy samoupravlenija 1945–1949. Sbornik dokumentov. Moskva 2006; N. V. Petrov [Hrsg.]: Sovetskaja voennaja administracija 1945–1949. Politika SVGA v oblasti kul’tury, nauki i obrazovanija 1945–1949. Moskva 2006; Ja. Fojtcik / T. V. Carevskaja-Djakina / A. V. Doronin [Hrsg.]: Sovetskaja voennaja administracija 1945–1949. Spravočnik. Moskva 2009; Jan Foitzik [Hrsg.]: Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944–1954. Dokumente. München 2012) und eine Veröffentlichung des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung e.V. in Dresden (Gerhard Wettig [Hrsg.]: Der Tjul’panov-Bericht. Sowjetische Besatzungspolitik in Deutsch­land nach dem Zweiten Weltkrieg. Göttingen 2012).

Die SMAD hatte den ausdrücklichen Auftrag, die Bevölkerung für die Ziele der UdSSR und die dazu eingeleiteten Maßnahmen zu gewinnen. Welcher Art diese Bemühungen waren, geht vor allem aus den Berichten der regionalen Organe an die am 23. Oktober 1945 eingerichtete und am 2. November mit detaillierten Weisungen versehene Verwaltung für Propaganda von Oberst Tjul’panov hervor, die für Agitation, Medien, Zensur und Kultur sowie weitere politikrelevante Angelegenheiten, namentlich den Aufbau, die Lenkung und die Kontrolle der Parteien zuständig war. Dabei differenzierte sie zwischen den Kommunisten, die aufgrund der ihnen zugewiesenen Führungsfunktion alle öffentlichen Äußerungen vorab genehmigen lassen mussten, und den anderen Akteuren, die nur für ihre Beschlusstexte der vorherigen Zustimmung bedurften, weil ihre Stellungnahmen – anders als die der KPD/SED – keine Leitfunktion hatten. Der exklusive Quellenwert der vorliegenden Dokumentation liegt darin, dass die abgedruckten Unterlagen das auf fundamentale Systemveränderung abzielende Vorgehen der SMAD in allen Einzelheiten vor Ort zeigen, das in den anderswo publizierten Berichten an den Kreml nur summarisch behandelt wird. Insofern handelt es sich um eine einzigartige, durch nichts zu ersetzende Edition.

In Einleitungen legen V. V. Zacharov (russisch) sowie Nikolaus Katzer und Matthias Uhl (auf russisch und deutsch) dar, dass die UdSSR aufgrund ihrer zunächst alleinigen Präsenz in der deutschen Hauptstadt Berlin Maßnahmen mit dem Ziel traf, bestimmenden Einfluss auf das ganze Land, also auch auf die Zonen der anderen Besatzungsmächte, auszuüben. Sie etablierte neue Partei- und Verwaltungsstrukturen und besetzte sie mit KPD-Kadern, die in Moskau sozialisiert und geschult worden waren. Diese hatten die ihnen übertragenen Positionen dazu zu benutzen, den Willen der sowjetischen Seite in Beschlüsse der jeweiligen Gremien der deutschen „Selbstverwaltung“ zu transformieren. Gewährleistet werden sollte dies zum einen durch die „führende Rolle“ der kommunistischen Partei und zum anderen durch die den Parteien auferlegte Verpflichtung zu einheitlichen Voten, die keine Entscheidung ohne die KPD zuließ. Wenn der Kreml eine Maßnahme ins Auge gefasst hatte, unterrichteten seine Behörden zuerst die kommunistischen Mitglieder des zuständigen Gremiums darüber, was zu beschließen sei; diese unterbreiteten dann den Vertretern der anderen Parteien den entsprechenden Vorschlag und bestanden darauf, dass nichts anderes für sie in Betracht komme. Äußerstenfalls erklärten sie, die Besatzungsmacht stehe dahinter und könnte ein Nein mit Konsequenzen beantworten. Als die Führungsrolle der KPD zunehmend in Frage stand, weil die SPD entgegen Moskauer Erwartung auf weit größere Zustimmung stieß, wurde gemäß Tjul’panovs Ersuchen bei Stalin die Gefahr durch die Zwangsfusion zur kommunistisch dominierten SED ausgeschaltet.

Den einleitenden knappen Ausführungen der Herausgeber und den ausgewählten Dokumenten ist die sowjetische Absicht zu entnehmen, durch die in Berlin eingeleiteten Maßnahmen die Entwicklung in ganz Deutschland zu bestimmen. Auch wird der Import der ersten KPD-Kader aus dem Moskauer Exil durch Listen belegt, doch bleibt die Schlussfolgerung, dass die unter ihrer Anleitung von den Organen der deutschen „Selbstverwaltung“ gefassten Beschlüsse im Kreml formuliert wurden, dem Leser überlassen. Es ist lediglich davon die Rede, dass die ostdeutschen Entscheidung der Zustimmung der Besatzungsmacht bedurften, was nach der bedingungslosen Kapitulation und der Übernahme der „obersten Gewalt“ durch die Sieger ohnehin selbstverständlich war. Damit bleibt unausgesprochen, dass es in der Sowjetzone von vornherein ein Okkupationsregime besonderer Art gab mit der Konsequenz, dass dort völlig andere, nicht von der Bevölkerungsmehrheit bejahte politische Verhältnisse entstanden. Anders als Katzer und Uhl erklären, gab es dort nie einen „Raum für demokratische und reformatorische Ansätze“. Sie widersprechen selbst der dem Leser vermittelten Vorstellung, dass dies zunächst der Fall gewesen und nur durch spätere Entwicklungen verhindert worden sei, denn sie lassen keinen Zweifel daran, dass die Vorstellungen von Demokratie im Westen und in der UdSSR total gegensätzlich waren. Wenn die sowjetische Seite vom Erfordernis der „demokratischen“ Neuordnung in Deutschland sprach, meinte sie natürlich nicht das totale Gegenteil dessen, was sie sonst darunter verstand, und die genauere Analyse der eingeleiteten Maßnahmen zeigt, dass die kommunistische Parteidiktatur von Anfang an als Endstadium anvisiert worden war. Gemäß der von Stalin als nötig bezeichneten „Mimikry“ (Stalin im Gespräch mit der SED-Führung, 18.12.1948, in: Jochen P. Lau­fer / Georgij P. Kynin [Hrsg.]: Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1949. Dokumente aus russischen Archiven. Bd. 4. Berlin 2012, S. 209–231, hier S. 213–214, 218–219) wurde der Demokratiebegriff bewusst zur Täuschung der Bevölkerung und des Westens verwendet.

Zacharov glaubt, die UdSSR habe zu Anfang, als sie mit den Westmächten noch nicht gebrochen hatte und auf ein auskömmliches Verhältnis vor allem zu den USA Wert legte, eine „Finnlandisierung“ Deutschlands beabsichtigt. Das verkennt die Verschiedenheit der Situation und der damit verbundenen sowjetischen Handlungsmöglichkeiten. In Finnland war im Spätherbst 1939 der Versuch gescheitert, eine aus Kadern der Moskauer Exil-KP bestehende Sowjetregierung zu etablieren. Die Rote Armee traf auf erbitterten Widerstand, der sie erst nach langem Winterkrieg die Oberhand gewinnen ließ. Da weiterhin heftige Kämpfe zu erwarten waren und überdies eine britische Intervention drohte, war Stalin zu einem Friedensschluss bereit, der den Finnen zwar große Opfer abverlangte, ihnen aber Besetzung und Einbeziehung in die UdSSR ersparte. Im Frühherbst 1944 gab es einen Waffenstillstand zu ebensolchen Konditionen, denn es ging dem Kreml darum, die Truppen für den Vorstoß nach Berlin freizubekommen und Schwierigkeiten im Verhältnis zu London zu vermeiden. Daher waren die Finnen stets Herren auf dem ihnen verbliebenen Territorium, hatten keine kommunistischen Statthalter aus Moskau und nur eine sowjetisch dominierte Kontrollkommission ohne Truppen im Lande und behielten ihr demokratisches System. Ganz anders war die Lage in Deutschland, das sich den Siegern bedingungslos ergeben hatte, von diesen vollständig besetzt worden war und nach übereinstimmender Ansicht einer grundlegenden Veränderung im Innern unterworfen werden sollte, damit das verbrecherische NS-Regime mit Stumpf und Stiel ausgerottet würde. Damit boten sich Stalin optimale Möglichkeiten und Begründungen für eine „demokratische“ Systemtransformation in seinem Sinne. Zugleich war sein Interesse an Deutschland ungleich größer. Dieses lag – anders als Finnland – nicht am Rand, sondern in der Mitte Europas, hatte mithin entscheidende geostrategische Bedeutung und war auch aufgrund seines Potenzials viel wichtiger.

Die thematische Ausrichtung der Dokumentation auf die innenpolitischen Verhältnisse, vor allem das Parteiensystem, in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) hat zur Folge, dass weiterreichende Vorgänge, etwa der sich entwickelnde Ost-West-Konflikt oder auch die Interaktion zwischen Ost-Berlin (SMAD und SED-Führung) und Moskau (einschließlich Stalins als höchster „Instancija“) unbeachtet blieben. Folglich wird das – keineswegs voll mit dem größeren Kontext übereinstimmende – Innengeschehen der Gliederung in Zeitabschnitte zugrunde gelegt. Als entscheidende Zäsur, die vom anfänglichen Bemühen um eine zumindest formelle Vier-Mächte-Kooperation zum offenen Bruch zwischen der UdSSR und dem Westen führte, gilt daher die Jahreswende 1946/47, als sich der Kurs in der SBZ angesichts der Bildung der amerikanisch-britischen Bizone verschärfte. Es stellt sich aber die Frage, ob der Rubikon der Rücksichtnahme auf die westlichen Okkupationspartner nicht schon Ende April 1946 mit der Zwangsvereinigung zur SED überschritten war. Zudem erklärte der Kreml schon seit den Ausführungen Molotovs auf der Pariser Vier-Mächte-Konferenz Mitte 1946, die Westmächte seien aufgrund des Potsdamer Abkommens vom Sommer 1945 in ihren Zonen zur gleichen Besatzungspolitik verpflichtet wie in der SBZ. Wenn sie dem Ansinnen nicht folgten, waren sie demnach unausgesprochen vertragsbrüchig. Ungeachtet solcher Konflikte, kam es zum offenen Bruch erst, als, was ebenfalls unerwähnt bleibt, Stalin im Juni 1947 auf das US-Angebot der Marshall-Plan-Hilfe an die europäischen Länder (auch die UdSSR) mit heftiger Feindseligkeit reagierte.

Aus der Entscheidung der Herausgeber, den Blick ausschließlich auf das Innenleben der SBZ zu richten, ergeben sich weitere Einschränkungen, die bei der Lektüre zu berücksichtigen sind. Zwar ist in den Dokumenten über die ersten Maßnahmen im eroberten Berlin zu Recht vom sowjetischen Bemühen die Rede, die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen, doch fehlt die Information, dass deswegen weite Gebiete der Hungersnot ausgeliefert wurden. Aus der Sicht des Kremls war es nötig, am politischen Zentrum günstige Handlungsbedingungen zu haben; die anderen Regionen schienen unwichtig. Außer Betracht bleibt weiter, dass Stalin noch auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 von den Briten und Amerikanern konkrete Schritte zur Zerstückelung Deutschlands forderte und von diesem Verlangen erst Ende März abrückte, als die Eroberung Berlins durch seine Truppen sicher war. Daher erscheint die UdSSR zu Unrecht als die Macht, die sich stets gegen alle Widerstände für die deutsche Einheit eingesetzt hat. Weithin fehlen Hinweise auf das Geschehen im politischen Umfeld, das die Entwicklungen in der SBZ stark bestimmte: etwa die Orientierungsgespräche bei Stalin (Juni 1945, Januar 1947, März und Dezember 1948) oder die hoffnungsvoll eingeleitete, dann aber gescheiterte Blockade West-Berlins 1948/49. Auch die Tätigkeit der Organe des sowjetisch organisierten und gesteuerten 2. Volkskongresses hätte Beachtung verdient: Sie führte zur Proklamation der DDR und diente der Rechtfertigung ihres gesamtdeutschen Anspruchs.

Insgesamt leistet die Dokumentation einen substanziellen, durch andere Quellenwerke nicht ersetzbaren Beitrag zur Erforschung der sowjetischen Besatzungspolitik in der SBZ. Die Fokussierung auf die intrazonalen Aspekte ist dabei von Vorteil, denn sie ermöglicht einen genauen Einblick in das konkrete Vorgehen vor Ort, aber auch von Nachteil, denn daraus allein ergibt sich kein vollständiges Bild. Dieses kommt nur dann zustande, wenn man die anderswo verfügbare Evidenz hinzunimmt.

Gerhard Wettig, Kommen

Zitierweise: Gerhard Wettig über: SVAG i formirovanie partijno-političeskoj sistemy v Sovetskoj zone okkupacii Ger­manii 1945–1949. Sbornik dokumentov v dvuch tomach. Hrsg. von V. V. Za­cha­rov / N. Katcer / M. Ul’. Moskva: Rosspėn, 2014. T. 1: 1207 S., Tab.; T. 2: 1150 S., Tab. = Sovetskaja voennaja administracija v Germanii, 1945–1949. ISBN: 978-5-8243-1907-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wettig_Zacharov_SVAG.html (Datum des Seitenbesuchs)

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