Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Gerhard Wettig

 

Transcending the Cold War. Summits, Statecraft, and the Dissolution of Bipolarity in Europe, 1970–1990. Ed. by Kristina Spohr / David Reynolds. Oxford, New York: Oxford University Press, 2016. XIV, 274 S., 16 Abb. ISBN: 978-0-19-872750-7.

Inhaltsverzeichnis:

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Nach einer einleitenden Zusammenfassung der Herausgeber stellt der Sammelband zunächst das erste Tauwetter des Kalten Krieges in den frühen siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts dar: die Monologe auf den beiden Treffen von Bundeskanzler Willy Brandt mit DDR-Ministerpräsident Willi Stoph in Erfurt und Kassel 1970 (Benedikt Schoenborn und Gottfried Niedhart) sowie die Umwandlung der Ost-West-Konfrontation in ein Dreiecksverhältnis durch die Gespräche, die Präsident Richard Nixon 1972 zuerst in Beijing (Yafeng Xia und Chris Tudda) und dann in Moskau (James Cameron) führte. Die Verhandlungen auf der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1972–1975 waren von sehr unterschiedlichen Absichten bestimmt und führten zwar zu umfassenden Vereinbarungen, weil Kremlchef Leonid Brežnev eine Übereinkunft unbedingt wollte, zog aber Dissens und Streit nach sich, weil er die daraus für die kommunistischen Regime erwachsenden Probleme unterschätzt hatte (Michael Cotey Morgan und Daniel Sargent). Während die Westeuropäer die Chance der Durchsetzung ihrer Wertvorstellungen mit Unterstützung der Neutralen entschlossen nutzten, ließen sich die USA nur mit Mühe von ihren Verbündeten zum Mitziehen bewegen. Ihre skeptische bis ablehnende Haltung schlägt stellenweise auf die Darstellung des Bandes durch – anders als in der (überaus instruktiven) Darstellung der Vorgänge durch den hohen US-Diplomaten, der maßgeblich dazu beitrug, Washington bei der Stange zu halten (John J. Maresca: Helsinki Revisited. A Key U.S. Negotiator’s Memoirs on the Development of the CSCE into the OSCE. Stuttgart 2014, hier S. 11–135). Der neu aufflammende Konflikt veranlasste Ende der siebziger Jahre die USA, Großbritannien, Frankreich und die Bundesrepublik zu einer Serie von Gipfelkonferenzen (Kristina Spohr und David Reynolds).

Erst als Michail Gorbačëv der UdSSR eine grundsätzlich neue Richtung gab, konnte der Kalte Krieg beendet werden. Wie Schoenborn und Niedhart meinen, wurden die Voraussetzungen dafür durch die – von Egon Bahr konzipierte – Ostpolitik Brandts geschaffen. Eine Analyse der historischen Vorgänge ergibt ein anderes Bild. Dem Beschluss des sowjetischen Politbüros, Gorbačëv an die Spitze zu stellen, lag keineswegs die Absicht zugrunde, auf westliche bzw. westdeutsche Entspannungsbereitschaft einzugehen. Nach den acht Jahren, in denen alte und kranke Partei- und Staatschefs nicht mehr kraftvoll zu führen vermocht hatten, sollte endlich ein jüngerer Mann das Ruder übernehmen, der im Innern wie nach außen, wo man sich im „zweiten Kalten Krieg“ des Nachrüstungsstreits befand, energisch zu handeln vermochte. Der neue Generalsekretär stimmte voll mit dieser konfrontativen Ausrichtung überein, wie sich etwa im August 1984 beim Veto gegen den Besuch von DDR-Chef Erich Honecker in der Bundesrepublik gezeigt hatte. Nicht zufällig setzte sich Gromyko, der die alte Linie wie kaum ein anderer verkörperte, nachdrücklich für ihn ein.

Die Entscheidung für ein „neues Denken“ kam erst hinterher – und zwar nicht, weil Gorbačëv durch irgendeine Entspannungspolitik im Westen dazu bewogen worden wäre, sondern weil im Gegenteil die Konfrontation ein unerträglich scheinendes Ausmaß erreicht hatte. Er wurde in die militärischen Geheimnisse eingeweiht und erfuhr, dass die Leitungszentrale des Landes, Moskau, im Kriegsfalle ohne Schutz wäre. Denn die Pershing 2, die von der NATO in der Bundesrepublik als Gegengewicht zur sowjetischen SS-20 stationiert wurde, lasse sich wegen ihrer kurzen Flugzeit nicht abwehren. Daraus zog er den Schluss, wenn Sicherheit nicht gegen den Westen zu gewährleisten sei, müsse sie zusammen mit diesem mittels Übereinkunft hergestellt werden. Das zog eine generelle Haltungsänderung nach sich. Nicht nur verhandelte Gorbačëv mit den USA über eine Beseitigung der Pershing 2 und der anderen westlichen Nachrüstungsraketen, wofür er Ende 1987 vertraglich auf die weit zahlreicheren eigenen INF-Systeme verzichtete (Jonathan Hunt und David Reynolds). Er ging auch von der sowjetischen Offensivplanung auf dem europäischen Schauplatz ab, indem er eine Verteidigungsstrategie durchsetzte; er ließ die „Brežnev-Doktrin“ fallen, die keine Abweichungen vom alten Herrschaftsmodell der UdSSR erlaubte, und befürwortete Reformen, die das innere und äußere Imperium dem demokratischen System des Westens annäherten.

Demgemäß engagierte sich Gorbačëv für den politischen Wandel in Ostmitteleuropa, wie er 1989 in Beijing gegenüber Deng Xiaoping und beim Treffen vor Malta gegenüber Präsdent George W. H. Bush deutlich machte (Jeffrey A. Engel und Sergey Radchen­ko). Die dadurch veränderte Lage bewog ihn schließlich dazu, nicht nur der deutschen Vereinigung, sondern sogar dem Verbleib der vergrößerten Bundesrepublik in der NATO zuzustimmen (Kristina Spohr). Diese Entwicklung war gegenläufig zu der Haltung, welche die Initiatoren der Bonner Ostpolitik in den achtziger Jahren einnahmen: Sie gaben ihre Absicht auf, auf die Überwindung des Status quo hinzuarbeiten, um damit die Wiedervereinigung zu erreichen. Während Brandt nach dem Fall der Berliner Mauer zum früheren Standpunkt zurückkehrte, beschwor Bahr den KPdSU-Sekretär Valentin Falin am 21. November 1989, die DDR vor der Vereinigung mit der Bundesrepublik zu retten (Abdruck des Gesprächs in: Der Kreml und die Wende 1989. Hrsg. von Stefan Karner [u.a.]. Innsbruck 2014, S. 515–520).

Die Aufsätze des Sammelbandes beruhen auf guten Quellen der jeweils einschlägigen Provenienz, stellen eingehend die Vorgeschichte dar und bieten zuverlässige Analysen der geschehensbeeinflussenden Umstände und der die Akteure bestimmenden Motivationen und Zielvorstellungen. Die Ausführungen sind klar und konzentrieren sich auf die wesentlichen Tatbestände, so dass ermüdende Aufzählungen vermieden werden. Den Autoren kann eine genaue Kenntnis ihrer Thematik bescheinigt werden. Insgesamt sind dies Ausführungen, die wichtige Aspekte der Überwindung des Kalten Krieges beleuchten und sowohl von Fachkennern als auch von erstmals damit befassten Studenten oder interessierten Laien mit Gewinn zu lesen sind.

Gerhard Wettig, Kommen

Zitierweise: Gerhard Wettig über: Transcending the Cold War. Summits, Statecraft, and the Dissolution of Bipolarity in Europe, 1970–1990. Ed. by Kristina Spohr and David Reynolds. Oxford, New York: Oxford University Press, 2016. XIV, 274 S., 16 Abb. ISBN: 978-0-19-872750-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wettig_Spohr_Transcending_the_Cold_War.html (Datum des Seitenbesuchs)

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