Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Gerhard Wettig

 

John J. Maresca: Helsinki Revisited. A Key U.S. Negotiator’s Memoirs on the Development of the CSCE into the OSCE. With a foreword by Hafiz Pashayev. Stuttgart: Ibidem, 2016. X, 272 S., 2 Ktn., Abb. = Soviet and Post-Soviet Politics and Society, 150. ISBN: 978-3-8382-0852-7.

Der KSZE-Prozess war ein zentrales Moment der Entspannung der Ost-West-Beziehungen, die in der Gorbačev-Zeit kulminierte. Maresca war als maßgeblicher US-Diplomat von Anfang an beteiligt und kann sich zu Recht als der Amerikaner mit der genauesten Kenntnis der Verhandlungen betrachten. In den vorliegenden Erinnerungen geht es freilich nicht darum, wie einzelne Probleme erörtert und geregelt wurden, sondern um die großen Zusammenhänge, die den Verlauf und die Ergebnisse bestimmten. Ebenso werden die Arbeitsweise der Unterhändler, die zwischen ihnen sich entwickelnde Atmosphäre, die Einwirkungen von außen und nicht zuletzt auch die für Marescas Tätigkeit wichtigen Entwicklungen in Washington deutlich. In allen diesen Hinsichten ergeben sich für die Forschung bedeutsame Eindrücke und Einsichten.

Der Ausgangspunkt im Westen war der Harmel-Bericht 1967 mit dem folgenden Beschluss der NATO, die Verteidigung durch Entspannung zu ergänzen. Für die im Blick darauf ins Auge gefassten Verhandlungen mit den östlichen Staaten arbeiteten Gremien der Allianz Vereinbarungsvorschläge aus. Als die UdSSR zu erkennen gab, dass sie die Gespräche nicht von Bündnis zu Bündnis führen wollte, sondern der Einladung der finnischen Regierung zu einer Europa-Konferenz unter Einschluss der neutralen und nichtgebundenen Länder den Vorzug gab, verfügte man daher auf westlicher Seite schon über gemeinsam formulierte Entwürfe. Daher war es nicht problematisch, dass die US-Regierung ihrer Delegation mangels Interesse an den Verhandlungen keine Instruktionen gab, sondern eher vorteilhaft. Auf der zuvor geschaffenen Grundlage konnte Maresca, obwohl er als noch junger Diplomat keinen hohen Rang hatte, eigenverantwortlich entscheiden, ohne dass ihm möglicherweise anders ausgerichtete Washingtoner Bestrebungen in die Quere kamen. Da er die erörterten Fragen als Sache vor allem der Europäer betrachtete, ließ er den dortigen Verbündeten den Vortritt, hielt seine Stellungnahmen zurück und gab seine Unterstützung nur dann zu erkennen, wenn dies einmal erforderlich schien. Das stellte nicht nur die Westeuropäer zufrieden, sondern erlaubte es auch der Sowjetunion, den Vorschlägen mit weniger Vorurteilen zu begegnen, als wenn sie von der Führungsmacht der anderen Seite gekommen wären. Für Kenner der Verhandlungen auf der KSZE wird aufgrund der Ausführungen Marescas klar, wieso die neun Staaten der Europäischen Gemeinschaft so hervorragend koordiniert agierten, weithin nicht nur mit den westlich orientierten Neutralen, sondern auch mit Nichtgebundenen und zuweilen sogar mit Osteuropäern zusammenarbeiten konnten und insgesamt eine maßgebende Rolle spielten.

Brežnev hatte sich, als er auf die Einberufung der Konferenz drang und bis zum Beschluss der Schlussakte an ihrem erfolgreichen Abschluss interessiert war, die Sache ganz anders gedacht. Wie aus Marescas auf westlicher Hintergrundkenntnis beruhender Darstellung nicht hervorgeht, richtete sich das sowjetische Bestreben seit Jahrzehnten auf die Ersetzung der beiden Bündnisse durch ein gesamteuropäisches Sicherheitssystem, das die amerikanische Präsenz auf dem Kontinent beseitigen und damit der UdSSR dort eine dominierenden Position verschaffen sollte. Als der Kreml 1969 den finnischen Vorschlag aufgriff, hatte er zwar die Beteiligung der USA erstmals akzeptiert, damit aber weiter die Erwartung verbunden, ihre Rolle diesseits des Atlantiks zu reduzieren. Obwohl die Verhandlungen eine ganz andere Richtung nahmen, betrachtete Brežnev die KSZE weiter als Instrument seiner Politik, dem er zum erfolgreichen Abschluss verhelfen und durch die Vereinbarung weiterer Etappen der gesamteuropäischen Zusammenarbeit eine Perspektive geben wollte. Die Zurückhaltung in Washington, von der in dem Buch immer wieder die Rede ist, war kein Zufall; sie beruhte auf dem alten Misstrauen, die Sowjetunion wolle die USA aus Europa verdrängen.

Daher musste Maresca während der KSZE die US-Administration bei der Stange zu halten suchen, aber zugleich verhindern, dass in Unkenntnis der Sachlage entstandene Initiativen das empfindliche Gewebe der Verhandlungen störten. Zuerst galt diese Sorge Henry Kissinger, der später, als der Rücktritt Richard Nixons die Verhältnisse in Washington erschütterte, zum Anker der Kontinuität wurde und wesentlichen Anteil daran hatte, dass es gelang, den neuen Präsidenten Gerald Ford zur Teilnahme an der abschließenden Sitzung der Regierungschefs zu bewegen, auf der die Schlussakte angenommen wurde. Dass diese zustande kam, war – was man in den USA erst in der Ära Carter erkannte und dann einer gegen die UdSSR gerichteten Menschenrechtskampagne zugrunde legte – auf die beharrlichen Anstrengungen vor allem der Westeuropäer zurückzuführen und darauf, dass sich Brežnev zum Demandeur gemacht hatte. In einer kritischen Phase war es der persönlichen Initiative des sowjetischen Chefunterhändlers Anatolij Kovalëv in Moskau zu verdanken, dass eine Übereinkunft erzielt wurde.

Besonders ausführlich werden die weniger bekannten Entwicklungen in der Gorbačëv-Zeit geschildert: die Verhandlungen über wechselseitige Truppenreduzierungen in Europa, die gemeinsame Pariser Erklärung der Staaten beider Bündnisse über das Ende des Kalten Krieges vom 19. November 1990 und die Gründung der OSZE, die künftig die friedliche Beilegung von Streitigkeiten gewährleisten sollte. Als die UdSSR ein Jahr später auseinanderbrach, entstanden zahlreiche Konflikte in den unabhängig gewordenen nicht-russischen ehemaligen Sowjetrepubliken. Sie wurden heftiger, als sich Russland einmischte, das in dieser speziell als „Nahes Ausland“ bezeichneten Region besondere Rechte für sich beanspruchte. Maresca war der erste Botschafter, der die USA in diesen Ländern vertrat. Als solcher suchte er mit großem Engagement und unter Inkaufnahme persönlicher Lebensgefahr (wie insbesondere die detaillierte Darstellung seines Bemühens um das zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittene Nagornyj Karabach zeigt) die Feindschaften zu entschärfen und zu wechselseitig annehmbaren Regelungen zu gelangen. Zu seiner Enttäuschung fehlte, wie sich bald zeigte, die nötige Unterstützung aus Washington. Nach seinem Urteil hätte es damals von dort nur deutlicher politischer Willenserklärungen bedurft, um die Brandherde zu löschen, aber die amerikanische Führung war an den Entwicklungen in der früheren UdSSR generell nicht interessiert. Damit wurde nach Marescas Überzeugung die Chance vertan, die Konflikte im Kaukasusgebiet, in Moldova und anderswo ruhigzustellen und die seitherigen russischen Aggressionsakte gegen Georgien und die Ukraine zu verhindern.

Das Buch bietet eine lebendige Darstellung der Entwicklungen im Kontext von KSZE und OSZE, zu denen auch Maresca einen wichtigen Beitrag geleistet hat. Die zeitgeschichtliche Forschung kann in seinen Ausführungen außer den schon erwähnten Vorgängen noch manches Weitere finden, was neues Licht auf das aus den Akten eruierte Bild des Geschehens wirft. Diese sehr persönlich gehaltenen, aber zugleich zuverlässigen Erinnerungen sind so interessant, dass man sie nach Beginn der Lektüre nicht mehr aus der Hand legt.

Gerhard Wettig, Kommen

Zitierweise: Gerhard Wettig über: John J. Maresca: Helsinki Revisited. A Key U.S. Negotiator’s Memoirs on the Development of the CSCE into the OSCE. With a foreword by Hafiz Pashayev. Stuttgart: Ibidem, 2016. X, 272 S., 2 Ktn., Abb. = Soviet and Post-Soviet Politics and Society, 150. ISBN: 978-3-8382-0852-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wettig_Maresca_Helsinki_Revisited.html (Datum des Seitenbesuchs)

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