Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Gerhard Wettig

 

Soviet Occupation of Romania, Hungary, and Austria 1944/45–1948/49. Ed. by Csaba Békés / László Borhi / Peter Ruggenthaler / Ottmar Traşcă. Budapest, New York: Central European University Press, 2015. XII, 390 S., Tab. ISBN: 978-963-386-075-5.

Dieser Dokumentenband über die sowjetische Politik in Rumänien, Ungarn und Österreich, der primär auf dortigen Archivalien beruht, bestätigt und ergänzt die Erkenntnisse, die sich aus den bisher veröffentlichten sowjetischen Unterlagen (Sovetskij faktor v Vos­toč­noj Evrope 19441953. T. 1: 1945–1949. Moskva 1999; T. V. Volokitina / G. P. Mu­raš­ko / A. P. Noskova (Hrsg.): Tri vizita A. Ja. Vyšinskogo v Bucharest 1944–1946. Dokumenty rossjiskich archivov. Moskva 1998; Vostočnaja Evropa rossijskich archivov 1944–1953 gg. T. 1: 1945–1949, Moskva 1997) ergeben. Wie insbesondere dem Protokoll der Gespräche von Gheorghe Gheorghiu-Dej und Teohari Georgescu mit Stalin und anderen Führern der UdSSR am 2. und 3. April 1946 sowie dem detaillierten Bericht des ungarischen Parteichefs Mátyás Rákosi vom 17. Mai 1946 über die Resultate seines Moskau-Besuchs zu entnehmen ist, war das sowjetische Bestreben von vornherein – und nicht etwa in Reaktion auf Schritte der Westmächte – darauf ausgerichtet, Rumänien und Ungarn nicht nur dem eigenen Machtbereich einzuverleiben, sondern ihnen unbedingt auch das eigene System aufzuzwingen. (In diesem Sinne auch die Äußerungen Stalins gegenüber polnischen Gefolgsleuten am 24. Mai und 19. August 1946; S. 457–458, 511.) Der anfänglich in beschränktem Umfang zugelassene Pluralismus hatte die Funktion einer demokratischen Fassade, hinter der eine ganz andere politische Entwicklung in Gang gesetzt wurde, und diente dem Ziel, mittels Täuschung das Einvernehmen mit den Westmächten, vor allem den USA, aufrechtzuerhalten. Als es in der „deutschen Frage“ zum Bruch gekommen war, sah Stalin keinen Grund mehr, irgendwelche Rücksichten zu nehmen, und vollendete daraufhin die eingeleitete Sowjetisierung, ohne sich fortan um den negativen Eindruck auf den Westen zu scheren.

Die Maßnahmen, welche die UdSSR in beiden Ländern vom Augenblick ihres militärischen Eindringens an ergriff, unterschieden sich voneinander nur durch die für notwendig erachtete Anpassung an die – jeweils sehr gegensätzlichen – äußeren Umstände. Rumänien hatte unter dem Druck der Roten Armee die Seiten gewechselt, besaß zunächst noch eine Regierung der eigenen Wahl sowie eine monarchische Spitze, Armee und Staatsapparat waren intakt, und eine offizielle Proklamation eines Besatzungsregimes kam nicht in Betracht. In Ungarn dagegen, das von der Wehrmacht zum Ausharren bis zuletzt gezwungen worden war, waren Eroberung, Niederlage und staatlicher Zusammenbruch total. Auch sonst gab es ganz andere Voraussetzungen. So konnte sich Stalin in Ungarn auf Rákosi als seinen „besten Schüler“ und andere Funktionäre des sowjetischen Exils stützen, während es in Rumänien nicht nur keine Moskau-Kader, sondern auch kaum Kommunisten gab (insgesamt weniger als 1000). Aber weder dies noch irgendetwas sonst war bei der Sowjetisierung ausschlaggebend: Stalin hatte mit der Präsenz der Roten Armee die Macht in der Hand und setzte sie von Anfang an ungehemmt zur Erreichung seiner Ziele ein. Die Rücksichten, die er bis Mitte 1947 auf die Westmächte nahm, gingen dabei nie so weit, dass er substanzielle Abstriche von seinem Vorhaben in Osteuropa gemacht hätte.

Völlig anders waren die Lage und das Vorgehen in Österreich. Als die sowjetischen Truppen die Grenze überschritten, wandte sich ihr Oberkommando an die Bevölkerung mit der Botschaft, man kämpfe nur gegen die „deutschen Besatzer“, trete für die Unabhängigkeit des Landes ein und wolle zur Wiederherstellung der bis 1938 – also vor dem Anschluss an das Deutsche Reich – bestehenden gesellschaftlichen Ordnung beitragen. Militärische Vertreter der UdSSR gaben gegenüber leitenden österreichischen Kommunisten am 16. Mai 1945 zu erkennen, dass ihre politische Position im Lande davon abhängen werde, inwieweit es ihnen gelinge, die Unterstützung der „Massen“ zu gewinnen. Sie sollten sich also dem demokratischen Wettbewerb um die Stimmen der Wähler stellen, statt auf die Gunst der östlichen Besatzungsmacht zu hoffen, die damals noch allein über die Verhältnisse im Lande bestimmte. Stalin hatte den Sozialisten Karl Renner, an dessen Vorstellungen er sich einst als Nationalitätenkommissar unter Lenin orientiert hatte, an die Spitze der Regierung stellen lassen. Dabei war er wohl von der Erwartung ausgegangen, dieser werde so wie viele seiner Parteifreunde im sowjetischen Machtbereich zu enger Zusammenarbeit mit den Kommunisten bereit sein, doch tolerierte er dann, dass Renner sich stattdessen mit den „Bürgerlichen“ zusammentat, und akzeptierte die demokratischen Prozesse auch dann noch, als die Kommunisten ohne jeden Einfluss auf die politische Entwicklung blieben. Unter den wiedergegebenen Dokumenten zeigen das vor allem der Bericht der sowjetischen Besatzungsbehörde für das Jahr 1947 und das Gespräch von Stalins Stellvertreter Andrej Ždanov mit den Führern der KPÖ am 13. Februar 1948. Dieses Verhalten steht in diametralem Gegensatz zu dem Vorgehen in Deutschland, obwohl die Ausgangssituation in beiden Fällen übereinstimmte: Die UdSSR verfügte zunächst allein über die Macht in der Hauptstadt und konnte daher wichtige Entscheidungen über die Zukunft des Landes ohne die westlichen Besatzungspartner treffen. Die Herausgeber verzichten ausdrücklich auf die bereits anderswo (Hierzu u. a. Peter Ruggenthaler: Warum Österreich nicht sowjetisiert wurde, in: Stefan Karner / Barbara Stelzl-Marx (Hrsg.): Die Rote Armee in Österreich. Sowjetische Besatzung 1945–1955. Graz, Wien, München 2005, S. 649–726; Gerhard Wettig: Einleitung, in: Gerhard Wettig (Hrsg.): Der Tjul’panov-Bericht. Sowjetische Besatzungspolitik in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Göttingen 2012, S. 119–138) erfolgte Erörterung der Frage, wieso Stalin in Wien und Berlin so unterschiedlich handelte, denn dies hätte die Thematik des Bandes gesprengt.

Außer der Frage des politischen Systems beleuchten die abgedruckten Dokumente und die einleitenden Ausführungen auch die Art und den Umfang der sowjetischen Inanspruchnahme wirtschaftlicher Ressourcen einschließlich zwangsweise geleisteter Arbeit, die Behandlung der jeweiligen Kriegsgefangenen und repressive Maßnahmen der sowjetischen Militärbehörden. Dabei ergeben sich stellenweise neue Einblicke.

Den insgesamt 75 Dokumenten – 24 über Rumänien, 16 über Ungarn und die restlichen 35 über Österreich – geht eine umfangreiche Einleitung der vier Herausgeber voraus, die zuerst generell die sowjetische Südosteuropa-Politik im Ost-West-Kontext und dann das Vorgehen gegenüber jeweils den einzelnen Ländern behandelt. Diese Ausführungen sind knapp, aber ungewöhnlich klar und präzise – die weitaus beste Zusammenfassung, die es zu diesem Thema gibt. Auch deswegen ist der Dokumentenband zeithistorischen Fachleuten wie Laien unbedingt zur Lektüre zu empfehlen.

Gerhard Wettig, Kommen

Zitierweise: Gerhard Wettig über: Soviet Occupation of Romania, Hungary, and Austria 1944/45–1948/49. Ed. by Csaba Békés / László Borhi / Peter Ruggenthaler / Ottmar Traşcă. Budapest, New York: Central European University Press, 2015. XII, 390 S., Tab. ISBN: 978-963-386-075-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wettig_Bekes_Soviet_Occupation.html (Datum des Seitenbesuchs)

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