Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 1 (2011), 3 Rezensionen online

Verfasst von: Ernst Wawra

 

Jan Kusber: Kleine Geschichte St. Petersburgs. Regensburg: Pustet, 2009. 176 S., 35 Abb. ISBN: 978-3-7917-2227-6.

„Und da war eine Stadt. Die schönste Stadt auf dem Antlitz der Erde.“ So Iosif Brodskij in seinen „Erinnerungen an Petersburg“. Von den europäischen Metropolen wohl die Stadt mit der jüngsten Geschichte, kann sie heute auf gerade einmal 308 Jahre Stadtgeschichte zurückblicken – gleichwohl sehr wechselvolle Jahre. Geplant und gebaut noch während des Großen Nordischen Krieges, wurde sie stadtgewordenes Symbol für das Eintreten Russlands in die frühe Neuzeit, welches bereits kurz nach der Gründung Hauptstadt des russischen Zarenreiches werden sollte. Sie war Ort von Kämpfen um die Macht innerhalb der kaiserlichen Familie und manchmal sogar von Frau gegen Ehemann oder von Sohn gegen Vater; Schauplatz der Anschläge gegen den Reformzaren Alexander II. sowie von Aufständen und Revolutionen – erinnert sei nur an die Dekabristen und die Bol’ševiki. Zugleich war die Stadt aber auch Ort der Wissenschaft und schönen Künste, aber gleichfalls des Leidens während der Belagerung im Zweiten Weltkrieg. Die bewegte Geschichte St. Petersburgs spiegelt sich auch in ihren verschiedenen Namen wieder, denn in den letzten nicht einmal 100 Jahren ist sie dreimal umbenannt worden – 1914 in Petrograd, 1924 in Leningrad und schließlich 1991 zurück in St. Petersburg.

Mit der „Kleinen Geschichte St. Petersburgs“ von Jan Kusber liegt nun nach einer Vielzahl von Veröffentlichungen rund um das 300-jährige Stadtjubiläum – erinnert sei vor allem an die beiden umfangreichen Sammelbände von Creuzberger (Stefan Creuzberger u.a. (Hrsg.): Eine Stadt im Spiegel der Zeit, Stuttgart 2000) oder von Schlögel (Karl Schlögel u.a. (Hrsg.): Schauplätze einer Stadtgeschichte, Frankfurt / New York 2007) – eine Stadtgeschichte vor, die von den Anfängen als „Fenster nach Europa“ des russischen Zaren- und späteren Kaiserreiches bis zum heutigen St. Petersburg reicht. Auf fast 160 Textseiten stellt Kusber dem Leser die „Biographie“ (S. 12) der Stadt vor. Gegliedert hat er diese in fünf Kapitel: Von der Stadtgründung bis zum Ende der Regierungszeit Katharinas II., vom Thronantritt Pauls bis zum Attentat auf Alexander II., die Geschichte St. Petersburgs und Petrograds bis zu den Revolutionen im Jahre 1917, von der Umbenennung in Leningrad bis zum Zerfall des Vielvölkerreiches und von der Zeit nach der Rückbenennung in St. Petersburg bis heute. Ergänzt wird das Buch durch eine Zeittafel, eine knappe, die wichtigsten Studien und Darstellungen umfassende Literaturauswahl, ein Orts- und Namensregister, nützliche Internetadressen, einen Stadtplan des Zentrums von St. Petersburg sowie einen Stammbaum der Dynastie Holstein-Gottorp-Romanov, den man sich jedoch etwas übersichtlicher gewünscht hätte.

Mit Hilfe der überzeugenden Gliederung gelingt es Kusber, Schwerpunkte in den vom Umfang her zum Teil sehr ungleichen Kapiteln zu setzen. Obwohl er den ersten knapp 100 Jahren Stadtgeschichte mehr als ein Drittel des Platzes einräumt, den jüngst vergangenen 86 Jahren hingegen nur gerade noch ein Fünftel, stört dies in keiner Weise. Im Gegenteil – er schafft es, die Geschichte St. Petersburgs aus wechselnder Perspektive zu schildern. So dominieren in der ersten Hälfte die Entscheidungen der russischen Kaiser und es wird deren Sichtweise auf die Stadt erzählt. Breiten Raum gewährt Kusber folgerichtig den Entscheidungen Peters I. sowie der Regierungszeit Katharinas II. Im Kapitel über die Entwicklung der Stadt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts gelingt es ihm stets, den Zusammenhang von Herrscherpersönlichkeit und weiterer Stadtentwicklung nachzuzeichnen. Das 19. Jahrhundert hingegen war geprägt vom Aufstieg St. Petersburgs „zur Hauptstadt Europas“ (S. 68), was sich auch in der Architektur widerspiegelte – Kusber veranschaulicht dies beispielsweise am Bau der Isaaks-Kathedrale oder an der Umgestaltung des Schlossplatzes unter der Leitung von Carlo Rossi. Den Übergang der „Stadt auf dem Weg ins 20. Jahrhundert“ (S. 97) betrachtet Kusber dagegen nicht mehr nur ‚von oben‘, sondern er beschreibt die Zeit von Revolutionen, Bürgerkrieg, Blockade und Wiederaufbau vorwiegend aus Sicht der Arbeiter, Beamten, Soldaten und Bewohner. Somit löst Kusber dann auch ein, was er sich selbst zur Aufgabe gemacht hat, denn er wollte „die Summe der Frauen und Männer, die in ihr lebten“ (S. 12), zum Gegenstand seiner Geschichte der Stadt machen.

Die Kapitel werden durch ausgewählte Exkurse und längere Zitate ergänzt, die beispielsweise aus Erinnerungen der Kaiser oder aus Reisebeschreibungen meist des 19. Jahrhunderts entnommen sind. Gewünscht hätte man sich hierbei jedoch, dass sowohl die Zitate im Fließtext als auch die sogar im Inhaltsverzeichnis aufgeführten Exkurse mit vollständigen Nachweisen versehen worden wären. Wenn dies wohl – insbesondere im Hinblick auf die anderen „kleinen Geschichten“ z. B. von Istanbul oder Kopenhagen – den Vorgaben des Verlags geschuldet ist, bleibt anzumerken, dass das Einfügen von Endnoten den Lesefluss nur wenig stören würde. Hervorzuheben ist weiterhin die überzeugende und fundiert vorgenommene Kommentierung der zahlreichen Historiengemälde, zeitgenössischen Karten und Photographien.

Der Leser findet hier eine flüssig geschriebene Stadtgeschichte auf breiter Quellengrundlage, wobei jedoch aufgrund des Überblickcharakters manches unerwähnt bleibt und bleiben muss. Kusber wird mit seiner kleinen Geschichte St. Petersburgs sicherlich die Reisebibliothek eines breiten Publikums ergänzen, das seinem Rat folgt und die Stadt in „den ‚Weißen Nächten’ des Sommers oder nach frischem Schneefall im Januar“ (S. 166) besucht.

Ernst Wawra, Erlangen

Zitierweise: Ernst Wawra über: Jan Kusber: Kleine Geschichte St. Petersburgs. Regensburg: Friedrich Pustet, 2009. ISBN: 978-3-7917-2227-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wawra_Kusber_Kleine_Geschichte_Sankt_Petersburgs.html (Datum des Seitenbesuchs)

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