Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Ernst Wawra

 

Vision and Communism. Viktor Koretsky and Dissident Public Visual Culture.  Edited by Robert Bird / Christopher P. Heuer / Matthew Jesse Jackson / Tume­lo Mosaka / Stephanie Smith. New York: The New Press, 2011. XV, 157 S., 71 Abb. ISBN: 978-1-59558-625-4.

Inhaltsverzeichnis:

http://swbplus.bsz-bw.de/bsz353120685inh.htm

 

Das Plakat war eines der wichtigsten Propagandamittel der Bolševiki nach der Oktoberrevolution und vor allem im Bürgerkrieg. In dieser Phase konzipierten die Plakatkünstler, zwar auf bekannte Bildtraditionen des ehemaligen russländischen Zaren- und Kaiserreiches zurückgreifend, neue Darstellungsweisen, konnten aber nicht verhindern, dass, um Stefan Plaggenborg zu zitieren,das sowjetische Plakat 1921 einen künstlerischen Todstarb (Plaggenborg, Stefan: Revolutionskultur. Menschenbilder und kulturelle Praxis in Sowjetrußland zwischen Oktoberrevolution und Stalinismus. Köln, Weimar, Wien 1996, S. 184. = Beiträge zur Geschichte Osteuropas, 21). Betrachtet man allein die Anzahl der bei Butnik-Siverskij angeführten Plakate aus dem Bürgerkrieg, so mag dies aufgrund der hohen Quantität wenig überraschen, da zu den dort aufgeführten 3694 Plakaten ja noch hunderte von ROSTA-Fenstern hinzuzuaddieren sind.

Nichtsdestotrotz entwickelte sich das Medium Plakat vor allem Ende der dreißiger Jahre auch in künstlerischer Hinsicht weiter. Verantwortlich dafür war eine jüngere Künstlergeneration, die nicht wie Viktor Deni oder Nikolaj Kočergin den alten Darstellungsweisen aus der Bürgerkriegszeit, die bis in den Zweiten Weltkrieg fortleben sollten, verhaftet geblieben war, sondern neue Stile, beispielsweise eine Montage von Fotografie und Plakat entwickelte – wie Viktor Borisovič Koreckij, der am 5. Mai 1909 in Kiev geboren wurde und am 4. Juli 1998 in Moskau starb. Nach seiner Ausbildung zeichnete er 1931 sein erstes von mehr als 600 Plakaten. Bekannt wurde er vor allem durch seine zahlreichen Plakate aus demGroßen Vaterländischen Kriegbekannt. Berühmt wurden insbesondere zwei seiner Werke: zum einenBud geroem!(Sei ein Held) (1941)dort verabschiedet sich eine Mutter von ihrem Sohn auf dem Weg zur Front , das Vorlage für eine 30-Kopeken-Briefmarke war, die am 12. August 1941 ausgegeben wurde; zum anderen das auf der zweiten Seite derPravda“ vom 5. August 1942 abgedruckte PlakatVoin Krasnoj Armii, SPASI!(Soldat der Roten Armee, Rette uns!), dessen Auflage schätzungsweise in die Millionen ging. Auf diesem sind eine Mutter mit einem Kind abgebildet, die von einem deutschen Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett, von dem bereits Blut tropft, bedroht werden.

Von September 2011 bis Januar 2012 wurde mit einem breiten Begleitprogramm im The University of Chicagos Smart Museum of Art die AusstellungVision and Communismgezeigt, deren gleichzeitig veröffentlichtes Begleitbuch hier besprochen wird. Der Grundannahme der Einleitung,[w]hile great attention has already been paid to the artistic production of Russian Revolution and its aftermath, later Soviet material has received much less study“ (S. XI), kann man zweifellos zustimmen. Die sich anschließenden fünfinterconnected essays“, überschrieben mit „assemble, imagine, discuss,intrusive, intransigent, invisible,international, intimate, intense“ „unseen, unknown, unstoppable?undrewind, fast forward, play“, sind eine Gemeinschaftsarbeit der fünf Herausgeber. Nach einer äußerst oberflächlichen Einführung in das Ausstellungskonzept und die gezeigten Inhalte spannen die Autoren im Anschluss auf kürzestem Raum einen sehr weiten Bogen von Pompeiji über Flugblätter aus der Reformationszeit bis hin zu den Propagandaplakaten der Sowjetunionan dieser Stelle hätte man sich eine systematischere Herangehensweise an die russischen und sowjetischen Plakate und deren Vorläufer, die lubki (Volksbilderbögen) und die damit verbundenen Bildtraditionen, vorstellen können. Ein weiterer Teil der Ausstellung setzt sich mit den ebenfalls gezeigten Filmen von den Regisseuren Chris Marker (1921–2012) und Aleksandr Medvedkin (1900–1989) auseinander.

Allen Essays sind weiterführende sowie zum Teil gut gewählte Literaturhinweise beigegeben, und am Ende findet sich eine Liste der ausgestellten 89 Plakate. Von diesen ist allerdings nur ein Bruchteil abgedruckt, wobei einige von ihnen unverständlicherweise doppelt zu sehen sind (so die Abbildungen 22/31 oder auch 38/55). Stattdessen hätte man sich, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass der Schwerpunkt der Ausstellung auf dem Schaffen Koreckijs in den sechziger bis achtziger Jahren liegt, gewünscht, dass diese auch vermehrt abgebildet worden wären. Beigegeben ist ein leider nur bedingt hilfreicher Index, in dem Personen, Film- und Plakattitel sowie Ortsangaben in einer Art Sachregister zusammengeführt sind (S. 145–157). Der Hauptkritikpunkt ist allerdings, dass der Künstler selbst, der namensgebend für Ausstellung und Begleitbuch war, leider viel zu kurz kommt: So sind für dessen Biographie gerade einmal zwei spärlich bedruckte Seiten – „biographical notes on Victor Koretsky(S. 111–121)reserviert, in denen nicht einmal alle biographischen Eckdaten erwähnt sind, geschweige denn Gedanken zu seinem künstlerischen Schaffen in den doch sehr verschiedenen Phasen der sowjetischen Geschichte, in denen er tätig war, ausgebreitet werden. Von einer kritischen und notwendigen Einordnung des Künstlers und historischer Propagandaplakate in die Bedingungen des aufkommenden Kalten Krieges und des intensiven propagandistischen Einsatzes beider Supermächte für Menschenrechte und die Freiheit der Völker in der Dritten Welt ist dieser Band weit entfernt.

So zahlreich mittlerweile Plakatbände geworden sind erinnert sei an den jüngst erschienenen von David King (Russische Revolutionäre Plakate. Bürgerkrieg und bolschewistische Periode, sozialistischer Realismus und Stalin-Ära. Essen 2012) so selten finden sich immer noch Publikationen zu einzelnen Plakatkünstlern und deren Biographien. Umso bedauerlicher ist es, dass der hier besprochene kleine Katalog nur einen rudimentären Eindruck vom Schaffen Viktor B. Koreckijs zu geben vermagwer jedoch mehr über den Künstler und sein Werk erfahren möchte, dem sei der in jeder Hinsicht vorzügliche, von Erika Wolf 2012 herausgegebene BandKoretsky: The Soviet Photo Poster, 1930–1984empfohlen, in dem 200 Arbeiten abgedruckt und jeweils mit einem konzisen Kommentar versehen sind.

Ernst Wawra, Göttingen

Zitierweise: Ernst Wawra über: Vision and Communism. Viktor Koretsky and Dissident Public Visual Culture. Edited by Robert Bird / Christopher P. Heuer / Matthew Jesse Jackson / Tumelo Mosaka / Stephanie Smith. New York: The New Press, 2011. XV, 157 S., 71 Abb. ISBN: 978-1-59558-625-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wawra_Bird_Vision_and_Communism.html (Datum des Seitenbesuchs)

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