Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Gerald Volkmer

 

Peter Ulrich Weiß: Kulturarbeit als diplomatischer Zankapfel. Die kulturellen Auslandsbeziehungen im Dreiecksverhältnis der beiden deutschen Staaten und Rumäniens von 1950 bis 1972. München: Oldenbourg, 2010. 424 S. = Südosteuropäische Arbeiten, 139. ISBN: 978-3-486-58979-5.

Am 8. November 1963 beschwerte sich der ständige Vertreter des DDR-Reisebüros im rumänischen Schwarzmeerbadeort Mamaia gegenüber dem DDR-Außenministerium über das Verhalten seiner rumänischen Partner: „Eine moderne Tanzkapelle mit Sängerin trete in einem mit westdeutschen Urlaubern besetzten Hotel auf, während in einem von ostdeutschen Touristen bewohnten Hotel eine rumänische Kapelle spiele. Gleichzeitig werde aber von den rumänischen Verantwortlichen den eigenen Touristen unter der Hand geraten, lieber in das andere Hotel zu gehen.“ (S. 170) Vier Jahre später kommentierte der DDR-Botschafter in Bukarest in einem Brief an den stellvertretenden DDR-Außenminister die von der rumänischen Seite tolerierten Bücherschenkungen der Bundesrepublik Deutschland an die Germanistik-Abteilung der Universität Bukarest mit folgenden Worten: „Das Ergebnis ist, dass man an dieser Fakultät vom Vorhandensein einer prowestlichen Gruppe im Lehrkörper und unter den Studenten sprechen muss. Es ist logisch, dass diese Haltung mit Antisowjetismus gepaart ist. Ähnliche Erscheinungen gibt es in Cluj.“ (S. 309)

Diese Beispiele veranschaulichen die Bandbreite der Auswirkungen des Dreiecksverhältnisses zwischen den beiden deutschen Staaten und Rumänien im Bereich der Kulturarbeit, die Peter Ulrich Weiß in seiner Potsdamer Dissertation untersucht. Im Vordergrund der Studie steht die Analyse dieses Dreiecksverhältnisses unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-deutschen Konkurrenzsituation in Rumänien. Die Kulturbeziehungen zwischen Rumänien und den beiden deutschen Staaten waren durch eine doppelte Besonderheit geprägt: erstens durch das besondere Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der DDR, das durch die Kategorien „Abgrenzung, Konkurrenz und Kampf um Einfluss“ bestimmt wurde, und zweitens durch die besondere Rolle, die Rumänien nach 1964 aufgrund der Bukarester Emanzipationspolitik gegenüber der Sowjetunion im Kreis der Ostblockstaaten spielte. Mit dem Streit zwischen der DDR und Rumänien über die Aufgabenverteilung innerhalb des RGWs begann 1963 die „Eiszeit“ im Verhältnis zwischen Bukarest und Ost-Berlin, die ihren Höhepunkt 1967 durch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Rumäniens mit der Bundesrepublik erreichte. Nachdem die DDR durch das 1950 abgeschlossene Kulturabkommen mit Rumänien ein Monopol in den deutsch-rumänischen Beziehungen besessen hatte, entstand das von Weiß untersuchte Dreiecksverhältnis im Grunde erst 1963 mit der Errichtung der bundesdeutschen Handelsmission in Bukarest. Die Möglichkeit der Bundesrepublik, auf rumänischem Boden ihre Überlegenheit gegenüber der DDR nicht nur im wirtschaftlichen, sondern spätestens ab 1967 auch im kulturellen Bereich offiziell entfalten zu können, wurde von der SED-Führung als Affront aufgefasst. Aufgrund der begrenzten eigenen Ressourcen konzentrierte sich die DDR darauf, die Kulturprojekte der Bundesrepublik durch permanente Interventionen bei der rumänischen Seite scheitern zu lassen. Weiß gelingt es insbesondere im Kapitel Tourismus in Rumänien als deutsch-deutsches Konfliktfeld, den hilflosen und verkrampften Umgang der DDR-Vertreter mit den Folgen zu veranschaulichen, die sich aus den deutsch-deutschen Begegnungen am Schwarzmeerstrand und der sichtbaren Bevorzugung der West-Touristen durch Rumänien ergaben. Die „Eiszeit“ zwischen den Staats- und Parteiführungen der DDR und Rumäniens endete erst mit dem Abschluss des bilateralen Freundschaftsvertrages im Mai 1972, der mit dem Ende von Nicolae Ceauşescus „gesteuerter Liberalität“ und dem Zustandekommen des deutsch-deutschen Grundlagenvertrages zusammenfiel. Anhand der Erkenntnis, dass der Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Rumänien in den siebziger Jahren von einer Stagnation des bilateralen Kulturaustauschs begleitet war, weist der Autor überzeugend nach, dass das Bonner Konzept „Wandel durch Handel“ an den Auswüchsen der Ceauşescu-Diktatur scheiterte.

Da sich die Bundesrepublik und die DDR vor dem Hintergrund des Kalten Krieges bemühten, in Rumänien das „bessere Deutschland“ zu repräsentieren, geriet die Kulturarbeit der beiden deutschen Staaten vor allem in den sechziger und frühen siebziger Jahren zum Politikum. Die diesem Umstand zugrunde liegenden innen- und außenpolitischen Faktoren sowie die Formen, in denen die deutsch-deutsche Kulturkonkurrenz auf rumänischem Boden in Erscheinung trat, arbeitet Peter Ulrich Weiß in seiner Studie akribisch heraus. Die Schwerpunkte der kulturellen Programmarbeit lagen neben dem Tourismus auf dem Austausch in den Bereichen Wissenschaft, Musik, Bildende Kunst, Literatur, Film und Theater, wobei Rumänien am meisten vom technisch-naturwissenschaftlichen Wissenstransfer aus der Bundesrepublik profitierte. Darüber hinaus stellte der Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit Bonn das zweite Hauptziel Bukarests dar, das es auch durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit zu erreichen versuchte. In diesem Zusammenhang geht der Autor sowohl auf das in den Presseorganen der beiden deutschen Staaten gezeichnete Rumänien-Bild als auch auf die Berichterstattung über die Bundesrepublik Deutschland und die DDR in den Zeitungen Rumäniens ein. Obwohl sich Weiß dabei auf die rumäniendeutschen Zeitungen konzentriert, betont er, auf eine explizite Behandlung der in Rumänien lebenden deutschen Minderheiten verzichten zu wollen. Dennoch finden sich im vorliegenden Buch durchgängig Bezüge zu den Rumäniendeutschen, u.a. im Zusammenhang mit der Frage, warum die Staats- und Parteiführung der DDR diese Problematik konsequent mied. Neuere Forschungen der Stasi-Unterlagen-Behörde und des rumänischen Nationalrates für das Studium der Securitate-Archive haben jedoch deutlich gemacht, dass sich die DDR nachrichtendienstlich durchaus für die Rumäniendeutschen interessierte, auch wenn die offizielle Haltung Ost-Berlins das Gegenteil vermuten ließ. Dieser Einzelaspekt macht deutlich, welche parallel zur Diplomatie existierenden Dimensionen durch eine Auswertung der Geheimdienstakten ausgeleuchtet werden könnten. Allerdings muss beachtet werden, dass zum Zeitpunkt der vom Autor in Bukarest unternommenen Archivstudien die Akten des ehemaligen rumänischen Geheimdienstes Securitate der Forschung noch sehr eingeschränkt zugänglich waren. Weiß konzentriert sich auf die Regierungsdokumente und zeichnet die kulturdiplomatischen Aktivitäten anhand der Akten der drei relevanten Außenministerien sowie der führenden Zeitungen und Zeitschriften der Bundesrepublik, der DDR und Rumäniens nach. Bedauerlicherweise verzichtet der Autor in seinem Quellenverzeichnis auf eine Übersicht über die in den Archiven der Außenministerien ausgewerteten Aktenbestände.

Die zu besprechende Arbeit ergänzt die Studien zur Außenpolitik Rumäniens nach dem Zweiten Weltkrieg gewinnbringend durch eine Verschränkung klassischer außenpolitischer Fragestellungen mit den bislang noch nicht untersuchten Bereichen auswärtige Kulturpolitik und zwischenstaatlicher Kulturaustausch. Hinsichtlich einer vergleichenden Untersuchung der (Kultur-)Beziehungen zwischen Rumänien und den beiden deutschen Staaten betritt das Werk, das auch durch eine ausgewogene Argumentationsweise und einen flüssigen und präzisen Schreibstil überzeugt, Neuland.

Gerald Volkmer, Oldenburg

Zitierweise: Gerald Volkmer über: Peter Ulrich Weiß: Kulturarbeit als diplomatischer Zankapfel. Die kulturellen Auslandsbeziehungen im Dreiecksverhältnis der beiden deutschen Staaten und Rumäniens von 1950 bis 1972. München: Oldenbourg, 2010. 424 S. = Südosteuropäische Arbeiten, 139. ISBN: 978-3-486-58979-5., http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Volkmer_Weiss_Kulturarbeit_als_diplomatischer_Zankapfel.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2015 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg and Gerald Volkmer. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.