Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Darina Volf

 

Plánování socialistické vědy. Dokumenty z roku 1960 ke stavu a rozvoji pří­rod­ních a technických věd v Československu. Ed. by Tomáš Hermann / Dou­brav­ka Olšáková. Červený Kostelec: Pavel Mervart, 2013. 235 S. = Práce z dějin vědy, 30. ISBN: 978-80-7465-040-6.

Es ist allgemein bekannt, dass die Wirtschaft in sozialistischen Ländern zentral geplant wurde. Doch wie sah die Planung der sozialistischen Wissenschaft aus? Diese Frage stellen sich die Herausgeber der Quellenedition Plánování socialistické vědy (Planung der sozialistischen Wissenschaft) und gewähren damit interessante Einblicke in die Wissenschaftspolitik und -planung in der Tschechoslowakei Ende der fünfziger / Anfang der sechziger Jahre, also zu einer Zeit, in der sich die Wissenschaft allmählich von den strengen ideologischen Vorgaben des Stalinismus befreite. Olšáková und Hermann, die beide in der Abteilung für Wissenschaftsgeschichte am Institut für Zeitgeschichte in Prag tätig sind, legen eine Publikation vor, die nicht nur Wissenschaftshistorikern, sondern auch Wirtschafts- und Umwelthistorikern neue Perspektiven und weiterführende Forschungsfragen eröffnet.

Den Kern der Edition bilden vier disziplinäre Planungskonzepte, die 1960 für Biologie, Chemie, technische Wissenschaften sowie Mathematik und Physik erstellt und der Ideologischen Kommission des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei vorgelegt, dort jedoch nicht angenommen wurden. Nichtsdestotrotz sind sie, so die Herausgeber, eine aufschlussreiche Quelle für die Erforschung der tschechoslowakischen Wissenschaftsgeschichte. Denn an der Ausarbeitung seien nicht nur die wichtigsten Institutionen und Persönlichkeiten der damaligen Wissenschaftspolitik beteiligt gewesen. Die Dokumente seien auch wegen des komplexen Zugangs zum Thema von Interesse, da sie die Bedeutung, den Zustand, die künftigen Perspektiven und die Verbesserungsvorschläge für die jeweilige Disziplin skizzieren. Schließlich sprechen die Herausgeber den Dokumenten trotz der offiziellen Ablehnung einen praktischen Einfluss zu, da mehrere dort vorgeschlagene Maßnahmen umgesetzt wurden.

Die erste Hälfte der Publikation nimmt der umfangreiche einleitende Aufsatz ein, der die Quelle in den breiteren Kontext der tschechoslowakischen Wissenschaftspolitik stellt. Im ersten Kapitel zeichnen die Autoren, zu denen neben den beiden Herausgebern die Wissenschaftshistoriker Helena Durnová, Miloš Hořejš und Alena Míšková gehören, die Geschichte der Wissenschaftsplanung in der Tschechoslowakei nach. Die Mitte der fünfziger Jahre eingeleitete Destalinisierung löste Diskussionen um eine Neugestaltung des Verhältnisses zwischen Ideologie und Wissenschaft, das bis dahin dem stalinistischen Modell verpflichtet war, aus. Dies führte zum Auftrag der Regierung, den Zustand der einzelnen Disziplinen zu betrachten und langfristige Perspektiven für die nächsten 15 bzw. 20 Jahre zu entwerfen, dessen Ergebnis die Planungskonzepte waren.

Im zweiten Kapitel des Aufsatzes stellen die Autoren die vier Konzepte vor. Neben der inhaltlichen Zusammenfassung werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Konzepten herausgearbeitet, deren Autoren, die in der Quelle selbst nicht genannt werden, identifiziert und die institutionell-praktische Bedeutung sowie der wissenschaftshistorische Stellenwert der Dokumente beleuchtet. So sei das Dokument über Biologie am meisten von der Ideologie beeinflusst gewesen. Dies hing mit der Notwendigkeit zusammen, die wissenschaftliche Eigenständigkeit der bis dahin nur auf die angewandte Forschung reduzierten Disziplin zu rechtfertigen. In anderen Disziplinen, insbesondere den „strategischen Disziplinen des Friedens“ Mathematik und Physik, seien die ideologischen Deformationen nicht so gravierend gewesen. Als einen „bedeutenden Meilenstein im Rahmen der Umweltgeschichte in der Zeit des Staatssozialismus“ (S. 61) bezeichnen die Autoren das Dokument über die technischen Wissenschaften, in dem das Bewusstsein für die Grenzen des extensiven Wachstums zutage tritt und daraus die Forderung nach Umweltschutz und Ressourcenschonung abgeleitet wird.

Schließlich wird in dem vergleichsweise knappen dritten Kapitel die Entwicklung von den vier Planungskonzepten hin zur Wissenschaftsprognostik der achtziger Jahre nachgezeichnet und in den Kontext der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) gesetzt. Der Schluss des einleitenden Aufsatzes hebt nochmal die Einzigartigkeit der Quelle hervor, die sich aus dem komplexen Zugang zum Thema, aus dem Umfang und dem breiten Spektrum der berücksichtigten Disziplinen sowie aus der Langfristigkeit des Prognosezeitraums ergebe (S. 95).

Die zweite Hälfte der Publikation umfasst die vier Planungskonzepte, die im tschechischen Nationalarchiv (Fonds Václav Kopecký, Band 7, Archiveinheit 165) aufbewahrt werden. Jedes Dokument beginnt mit einer Einführung, in der die Bedeutung der jeweiligen Disziplin für das Erreichen des Sozialismus und das Überholen der kapitalistischen Länder hervorgehoben wird. Diese ideologisch motivierten Einführungen verweisen sowohl auf die Adressaten als auch auf die Funktion der Dokumente. Eindeutig tritt hier das Bestreben der Verfasser in den Vordergrund, die Gestalter der Wissenschaftspolitik in ihrem Sinne zu beeinflussen. Dieses Ziel prägt auch die weiteren Ausführungen, die in den vier Dokumenten strukturell ähnlich sind und auch inhaltlich, z. B. in Bezug auf Probleme und Forderungen, zahlreiche Parallelen aufweisen.

Obwohl in allen vier Konzepten davon ausgegangen wird, dass der Sozialismus grundsätzlich bessere Rahmenbedingungen für die Wissenschaft bereitstellt als der Kapitalismus, wird in den meisten Bereichen ein Hinterherhinken hinter dem Westen festgestellt. Überall wiederholen sich die gleichen „Bremsen der Entwicklung“, die die Autoren in veralteter Ausstattung, fehlenden Fachkräften, mangelhafter Ausbildung, eingeschränktem wissenschaftlichen Austausch mit dem Ausland und Trägheit bei der Umsetzung der Forschungsergebnisse in die Produktion sehen. Dementsprechend werden als notwendige Maßnahmen für die künftige Entwicklung eine Erhöhung der Ausgaben, eine Verbesserung der Ausbildung und eine Vertiefung der internationalen Kooperation genannt. Dazu kommen disziplinspezifische Aufgaben, Vorschläge für konkrete institutionelle Maßnahmen sowie die Benennung der Teildisziplinen, denen, ausgehend von der nationalen und internationalen Entwicklung, Priorität eingeräumt werden sollte.

Trotz des komplexen Zugangs zur Beurteilung der tschechoslowakischen Wissenschaft ist die Aussagekraft der Quelle dadurch eingeschränkt, dass die Dokumente offensichtlich im politischen Auftrag und mit dem Ziel der Einflussnahme auf die Entscheider entstanden sind. Darüber hinaus sind nicht alle Autoren der Dokumente zweifelsfrei identifiziert, und auch über die Gründe für die Ablehnung im ZK ist wenig bekannt. Schließlich können ohne weitere Belege nur Vermutungen über den tatsächlichen Einfluss angestellt werden. Aus den genannten Gründen erscheint es sinnvoll, in der künftigen Forschung zur Wissenschaftsplanung diese Dokumente mit anderen Quellen in Beziehung zu setzen, um die Thematik aus mehreren Perspektiven zu beleuchten. Nichtsdestotrotz ist mit der Veröffentlichung ein erster Schritt getan und der ausführliche einleitende Aufsatz erleichtert nicht nur das Verständnis der Dokumente, sondern weist bereits auf mehrere mögliche Forschungspfade hin.

Darina Volf, München

Zitierweise: Darina Volf über: Plánování socialistické vědy. Dokumenty z roku 1960 ke stavu a rozvoji přírodních a technických věd v Československu. Ed. by Tomáš Hermann, Doubravka Olšáková. Červený Kostelec: Pavel Mervart, 2013. 235 S. = Práce z dějin vědy, 30. ISBN: 978-80-7465-040-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Volf_Hermann_Planovani_socialisticke_vedy.html (Datum des Seitenbesuchs)

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