Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Matthias Uhl

 

David M. Glantz / Jonathan M. House: The Stalingrad Trilogy. Volume 1: To the Gates of Stalingrad. Soviet-German Combat Operations, April–August 1942. Lawrence, KA: University Press of Kansas, 2009. XIX, 655 S., 87 Ktn., 23 Tab., zahlr. Abb. = Modern War Studies. ISBN: 978-0-7006-1630-5.

David M. Glantz / Jonathan M. House: The Stalingrad Trilogy. Volume 2: Armageddon in Stalingrad. September–November 1942. Lawrence, KA: University Press of Kansas, 2009. XXII, 896 S., 96 Ktn., 49 Tab., zahlr. Abb. = Modern War Studies. ISBN: 978-0-7006-1664-0.

Inhaltsverzeichnisse:
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Die Schlacht um Stalingrad war eine der blutigsten des Zweiten Weltkrieges. Die erbitterten Kämpfe zwischen der Wehrmacht und der Roten Armee um die Stadt, die den Namen des sowjetischen Diktators trug, kosteten mehr als 700.000 Menschen das Leben. Zugleich symbolisierte die Vernichtung der 6. Armee an der Wolga einen der entscheidenden Wendepunkte des Krieges.

Der US-amerikanische Militärhistoriker David M. Glantz widmet zusammen mit Jonathan M. House in der SerieModern War Studies“ dem blutigen Ringen um die Stadt an der Wolga eine Trilogie, von der bislang zwei Bände vorliegen. Im ersten Band mit dem Titel „To the gates of Stalingrad“ beschreibt das Duo die Vorgeschichte der Schlacht.

Zunächst stellen die beiden Autoren das Kräfteverhältnis an der sowjetisch-deutschen Front nach dem Scheitern vonBarbarossaund der Blitzkriegsstrategie der deutschen Wehrmacht dar. Hitler und das Oberkommando des Heeres (OKH) gingen davon aus, dass nur noch 1942 die Möglichkeit bestünde, mit der Masse der deutschen Kräfte an der Ostfront zu kämpfen. Danach würde sich das Rüstungspotential der Vereinigten Staaten spürbar bemerkbar machen und die Westalliierten neue Fronten gegen das Deutsche Reich eröffnen.

Zugleich sah sich der deutsche Diktator einer zunehmenden Treibstoffknappheit gegenüber. Wollte die Wehrmacht weiter einen mobilen Krieg führen, so glaubte Hitler nicht ohne die sowjetischen Erdölfördergebiete im Kaukasus und in Baku auszukommen. Deshalb arbeitete im Frühjahr 1942 der Chef der OKH, Generaloberst Franz Halder, den OperationsplanBlauaus. In vier Etappen sollte auf dem Südflügel der sowjetisch-deutschen Front zunächst der Verkehrsknotenpunkt Voronež ausgeschaltet werden, dann war das industriell wichtige Donezbecken zu besetzen. Schließlich sollte aus zwei Richtungen der große Donbogen eingenommen werden und im Raum Stalingrad der Vorstoß zur Wolga erfolgen. In einer vierten Phase hatten die deutschen Truppen und ihre Verbündeten dann nach Süden einzudrehen und den Kaukasus mit seinen Ölquellen zu erobern. Hierfür standen dem Oberkommandierenden der Heeresgruppe Süd, Feldmarschall Fedor von Bock, 71 deutsche Divisionen und 22 Divisionen der ungarischen, rumänischen, italienischen und slowakischen Verbündeten mit knapp 1,3 Millionen Mann zur Verfügung, die mit rund 1700 Panzern ausgestattet waren.

Stalin wiederum sah durch die Erfolge der sowjetischen Winteroffensive die Wehrmacht stark geschwächt und glaubte an die Möglichkeit neuer Angriffe gegen die deutschen Truppen. Der Generalstab unter Marschall Boris Šapošnikov bewertete die Kampfkraft der Roten Armee jedoch realistischer und drängte darauf, zunächst der Defensive den Vorzug zu geben und den ersten Stoß der Wehrmacht zu überlassen. Sowohl Stalin als auch der Generalstab waren sich darin einig, dass der sowjetischen Hauptstadt Moskau der nächste deutsche Angriff gelten würde, weshalb die Masse der Reserven der Roten Armee hier konzentriert worden war. Zugleich war es der sowjetischen Militärführung gelungen, die gewaltigen Verluste des deutschen Angriffes weitgehend auszugleichen, ja sogar die Schlagkraft der Truppen weiter zu erhöhen. Verfügte die Rote Armee am 1. Dezember 1941 über 314 Divisionen und 96 Brigaden mit rund neun Millionen Mann, so standen ein halbes Jahr später bereits elf Millionen Soldaten, gegliedert in 426 Divisionen und 148 Brigaden, unter Waffen.

Hinsichtlich der sowjetischen Strategie konnte sich zunächst Stalin durchsetzen, der mit mehreren örtlichen Offensiven die deutschen Angriffsvorbereitungen merklich stören wollte. Die wichtigste sollte dabei ausgerechnet gegen die 6. Armee der Heeresgruppe Süd im Raum Charkov erfolgen. Glantz zeigt jedoch, dass vor allem die mangelhafte Aufklärung und Versorgung sowie eine unkoordinierte Führung der sowjetischen Angriffsverbände zu einer vernichtenden Niederlage der sowjetischen Truppen führten, die fast 300.000 Mann verloren. Mit der Eroberung Sevastopols und der erfolgreichen Durchführung der OffensivenWilhelmundFridericusschuf die Wehrmacht schließlich die Voraussetzungen für die Ausführung des geplanten Angriffes auf Stalingrad und den Kaukasus. Zugleich hatten Stalin und seine Militärführung die Truppen der Roten Armee im Süden starkabgenutztund ihre Reserven an der falschen Stelle, nämlich um Moskau, gruppiert.

Die daraus resultierenden Anfangserfolge der OperationBlau, der erfolgreiche Vorstoß auf Voronež und die Einnahme der Stadt sowie das rasche Vordringen zum Don, ließen die deutsche Führung zunächst an ein Gelingen ihres Angriffsplanes glauben. Stalin, so zeigen Glantz und House, gelang es nicht, die sowjetische Verteidigung am Don zu stabilisieren. Indem der sowjetische Diktator gerade den bislang von vielen Historikern angenommenen strategischen Rückzug verweigerte, opferte er seine dort stehenden Truppen weitgehend. Zwar gelang es der Wehrmacht nicht, wie noch 1941, in großen Kesselschlachten Hunderttausende sowjetischer Soldaten gefangen zu nehmen, was nicht selten zu der Annahme verleitete, der Rückzug der Roten Armee sei planmäßig und ohne größere Verluste erfolgt. Glantz hingegen weist durch seine akribische Beschreibung des taktischen Ablaufs der schweren Kämpfe nach, dass die neun sowjetischen Armeen, die während der Schlacht um den Don der deutschen Umklammerung entkamen, nur noch Schatten ihrer selbst darstellten. Sie waren soweit zerstört, dass sie zunächst für neue Aufgaben nicht mehr verwendet werden konnten. Für die Härte der Kämpfe sprechen auch die offiziellen sowjetischen Verlustangaben. Die Rote Armee verlor innerhalb eines Monats zwischen Voronež und Vorošilovgrad mehr als 370.000 Mann oder fast ein Drittel der dort stehenden Truppen.

Hitler änderte schließlich, beflügelt von den deutschen Anfangserfolgen und im Glauben, dass sich die sowjetische Front im Süden in Auflösung befinde, seine bisherigen strategischen Planungen. Mit seiner Weisung Nr. 45 drängte er jetzt auf die gleichzeitig Besetzung Stalingrads und des Kaukasus. Hierfür spaltete er die bisherige Heeresgruppe Süd in die Heeresgruppen A und B auf. Während die Heeresgruppe A zunächst Rostow und dann den Kaukasus sowie Baku in Besitz nehmen sollte, hatte die Heeresgruppe B die Aufgabe Stalingrad zu besetzen. Damit zersplitterte der deutsche Diktator nicht nur seine ohnehin schwachen Angriffskräfte. Zugleich verschärfte er das ständig vorhandene Problem des Nachschubs, da die ohnehin nur unzureichende Logistik jetzt zwei Offen­siv­richtungen zu versorgen hatte.

Entsprechend verzögerte sich der deutsche Vormarsch. Zwar gelang es der Heeresgruppe B im August, den großen Donbogen einzunehmen und bis zur Wolga vorzustoßen. Dies verursachte jedoch durch den sich ständig verstärkenden sowjetischen Widerstand starke Verluste, die nicht mehr ersetzt werden konnten. Auch im Kaukasus lief sich die deutsche Offensive zunehmend fest. Deshalb drängte Hitler jetzt umso mehr auf eine Einnahme Stalingrads.

Den blutigen Kämpfen um die Stadt ist der zweite Teil der Stalingrad-Trilogie gewidmet, die nicht umsonst den TitelArmageddon in Stalingrad“ trägt. Glantz schildert zunächst, vor allem gestützt auf sowjetische Quellen aus dem Archiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation, wie die 6. Armee unter der Führung des Generals der Panzertruppen Friedrich Paulus versuchte, Stalingrad aus der Bewegung heraus einzunehmen, und wie dieses Vorhaben am erbitterten Widerstand der 62. Armee unter Generalleutnant Vasilij Čujkov scheiterte. Gleichzeitig zeigen die Autoren, welch hohen Blutzoll die sowjetischen Verteidiger zu zahlen hatten. Allein die 13. Garde-Schützendivision verlor Mitte September innerhalb von drei Tagen fast ihren gesamten Mannschaftsbestand und stand kurz vor ihrer kompletten Vernichtung. Es gelang der 62. Armee allerdings, den deutschen Angriff aufzufangen und damit den Plan zu vereiteln, Stalingrad aus der Bewegung heraus zu nehmen. Armeekommandeur Čujkov, der seine Truppen energisch, brutal und effizient führte, gelang dies indessen nur, weil er auf einen ständigen Zustrom von Reserven für seine sich rasch verbrauchenden Kräfte setzen konnte. Um die Stadt nicht den Deutschen zu überlassen, gewährte Stalin der schwer kämpfenden 62. Armee in Krisenlagen immer wieder Unterstützung, während es der Wehrmacht trotz aller Versuche nicht gelang, den über die Wolga führenden Nachschub für die Stalingrad-Kämpfer der Roten Armee zu stoppen.

Die Disziplin und der Kampfeswille der Soldaten der Roten Armee wurden aber nicht nur durch die eiserne Befehlsgewalt von General Čujkov aufrechterhalten. Vor allem die Sperreinheiten des NKVD sorgten dafür, dass Stalins BefehlKeinen Schritt zurückkonsequent durchgesetzt wurde. Allein vom 13. bis zum 15. September 1942fingendie Absperrtruppen des NKVD in Stalingrad 1218 Soldaten auf, die durch die harten Kämpfe von ihren Einheit versprengt worden waren und sich zur Wolga zurückziehen wollten. 21 von ihnen wurden sofort standrechtlich erschossen. Um den Abschreckungseffekt noch zu steigern, fanden die Hinrichtungen vor versammelter Mannschaft statt. Auch vor der Erschießung von hohen Offizieren schreckte man nicht zurück. Am 14. September 1942 wurde beispielsweise der Kommandeur eines Regiments der 399. Schützendivision zusammen mit seinem Regimentskommissar wegen Feigheit vor dem Feind hingerichtet, obwohl ihr Truppenteil in den pausenlosen Gefechten 70–80 Prozent seiner Kampfstärke verloren hatte.

Nachdem Paulus Plan einer raschen Besetzung der Stadt gescheitert war, musste eine systematische Eroberung Stalingrads Stadtteil für Stadtteil, Straße um Straße, Haus für Haus, zuweilen sogar Etage für Etage erfolgen. Zunächst nahmen die Divisionen der 6. Armee im Laufe des Septembers in blutigen und langwierigen Kämpfen den Südteil und weitere Bereiche des Stadtzentrums unter ihre Kontrolle. Dann folgten nicht minder heftige Gefechte um die Arbeitersiedlungen der großen Fabriken und den Mamaev Kurgan, dem wichtigsten strategischen Punkt der Stadt. Mitte Oktober gelang dem zur 6. Armee gehörenden LX. Armeekorps noch einmal ein taktischer Achtungserfolg, als ein Überraschungsangriff Čujkovs Truppen aus der bis dahin hart umkämpften Traktorenfabrik warf. In mühseligen und frustrierenden Angriffen kämpften sich die Einheiten der 6. Armee schließlich zur GeschützfabrikBarrikadnaja“ und zum StahlwerkRoter Oktober“ vor, deren endgültige Einnahme allerdings scheiterte. Anfang November 1942 hatte die 6. Armee schließlich 90 Prozent der Stadt eingenommen und Čujkovs 62. Armee auf einen schmalen Streifen entlang der Wolga zusammengedrängt. Doch damit hatte sich die Angriffskraft von Paulus Armee erschöpft, zu weiteren, selbst örtlichen Vorstößen waren die deutschen Truppen nicht mehr fähig.

Glantz und House schildern den Hergang dieser Kämpfe im Detail. Jeder einzelne Tag der Schlacht um die Wolgastadt wird unter Verwendung von deutschen und sowjetischen Quellen genau beschrieben. Die Stärken der beiden Seiten akribisch vergleichend, die Taktik und den Wandel der Kampfweise untersuchend, begibt sich das Werk in bislang nicht gekannter Weise in die Tiefen der Kriegsführung an der Ostfront. Hierin liegt die wesentliche Stärke der Arbeit der beiden Autoren, denn eine ausgewogene Schilderung der Kämpfe um Stalingrad gibt es gerade auf der Ebene der Divisionen und Regimenter bislang nicht.

Besonders drastisch zeigt das Werk die hohen Verluste auf beiden Seiten. Gerade, weil die deutschen Truppen in den Ruinen der schwer zerstörten Stadt nicht mehr auf ihre mobile Kampfweise und nur bedingt auf das bisherige Zusammenwirken von Luft- und Panzerwaffe zur Unterstützung der angreifenden Infanteristen setzen konnten, fielen derart viele Soldaten, dass manche Kompanien nur noch aus zehn bis zwölf Mann bestanden. Allein zwischen 21. August und 17. Oktober 1942 verlor die 6. Armee rund 40.000 Mann. Doch auch die Verluste an Material und Kampftechnik waren enorm und konnten, bedingt durch die Versorgungsengpässe auf den überdehnten Transportrouten, nur ungenügend ersetzt werden. Die 14. Panzerdivision verfügte beispielsweise am 31. Oktober 1942 nur noch über elf Panzer, was im Allgemeinen der Stärke einer Kompanie entsprach.

Auch die Verluste der 62. Armee erreichten das Ausmaß der Blutmühle von Verdun, mit der die Schlacht an der Wolga immer wieder verglichen wird. Die Verteidiger der Stadt hatten im Durchschnitt pro Tag etwa 300–500 gefallene Soldaten zu beklagen. Nicht wenige Kämpfer sahen sich vor die ausweglose Wahl Tod oder Gefangenschaft gestellt. Besonders drastisch schilderte ein Rotarmist in einem Brief an die Heimat die Ankunft eines Transportes mit 4000 Mann Verstärkung, der sofort zum Einsatz kam. Nur 15 bis 20 Mann überlebten ihr erstes Gefecht:Die Zeit, die nötig war, um diese Division zu zerstören, betrug nicht einmal 15 Minuten(S. 464). Insgesamt verlor die Rote Armee während der Abwehr der Operation Blau an den Fronten in Stalingrad und im Kaukasus mehr als 886.000 Soldaten an Toten, Vermissten und Gefangenen, weitere 698.000 Rotarmisten wurden während der Kämpfe verwundet.

Doch nicht nur in der Stadt starben die sowjetischen und deutschen Soldaten. Zur Entlastung der um ihr Überleben ringenden 62. Armee startete das sowjetische Oberkommando Mitte September 1942 im Raum Kotluban nordwestlich von Stalingrad mehrere Offensiven. Die hastig vorbereiteten und nur schlecht koordinierten Angriffe von drei Armeen der Stalingrader Front scheiterten jedoch unter hohen Verlusten. Innerhalb von drei Tagen verlor die Rote Armee bei den erbittert geführten Kämpfen mehr als 88.000 Mann an Toten und Verwundeten, wobei es jedoch nicht gelang, die Flanke der 6. Armee zum Einsturz zu bringen. Allerdings mussten auch die Truppen von Paulus empfindliche Verluste hinnehmen und die im Norden eingesetzten Divisionen fehlten merklich bei den Gefechten um die hart umkämpfte Stadt. Als im Oktober 1942 der Druck auf Čujkovs Truppen in Stalingrad immer weiter zunahm, befahl Stalin zwei weitere Offensiven im Raum Kotluban, die jedoch außer hohen Verlusten für die Rote Armee keine operativen Ergebnisse lieferten und den Verteidigern der Wolgastadt keine spürbare Entlastung brachten. Fataler war allerdings, so Glantz, die Langzeitwirkung der von den Deutschen im Norden von Stalingrad abgewehrten Offensiven der Roten Armee. Das Oberkommando der Wehrmacht wiegte sichbedingt durch die eigenen Abwehrerfolgederart in Sicherheit, dass es weite Teile des Raumes zwischen Don und Wolga und damit der Achillesferse der 6. Armee schließlich den Verbündeten zur Sicherung überließ. Genau hier erfolgte dann aber im November 1942 die Stalingrader Offensive der Roten Armee, denen die rumänischen und italienischen Truppen nichts entgegenzustellen hatten und die zur vernichtenden Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad und damit zu einer der entscheidenden Wenden im Zweiten Weltkrieg führte. Zugleich zeigen Glantz und House, dass die Rote Armee den Schock des Jahres 1941 überwunden hatte und Stalin allmählich begann, seinen Militärs in Fragen der Strategie zu vertrauen. Gleichzeitig entwickelten sich die Rotarmisten unter den Bedingungen desRattenkriegesin Stalingrad zu initiativreichen und verbissenen Kämpfern, die der Wehrmacht endgültig den Nimbus der Überlegenheit nahmen.

Glantz hat zusammen mit seinem Co-Autor House eine formidable Operationsgeschichte der Schlacht um Stalingrad vorgelegt, die vor allem durch ihre hohe Detaildichte und -kenntnis besticht. Diese führt allerdings dazu, dass die Lektüre ein ungemein hohes Maß an Konzentration erfordert. Gleichwohl verliert sich der Leser immer wieder im Nummernreigen der beteiligten Armeen, Divisionen, Regimenter, Bataillone und Kampfgruppen. Umso ärgerlicher ist dabei, dass die zahlreichen Karten in beiden Büchern kaum weiterhelfen, einen besseren Überblick über die Wirren der Kämpfe zu gewinnen. Der Versuch, Generalstabskarten auf weniger als einer halben Seite unterzubringen, führt einfach dazu, dass sie kaum zu entschlüsseln sind. Weniger wäre in diesem Fall mehr gewesen. Hilfreicher sind auf jeden Fall die zahlreichen beigefügten Tabellen, die nicht nur immer wieder die Zusammensetzung der Einheiten und das entsprechende Kräfteverhältnis während der verschiedenen Phasen der Schlacht um Stalingrad widerspiegeln, sondern auch eindeutig das Ausbluten der 6. Armee bereits vor ihrer Einkesselung belegen.

Schade ist, dass die beiden Werke der Trilogie ein nahezu typischer Glantz sind. Kleinteilige traditionelle Kriegsgeschichte auf taktischer und operativer Ebene, die ohne Verbrechen und zivile Verluste auskommt. Dafür finden sich jedoch seitenlange Quellenzitate und eine Vielzahl von biographischen Skizzen, die den Lesefluss immer wieder unterbrechen. Zudem bleiben zahlreiche offensichtliche Fragen bei der Lektüre unbeantwortet. Obwohl die Autoren die Fähigkeit der Sowjetunion betonen, ihre ungeheuren Verluste durch ein umfassendes Mobilmachungssystem mehr als zu ersetzen, wird diesem kaum eine Zeile gewidmet. Warum es gerade die Sowjetunion vermochte, alle verfügbaren Ressourcen für den Krieg zu mobilisieren, wird nicht diskutiert, ebenso die Frage, wie die Rüstungsindustrie der UdSSR nicht nur die hohen materiellen Verluste ersetzen konnte, sondern sogar bereits 1942 in der Lage war, Reserven für die strategische Gegenoffensive der Roten Armee zu schaffen.

Geradezu wie die deutschen Generalstäbler vernachlässigen die Autoren gleichfalls die logistischen Probleme der 6. Armee. Denn die pausenlosen Gefechte verschlangen ungeheure Mengen vor allem an Munition und Treibstoff. Zugleich musste aber auch die Versorgung der Soldaten mit Verpflegung und Bekleidung sowie der Abtransport der zahllosen Verwundeten sichergestellt werden. Auch darüber, wie der Befehlshaber der 62. Armee und das sowjetische Oberkommando einen ständigen Zustrom an Material, Waffen und Menschen organisierten und dafür sorgten, dass diese Lebensader nie abriss, findet der Leser kaum mehr als nichts.

Leider wird die Stalingrad-Trilogie dem Titel der ReiheModern War Studies“ nur bedingt gerecht, denn eine wirklich moderne Militärgeschichte haben Glantz und House nicht geschrieben. Ihr Werk ist vielmehr klassische Kriegsgeschichte, die die Schlachten des Kampfes um Stalingrad in den Mittelpunkt der Darstellung rückt. Zeitgemäße, sich verschränkende Forschungsfragen, die über die engen militärischen Grenzen hinausgehen, bleiben leider, trotz der intensiven Quellennutzung, unberücksichtigt. Vielleicht hätten die Autoren einen Blick in die Forschungsergebnisse des Wehrmachtsprojektes des Instituts für Zeitgeschichte werfen sollen, was sie, schenkt man dem Literaturverzeichnis Glauben, offensichtlich nicht getan haben. Insgesamt haben Glantz und House die Möglichkeit vergeben, ein Standartwerk vorzulegen, das auch außerhalb der militärhistorischen Forschung gebührend wahrgenommen würde. Gleichwohl wird niemand, der sich ernsthaft mit der Schlacht um Stalingrad beschäftigt, an diesenbuchstäblichgewichtigen zwei Werken vorbeikommen.

Matthias Uhl, Moskau

Zitierweise: Matthias Uhl über: David M. Glantz / Jonathan M. House: The Stalingrad Trilogy. Volume 1: To the Gates of Stalingrad. Soviet-German Combat Operations, April–August 1942. Lawrence, KA: University Press of Kansas, 2009. XIX, 655 S., 87 Ktn., 23 Tab., zahlr. Abb. = Modern War Studies. ISBN: 978-0-7006-1630-5. David M. Glantz / Jonathan M. House: The Stalingrad Trilogy. Volume 2: Armageddon in Stalingrad. September–November 1942. Lawrence, KA: University Press of Kansas, 2009. XXII, 896 S., 96 Ktn., 49 Tab., zahlr. Abb. = Modern War Studies. ISBN: 978-0-7006-1664-0., http://www.oei-dokumente.de/JGO/erev/Uhl_SR_Glantz_Schlacht_um_Stalingrad.html (Datum des Seitenbesuchs)

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