Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Matthias Uhl

 

Anna Krylova: Soviet Women in Combat. A History of Violence on the Eastern Front. Cambridge, New York [usw.]: Cambridge University Press, 2010. XVI, 320 S., 26 Abb., 3 Tab. ISBN: 978-0-521-19734-2.

Während des Zweiten Weltkrieges dienten fast eine Millionen Frauen in den Reihen der Roten Armee. Mehr als 120.000 von ihnen kämpften direkt als Scharfschützinnen, Pilotinnen und sogar als Panzerfahrerinnen an der deutsch-sowjetischen Front, von den Soldaten der Wehrmacht nicht selten als „Flintenweiber“ bezeichnet. Bereits am 29. Juni 1941 verfügte der Oberbefehlshaber der 4. Armee Günther von Kluge, dass Frauen in Uniform der Roten Armee sofort zu erschießen seien. Auch wenn das Oberkommando des Heeres diesen Befehl nur kurze Zeit später wieder rückgängig machte, wurde von deutscher Seite der Kampf gegen die Soldatinnen der Roten Armee mit größter Brutalität geführt. Diesen Frauen – bislang kaum von der Historiographie beachtet – hat Anna Krylova ihr Buch gewidmet.

Nach einer kurzen Einleitung geht sie zunächst der Frage der Militarisierung der stalinistischen Gesellschaft in den 1930er Jahren und der Rolle der Frau im System der Landesverteidigung der UdSSR nach. Vor allem die breitangelegte vormilitärische Ausbildung an den Schulen und weiterführenden Bildungseinrichtungen sorgte dafür, dass sich im Sozialismus Weiblichkeit und Soldatentum nicht wie bisher ausschlossen. Zugleich erhielten die Frauen gleichberechtigte Spezialausbildungen als Fallschirmspringerinnen, Pilotinnen, Panzerfahrerinnen und Scharfschützinnen. Sie erwarben so militärische Qualifikationen, die für die Führung eines modernen Krieges unverzichtbar waren. Derart militarisiert und mobilisiert, waren die jungen Sowjetbürgerinnen kriegsbereit gemacht worden, wie noch keine Frauengeneration vor ihnen. Damit entstand, zudem durch Presse, Film und Literatur gezielt gefördert, bei vielen der Wunsch und der Wille, mit den Männern gleichberechtigt auch in Kampfeinheiten der Roten Armee zu dienen.

Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion wollten hunderttausende sowjetische Frauen und Mädchen an die Front, um zu kämpfen. Allein in Leningrad drängten in den letzten Junitagen des Jahres 1941 mehr als 27.000 Frauen zu den Waffen. In ihrem zweiten Kapitel beschreibt die Autorin den Weg der Frauen an die Front und untersucht die einzelnen Phasen der Mobilisierung der weiblichen Kämpfer während des Krieges. Besonders in den Jahren 1942 und 1943 wurden im Rahmen mehrerer Mobilisierungskampagnen zahlreiche Soldatinnen in die Reihen der Roten Armee aufgenommen. Dass es sich bei diesen Maßnahmen – wie Krylova schreibt – um staatliche Reaktionen auf Druck der sowjetischen Frauen handelt, ist indes eher nicht anzunehmen. Denn die neu eingezogenen Soldatinnen dienten eher dazu, Lücken in ausgekämmten rückwärtigen Einheiten zu füllen, deren Soldaten wegen der hohen Verluste an der Front zu den Kampftruppen versetzt worden waren. So wurden im Mai 1942 mehr als 100.000 junge Frauen für die Truppen der Heimatluftverteidigung mobilisiert und im Januar 1943 rund 25.000 Soldatinnen zu den Seestreitkräften eingezogen, wo sie ihren Dienst vor allen in Einheiten der Küstenverteidigung und der Marineverwaltung versahen. Gleichwohl experimentierte die sowjetische Militärführung zwischen 1942 und 1943 mit einer Infanterie-Brigade, die ausschließlich aus Frauen bestand. Zum Kampfeinsatz gelangte der Truppenteil allerdings nicht, lediglich ein Teil der Offizierinnen wurde nach Auflösung der Brigade an die Front versetzt. Damit wird deutlich, dass der Militärführung wohl das Vertrauen in die Kampfkraft der Frauen fehlte, denn kaum mehr als zehn Prozent aller Soldatinnen, kämpften tatsächlich mit der Waffe in der Hand direkt gegen die Wehrmacht.

Mit dem Fronteinsatz dieser Frauen beschäftigt sich das dritte Kapitel des Bandes. Die Autorin widmet sich hier u.a. den Beziehungen zwischen den männlichen und weiblichen Soldaten und vertritt dabei die These, dass die zunehmende Mechanisierung der Roten Armee ein „Regendering“ und damit einen wachsenden Einfluss der Frauen in den Streitkräften begünstigt habe. Zugleich werden Fragen von Weiblichkeit und Sexualität untersucht, wobei die Autorin davon ausgeht – was wohl zu diskutieren ist –, dass die in den Kampfeinheiten dienenden Frauen keinen sexuellen Übergriffen ausgesetzt waren. Doch merkwürdigerweise blendet Krylova gerade im „Frontkapitel“ wichtige Bereiche des militärischen Alltagslebens der Frauen, wie Zerstörung, Verwundung, Tod, Verlust und Gefangenschaft, weitestgehend aus.

Gerade deshalb hat Frau Krylova keine Geschichte der Gewalt an der Ostfront geschrieben, wie der Untertitel ihres Buches ankündigt. Hierfür hätte sie neben den von ihr verwendeten Akten aus dem Russischen Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte und dem Staatsarchiv der Russischen Föderation auch Dokumente aus dem Russischen Militärarchiv oder gar dem nur schwer zugänglichen Archiv des Verteidigungsministeriums heranziehen müssen. Stattdessen greift Krylova zumeist auf Memoirenliteratur der Sowjetzeit zurück. Hier spiegeln sich, da die Autorin ihre Quellen nur selten kritisch genug würdigt, zumeist nur romantische und propagandistisch geschönte Vorstellungen des brutalen Frontgeschehens wider. Der blutige Alltag der Frauen an der Front wird nicht thematisiert. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, warum die Frauen nach dem Ende des Krieges so rasch als ‚Fremdkörper‘ aus den sowjetischen Streitkräften wieder verschwanden.

Ohne Zweifel hat Frau Krylova ein überaus lesbares, interessantes und zu Diskussionen anregendes Buch vorgelegt. Eine wirkliche Geschichte der weiblichen Soldaten der Roten Armee im Kampfeinsatz ist ihr – auch oder gerade wegen ihres zumeist eindimensionalen Quellenansatzes – nicht gelungen. Diese wird noch zu schreiben sein.

Matthias Uhl, Moskau

Zitierweise: Matthias Uhl über: Anna Krylova: Soviet Women in Combat. A History of Violence on the Eastern Front. Cambridge, New York [usw.]: Cambridge University Press, 2010. XVI, 320 S., 26 Abb., 3 Tab. ISBN: 978-0-521-19734-2., http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Uhl_Krylova_Soviet_women_in_combat.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2014 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg and Matthias Uhl. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.