Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Antje Thumser

 

Dennis Hormuth: Livonia est omnis divisa in partes tres. Studien zum mental mapping der livländischen Chronistik in der Frühen Neuzeit (1558–1721). Stuttgart: Steiner, 2012. 248 S., Tab. = Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, 79. ISBN: 978-3-515-10097-7.

Aus den unterschiedlichsten Gründen wurden im frühneuzeitlichen Livland Vertreter der intellektuellen geistlichen und politischen Elite historiographisch tätig, doch so verschiedenartig die Intentionen und Ausrichtungen der chronikalischen Werke auch sind, ist ihnen gleichwohl eines gemeinsam: Sie zeugen von den subjektiven Vorstellungen ihrer Autoren von der historischen Region Livland. Acht dieser Chroniken zieht Dennis Hormuth in seiner am Kieler Lehrstuhl für osteuropäische Geschichte entstandenen Dissertation heran, um zu ergründen, worauf das mental mapping der frühneuzeitlichen livländischen Chronisten aufbaut, und wählt mithin einen diskursanalytischen Ansatz, der in der osteuropäischen Geschichtswissenschaft nun schon seit längerem Konjunktur hat. Während dort bislang meist Entwürfe und Konzepte von Räumen in ihrer Kon­struiert­heit von außen erforscht wurden, beschreitet Hormuth einen neuen Weg, wenn er der Frage nachgeht, auf welche Weise die livländischen Chronisten einen Raum als ihren eigenenidentifikatorischen Bezugsraum markieren“ (S. 23), wobei ihm durchaus bewusst ist, dass die Chroniken immer nur einenAusschnitt aus dem Set der raumbezogenen Identitäten“ ihrer Verfasser wiedergeben (S. 24). Den Untersuchungszeitraum spannt er mit seiner Quellenauswahl über 150 Jahre vom Ausbruch des Livländischen Kriegs 1558 bis zum Ende des Großen Nordischen Krieges 1721 und begründet dies einleuchtend mit dem Vorteil der eher gleichförmigen Quellenbasis, die sich qualitativ wie quantitativ grundlegend von der ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in Livland aufkommenden Aufklärungspublizistik unterscheide. Zudem erachtet er die ausgewählte Periode zu Recht als besonders reizvoll, weil Livland in dieser Zeit immer wieder Herrschaftswechseln unterworfen war, was sich zwangsläufig auf das Selbstverständnis der Chronisten auswirkte.

Die Arbeit Hormuths ist völlig stringent aufgebaut. In einem ersten theoretisch-me­tho­dologischen Kapitel liefert er eine kurze Einführung in den Untersuchungsgegenstand, definiert den für seine Überlegungen grundlegenden Terminus der Identitätsregionen, erläutert die analytische Methode des mental mapping, begründet die Quellenauswahl und sichtet die Forschungsliteratur. In einem zweiten Kapitel vermittelt er den historischen Kontext vom Mittelalter bis hin zur polnisch-schwedischen Zeit, beschreibt die politische und gesellschaftliche Struktur Livlands in der Frühen Neuzeit und informiert über Religion und Geistesleben. Im folgenden großen Analysekapitel bearbeitet Hormuth dann die historiographischen Werke in chronologischer Reihenfolge. Um eine genuin livländische Sichtweise bei möglichst positiver Selbstdarstellung zu erhalten, sind in seinen Kanon ausschließlich Chroniken von Verfassern aufgenommen, die entweder in Livland geboren waren, wie Balthasar Rüssow, Gustav von Lode und Otto Fabian von Wrangell, oder sich, was für Salomon Henning, Moritz Brandis, Franz Nyenstede, Dionysius Fabricius, Thomas Hiärn, Christian Kelch gilt, als Einwanderer zumindest dauerhaft dort niedergelassen hatten und somit ebenfalls als Vertreter einer livländischen Selbstverortung gelten können. Denn es sind vor allem diese Selbstverortungen der Autoren, die Hormuth auf vieridentifikatorischen Bezugsebenen“ ergründen will. Für seine Analysen bedient er sich, dem komparatistischen Ansatz geschuldet, eines immer gleichen Rasters. Nach einer knappen Einführung in Autor und Werk wobei gelegentlich etwas mehr Informationen zur Anlage und vor allem zur Quellenbasis der Chroniken wünschenswert gewesen wären, um in Abgrenzung von der historiographischen Tradition in Livland die Eigenleistung und damit auch die subjektiven Vorstellungen der Chronisten deutlicher herauszustellen werden nacheinander auf vier Maßstabs­ebenen die möglichen Selbstverortungen der Chronisten abgehandelt. Die lokale Maßstabsebene betrifft die Selbstverortung im Rahmen einer Stadt, eines Dorfes oder Gutes. Auf der kleinregionalen Maßstabsebene finden sich die Selbstverortungen, die ganz Livland oder seine Teilgebiete betreffen. Die Maßstabsebene der großregionalen Selbstverortungen geht in ihrer Ausdehnung über das livländische Gebiet hinaus und umfasst auch religiöse und konfessionelle Selbst- und Fremdzuschreibungen, da diese immer auf einen großregionalen Raum bezogen werden könnten. Auf der vierten Maßstabsebene wird die politische Selbstverortung im Rahmen einer composite monarchy untersucht. Anschließend werden die Ergebnisse in aller Kürze zur mental map des jeweiligen Autors verdichtet. Da Hormuths Analysen insgesamt recht knapp ausfallenden Chronisten werden durchschnittlich fünfzehn Seiten zugemessen, die Chronik des Moritz Brandis wird auf nur acht, die des Dionysius Fabricius auf gerade einmal sechs Seiten abgehandelt, stellt sich allerdings die Frage, ob die Werke tatsächlich immer angemessen gewürdigt wurden.

Auf den analytischen Teil der Arbeit folgt ein achtseitiger Exkurs zu den Landesbeschreibungen und der Raumwahrnehmung der Chronisten. Dass die Landesbeschreibungen in der Analyse ausgespart wurden, begründet Hormuth unter anderem mit der mangelnden Relevanz des Themas für die Chronisten. Aber sind die an exponierter Stelle, ganz am Anfang der jeweiligen Werke stehenden Landesbeschreibungen für die Chronisten wirklich so belanglos? Immerhin gesteht ihnen auch Hormuth eine gewisse Aussagekraft für die Vorstellungen der Autoren über Livland zu (S. 173).

Die Arbeit schließt mit einer fünfundzwanzigseitigen Synthese, in der Hormuth, wiederum unter Berücksichtigung der vier Maßstabsebenen und noch um einige zusätzliche Erkenntnisse erweitert, die mental maps der einzelnen Chronisten zu einer kollektiven mental map der livländischen Chronistik im Untersuchungszeitraum vereint. Demnach lässt sich nur bei einigen Autoren ein Schwerpunkt der Selbstverortung auf der lokalen Maßstabsebene nachweisen, dagegen Livland bei allen Autoren auf der kleinregionalen Maßstabsebene als bestimmende Identitätsregion ausmachen. Auf der großregionalen Maßstabsebene betrachtet, würden Selbst- und Livlandverortungen weit über die Landesgrenzen hinaus in mehreren größeren IdentitätsregionenHormuth nennt hier unter anderem den Norden, den Ostseeraum, Europa, das Christentumvorgenommen. Insofern kommt Hormuth zu dem Schluss, dass die Einbindung in politische, kulturelle, religiöse, wirtschaftliche und natürliche Räume Livland Eigenschaften zuwiesen habe, die es in ihrer Kombination erst als Livland identifizierbar gemacht hätten (S. 218). Auf der politischen Maßstabsebene lasse sich bei allen Chronisten die Selbstverortung bei dem jeweiligen politischen Oberherrn der composite monarchy nachweisen; sie alle stellten sich selbst als loyale und treue Untertanen des Landesherrn dar und deuteten die Ereignisse in und um Livland aus dessen Blickwinkel.

In der klar strukturierten, gut lesbaren und durchaus selbstbewusst geschriebenen Monographie wird ein hochinteressanter Textkanon mit einem methodischen Ansatz untersucht, der gut geeignet ist, die Quellen zum Sprechen zu bringen, dabei aber den Texten nicht immer ganz gerecht wird.

Antje Thumser, Berlin

Zitierweise: Antje Thumser über: Dennis Hormuth: Livonia est omnis divisa in partes tres. Studien zum mental mapping der livländischen Chronistik in der Frühen Neuzeit (1558–1721). Stuttgart: Steiner, 2012. 248 S., Tab. = Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa, 79. ISBN: 978-3-515-10097-7, http://www.oei-dokumente.de/JGO/erev/Thumser_Hormuth_Livonia_est_omnis_divisa.html (Datum des Seitenbesuchs)

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