Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Paul Srodecki

 

Deutsche und Polen in der Aufklärung und in der Romantik. Verweigerung des Transfers? Hrsg. von Ewa Szymani. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2011. 227 S., 12 Abb. = Studien zum deutsch-polnischen Kulturtransfer, 2. ISBN: 978-3-86583-575-8.

Inhaltsverzeichnis:

http://d-nb.info/1016587414/04

 

Der vorliegende Sammelband widmet sich den vielfältigen Erscheinungen des Kulturtransfers zwischen Deutschen und Polen in der Zeit der Aufklärung und der Romantik. Die meisten Beiträge wurden von Mitgliedern des Germanistischen Instituts und dem Willy-Brandt-Zentrum der Universität Breslau verfasst.

Gegliedert ist das Sammelwerk in vier Teile. Der erste Abschnitt widmet sich Schlesien als dem Schnitt- und Knotenpunkt der preußischen und der polnischen Kulturzone im 18. und 19. Jahrhundert. Dorota Sidorowicz-Mulak und Lucyna Harc machen in ihren Aufsätzen (Zeitschriften von Piotr Świtkowski und dieMinervavon Johann Wilhelm von Archenholtz; Polen und Preußen in der Beurteilung Breslauer meinungsbildender Eliten in der Aufklärungszeit) auf den deutsch-polnischen Transfer aufklärerischer Ideen im Kreis Breslauer Intellektueller preußischer Herkunft aufmerksam. Joanna Jendrych beschreibt in ihrem Artikel Halb- oder Mitbürger? Die Lage der Juden in Schlesien um die Wende des 18. Jahrhunderts anhand von ausgewählten Reiseberichten und Beiträgen aus schlesischen Zeitschriften den Emanzipationsprozess der schlesischen Juden im Königreich Preußen um 1800. Von dem ambivalenten Bild des vorindustriellen Oberschlesien handelt der Aufsatz Zwischen Aberglaube und Aufklärung. Oberschlesien in der publizistischen Aufklärungsdiskussion zwischen Schlesien und Brandenburg 1785–1806 von Łukasz Bieniasz. Der Autor weist auf das in der schlesischen und brandenburgischen Publizistik der letzten Dezennien des 18. Jahrhundertssehr kontrovers diskutierte Thema der Lage Oberschlesiens und der Oberschlesierwie auchihrer Position unter den anderen brandenburgischen Provinzenhin. (S. 47) Dabei entlarvt Bieniasz den von den preußischen Eliten geführten Oberschlesien-Diskurs als eine Art von oben gelenkter Propaganda, kann doch das Oberschlesien zugeschriebenebarbarische Bild auch als eine Auseinandersetzung der preußischen Politik mit der österreichischen vergangenen Verwaltungbetrachtet werden:Erst die preußischeReparaturbringt frischen Atem und Hoffnung für die wirkliche und sinnvolle Entwicklung dieser Provinz und ihrer Bewohner.(S. 52) Die auf einer Alteritätskonstruktion aufbauende Desavouierung des Fremden sollte auf diese Weise das sich der kulturellen Angleichung verweigernde Oberschlesien auf eine vom Berliner Zentrum aggressiv geführte Prussifizierung vorbereiten. Der den ersten Teil der Aufsatzsammlung abschließende Beitrag von Wojciech Kunicki zeigt das politisch und national Indifferente an der Inszenierung der schlesischen Landschaft in den Gedichten des Breslauer Lyrikers Samuel Gottlieb Bürde auf.

Der zweite Abschnitt des Sammelbands unter dem Titel Mäander des Kulturtransfers wartet mit zwei Beiträgen auf. Der Beitrag von Marcin Cieński (Übersetzungen aus dem Deutschen ins Polnische in der zweiten Hälfte des 18. und am Anfang des 19. Jahrhunderts im Transferprozeß der Aufklärung) widmet sich der Analyse des Transfers von aufklärerischen Schriften wie auch literarischen Werken solcher Schriftsteller wie Goethe oder Schiller und ihrer Übersetzung ins Polnische im 18. Jahrhundert. Cieński zufolge lässt sicheine dauerhafte und ununterbrochene, wenn auch in ihrer Kraft variable, Präsenz deutscher Einflüsse in Form von Texten und Personen in der Kultur und Literatur der polnischen Aufklärung verfolgen(S. 103). Krzysztof Żarski verweist in seinem Aufsatz hingegen auf den religiösen Faktor innerhalb des ostmitteleuropäischen Kulturtransfers. Religion habe als eine nach rückwärts gewandte und sich Neuerungen und progressiven Geistes­strömungen verwehrende Grundlage der Kultur den Transferprozessen in hohem Grade verhindert. Als Beispiel führt Żarski den preußischen General und Politiker Friedrich August Ludwig von der Marwitz (17771837) auf. Der auf seine aristokratische Herkunft großen Wert legende und seine zutiefst konservative wie antirevolutionäre Weltanschauung betonende Marwitz sah in Polen eine heruntergewirtschafteteWildnis, die nur unter der strengen preußischen Führung den Anschluss an die zivilisierte Welt finden könne. Den rückständigen polnischen Katholizismus und die zahlreichen Privilegien der polnischen Szlachta machte Marwitz für den Niedergang des polnischen Staates im 18. Jahrhundert verantwortlich.

Im dritten Abschnitt der Aufsatzsammlung wird sodann die Bedeutung der konfessionellen Differenzen zwischen Deutschland und Polen und ihre Auswirkungen auf den unterschiedlichen Kulturtransfer innerhalb der Aufklärung und der Romantik nachgezeichnet. Aleksandra Chylewska zeigt in ihrem Aufsatz Erneuerungsbestrebungen in der katholischen Aufklärung in Deutschland und Polen die Hindernisse,die einen unvoreingenommenen Transfer zwischen Polen und Deutschland auch im Rahmen der gleichen Konfession schwierig machten.(S. 10) Während die katholische Kirche in Deutschland aufklärerische Impulse aus dem protestantischen Norden und Osten schöpfte, musste die polnische katholische Kirche erst einmal die sich neuem Wissen verschließende Barockfrömmigkeit der Gegenreformation überwinden. Dennoch zählte die katholische Kirche in Polen zu den Pionieren der Aufklärung. Neben den rückwärtsgewandten konservativen Kreisen des Klerus hatte das aufklärerische Gedankengut seit dem frühen 19. Jahrhundert auch gegen die polnische Romantik zu kämpfen. Zwei Aufsätze von Marta Kopij und von Ewa Szymani (Poetologische Konzepte in der deutschen Frühromantik und der polnischen Romantik; Romantische Religiosität in Polen am Beispiel ausgewählter Texte von Adam Mickiewicz) widmen sich sodann der ambivalenten Rolle der Romantik bei den Kulturtransfers des frühen 19. Jahrhunderts. Allen voran hielten die polnischen Romantiker die Religiosität des Volkes in Zeiten fehlender Staatlichkeit für ein wichtiges Fundament, einen wichtigen Orientierungsanker der polnischen Identität. Diese explizite Abkehr der polnischen Romantiker von den zwischenstaatlichen Kulturtransfers hatte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Entwicklung einer Elite zur Folge,die einen Kulturtransfer aus dem Westen nicht nur nicht realisiert hat, sondern ihn auch dezidiert ablehnte(S. 10).

Der letzte Teil des Sammelbandes stellt einige Protagonisten des deutsch-polnischen Kulturtransfers innerhalb des behandelten Zeitraums vor. Jan Pacholski zeichnet das Wirken des ermländischen Bischofs Ignacy Krasicki (17351801) nach (Bischof Ignatius im ermländisch-polnisch-preußischen Dreieck); rg-Ulrich Fechner rückt den Grafen Christian von Haugwitz (17521832) ins Zentrum seiner Abhandlung (Graf Haugwitz und eine christliche Aufklärung? Ein Versuch der Annäherung) und Anna Jezierska geht der Frage nach den Einflüssen des Barock und des Rokoko in den Werken des Breslauer Malers Adolph Menzel (18151905) nach (Die Rezeption von Barock und Rokoko im Schaffen Adolph Menzels).

Eines der Ziele der Aufsatzsammlung sei es aufzuzeigen,dass die theoretischen Konturen jener Konzeptionen, die in Westeuropa erarbeitet und entwickelt wurden, im ost- und mitteleuropäischen Raum auf Grund deren unterschiedlicher geschichtlicher Situation an Schärfe verlieren(S. 7) und somit nicht eins zu eins anzuwenden seien. Auch wenn sich alle der insgesamt dreizehn Essays an dem von Michel Espagne und Michael Werner Mitte der achtziger Jahre in Frankreich und Deutschland erarbeiteten anthropologischen Kulturtransferbegriff orientieren, so zeigt sich im Umgang der Beiträge damit dennoch eine große Elastizität und Flexibilität. Hierdurch sollen die Spezifika der deutsch-polnischen Austauschprozesse im 18. und 19. Jahrhundert beschrieben werden. Die Modifikation des traditionellen Espagne/Werner-Kulturtransferbegriffs rechtfertigt die Herausgeberin Ewa Szymani neben den kulturellen Eigenheiten des ostmitteleuropäischen Untersuchungsraums mit den Möglichkeiten, die solch ein Vorgehen bietet. Dabei folgen die Beiträge einer Transferdefinition, die als Voraussetzung für den Transferimmer eine kritische Reflexion des Eigenen voraussetzt und in diesem Sinne eine typisch postaufklärerische Haltung ist(S. 8). So werden letzten Endes die individuellen Bemühungen der hier beleuchteten Protagonisten der deutsch-polnischen Aufklärung und Romantikum eine Reform des vorgefundenen sozialen und politischen Zustands(S. 8) veranschaulicht. Bereits der Untertitel der Aufsatzsammlung verweist auf die Problematik des (verweigerten) deutsch-polnischen Kulturtransfers in den behandelten Zeiträumen. Nicht zuletzt wegen der gegenseitigen Vorurteile bliebder deutsch-polnische und polnisch-deutsche Transfer in den Epochen der Aufklärung und Romantik [] in vielen Aspekten unvollkommen. [] Die Eliten verschanzten sich in ihren Positionen; und auch eventuelle Nutzen, die sich aus einem wirksamen Transfer von kulturellen Gütern ergeben würden, wurdenmisstrauisch als möglicher Verlust eigener Identität beurteilt(S. 11). Die Folge waren nur sporadisch auftretende, da von unten aktivierte und dementsprechend schlecht organisierte Transfererscheinungen zwischen Deutschen und Polen.

Zusammengefasst bietet die Aufsatzsammlung eine Fülle an Beiträgen zu unterschiedlichen Aspekten des deutsch-polnischen Kulturtransfers in der Aufklärung und der Romantik. Wenn es an diesem Band etwas zu kritisieren gibt, so ist es die unausgeglichene Auswahl der Beiträger: Von den dreizehn Aufsätzen entstammt nur ein Artikel der Feder eines deutschen Wissenschaftlers. Gerade bei einer interkulturellen Studie wäre eine ausgewogenere Verteilung der Beiträge wünschenswert gewesen.

Paul Srodecki, Gießen

Zitierweise: Paul Srodecki über: Deutsche und Polen in der Aufklärung und in der Romantik. Verweigerung des Transfers? Hrsg. von Ewa Szymani. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2011. 227 S., 12 Abb. = Studien zum deutsch-polnischen Kulturtransfer, 2. ISBN: 978-3-86583-575-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Srodecki_Szymani_Deutsche_und_Polen.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2015 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg and Paul Srodecki. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.