Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews (2017), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Paul Srodecki

 

Beyond the Balkans. Towards an Inclusive History of Southeastern Europe. Ed. by Sabine Rutar. Wien, Berlin: LIT, 2014. 499 S. = Studies on South East Europe, 10. ISBN: 978-3-643-10658-2.

Inhaltsverzeichnis:

http://d-nb.info/1046971816/04

 

Der vorliegende Band folgt dem geschichtswissenschaftlichen Trend der letzten Jahre, bemühen doch die Beiträge mit dem Konzept der entangled history neue, transregionale Perspektiven auf den südosteuropäischen Raum. Der Herausgeberin Sabine Rutar zufolge ist das Hauptanliegen des Buches „the creation of an entangled, translocal, and transregional vision of southeastern Europe that incorporates Europe and the wider world.“ (S. 23) Den trans- bzw. supraregionalen Ansatz verdeutlicht schon die Heterogenität der Essays, finden sich doch neben explizit den südosteuropäischen Raum behandelnden Abhandlungen auch vergleichende Beiträge zu anderen europäischen ‚Randregionen‘ wie etwa Irland, Skandinavien oder dem Baskenland.

Der erste Teil des Sammelbandes vereinigt Beiträge zu gebrochenen und ungebrochenen Kontinuitäten vor dem (metahistorischen) Hintergrund räumlicher und zeitlicher Paradigmen im südöstlichen Europa wie auch in anderen europäischen Regionen. John Breully beleuchtet die verschiedenen Formen des Nationalismus in Südosteuropa und ordnet diese in einer globalen Perspektive ein. Diana Mishkova widmet sich mit der „space-time constitution“ einem grundlegenden Problem der südosteuropäischen Geschichte und zeigt die Divergenzen zwischen national- und regionalhistoriographischen Narrativen. Ähnlichen Fragen geht auch Katrin Boeckh in ihrem Essay Perspektiven einer Religions- und Kirchengeschichte des südöstlichen Europas: Netze über Raum und Zeit nach. „Über den Islam“, so Boeckh, lässt sich „wie über viele andere religiöse Bezüge […] eine Verbindung in den weiteren osteuropäischen Bereich herstellen, sodass auch diesem eine Mittlerfunktion zwischen West und Ost zugeschrieben werden könnte.“ (S. 224) Im krassen Gegensatz zu den ineinander verwobenen Verflechtungen von Staat und Religion im östlichen und südöstlichen Europa stehen hier die (vermeintlich) weitgehend säkularisierten Nationalstaaten West- und Nordeuropas. Dass auch hier „sich Religiöses und Nationalistisches […] miteinander verzahnte[n]“, weiß Helke Stadtland zu berichten. Stadtland zufolge ist der letztere Befund „unumstritten“, „vielmehr gilt es nun zu prüfen, […] wie dieser Prozess jeweils genau verlief, wovon er angestoßen wurde, […] welche Bedeutungsveränderungen sich jeweils bei dem Transfer religiöser Konzepte in nationalistische Bezugsrahmen ergaben, […] welchen Funktionen die enge und interdependente Verbindung von Religion und Nation im Einzelfall diente“ oder schließlich, „welche Konsequenzen auf dem politischen, dem religiösen und dem kulturellen Sektor für welche denominationalen, sozialen, ethnischen oder regionalen Gruppen jeweils zu verzeichnen waren“ (S. 196). Guido Franzinetti vergleicht in seinem Beitrag die auf den ersten Blick nur wenige Gemeinsamkeiten aufweisenden europäischen Peripherien des östlichen Europas und Irlands. Vangelis Kechriotis stellt die von ihm als „elective affinities“ bezeichneten Vernetzungen zwischen den Balkanstaaten und dem Osmanischen Reich im sogenannten langen 19. Jahrhundert vor.

Im zweiten Teil des Buches finden sich unter der Überschrift Approaching Agency u. a. Beiträge zum ethnisch heterogenen Zusammenbau der osmanischen Armee unter Mahmud II. (Y. Hakan Erdem), zu den sozialen Unruhen im Kroatien-Slawonien des späten 19. Jahrhunderts (Stefano Petrungaro), zur Situation der tschechischen Minderheit im überwiegend italienischsprachigen Triest vor und nach dem Ersten Weltkrieg (Borut Klabjan) sowie zur Geschichte der Arbeiterbewegung am Beispiel Jugoslawiens (Sabine Rutar). Vesna Drapac skizziert in ihrem Beitrag den Widerstand wie auch die Kollaboration innerhalb der katholischen Kirche während des Zweiten Weltkriegs mit besonderer Berücksichtigung Kroatiens.

Der letzte Themenblock des Sammelbandes widmet sich der Konstruktion von Identitäts-, aber auch Alteritätsdiskursen. Stefan Rohdewald zeigt in seinem Beitrag, welche tragende Rolle Kyrill und Method als identitätsstiftende Orientierungsanker im östlichen und südöstlichen Europa grenzübergreifend in der Vergangenheit hatten. Dabei spielte insbesondere die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts eine wichtige Rolle, wurde doch erst damals „die Referenz auf Kyrill und Method […] in einem transnationalen Kommunikationszusammenhang der Ausgestaltung moderner nationaler Identitäten von slowenisch bzw. südslawisch/kroatisch orientierten Geistlichen und schmalen bildungsbürgerlichen Eliten sowie von bulgarischen und serbischen Wortführern weniger revitalisiert als vielmehr grundlegend neu erfunden“ (S. 375). Dem ethnisch wie religiös heterogenen Bosnien-Herzegowina widmet sich Falk Pingel, der in seinem Beitrag die Rolle der Internationalen Gemeinschaft und ihren Versuch, nach den Jugoslawienkriegen der neunziger Jahre Einfluss auf die bosnisch-herzegowische Bildungspolitik zu nehmen, nachzeichnet. Dass in Europa insbesondere urbane Räume seit dem Mittelalter einen hohen Verflechtungsgrad an verschiedenen Sprachen, Religionen und Konfessionen, Ethnien und schließlich auch Identitäten aufweisen, weiß Vanni D’Alessio zu berichten, der am Beispiel der bosnisch-herzegowischen Stadt Mostar das Phänomen der „divided and contested cities“ darstellt. Amaia Lamikiz Jauregiondo zeigt in ihrem Beitrag zu den baskischen Identitätsdiskursen in den sechziger und frühen siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts, die gravierend von den vom Franco-Regime vorgegebenen Narrativen abwichen, welchen Schwierigkeiten Minderheiten in autoritär gelenkten Gesellschaften gegenüberstehen.

Die hier versammelten Aufsätze bieten interessante Einblicke in die Geschichte Südosteuropas und stellen diese – wie vom Titel suggeriert – in den Kontext ähnlicher Geschichtsstrukturen des westlichen, nördlichen und südlichen Europa. Gelungen sind auch die größtenteils mittels der sogenannten entangled history erarbeiteten Zugänge zu den vielschichtigen Sachverhalten und Problematiken. Zudem überzeugen die Beiträge allesamt durch ihre gute Lesbarkeit, was auch Laien den Einstieg erleichtern mag. Schließlich wirkt der Band ungeachtet der an sich heterogenen Fragestellungen seiner Aufsätze sehr gut und einheitlich strukturiert. Fehlen mag einzig die Gegenüberstellung mit Beispielen aus dem östlichen und ostmitteleuropäischen Raum. Gerade thematische Beiträge zu Polen, der Ukraine, den baltischen Staaten oder schließlich Russland hätten sicherlich einen interessanten, sowohl Unterschiede als auch Parallelen aufweisenden Kontrast gegeben.

Paul Srodecki, Kiel

Zitierweise: Paul Srodecki über: Beyond the Balkans. Towards an Inclusive History of Southeastern Europe. Ed. by Sabine Rutar. Wien, Berlin: LIT, 2014. 499 S. = Studies on South East Europe, 10. ISBN: 978-3-643-10658-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Srodecki_Rutar_Beyond_the_Balkans.html (Datum des Seitenbesuchs)

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