Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Paul Srodecki

 

Italien – Mitteldeutschland – Polen. Geschichte und Kultur im europäischen Kontext vom 10. bis zum 18. Jahrhundert. Hrsg. von Wolfgang Huschner / Enno Bünz / Christian Lübke in Verbindung mit Sebastian Kolditz. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2013, 879 S., Abb., Ktn. = Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 42. ISBN: 978-3-86583-639-7.

Inhaltsverzeichnis:

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Der vorliegende Sammelband ist das Ergebnis einer im Oktober 2008 von den Lehrstühlen für mittelalterliche Geschichte und für sächsische Landesgeschichte der Uni­versität Leipzig wie auch vom Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kul­tur Ostmitteleuropas (GWZO) veranstalteten gleichnamigen Tagung. In deren Fokus stand die interdisziplinäre Erforschung der Beziehungen, Verflechtungen und Wechselwirkungen zwischen Italien, Mitteldeutschland und Polen über die Epochengrenzen hinweg. Auch wenn die geographische Auswahl ein wenig fremd anmutet und sich die Verbindungen und Gemeinsamkeiten der drei geographisch-politischen Einheiten nicht auf den ersten Blick erschließen, so haben alle drei Räume im Verlauf des Mittelalters und der Frühen Neuzeit doch rege kulturelle, politische und nicht zuletzt wirtschaftliche Kontakte gepflegt.

Das Sammelwerk gliedert sich in sechs Teile. Im ersten Abschnitt Im Zeichen der Heiligen Adalbert von Prag und Brun von Querfurt: frühe kirchliche und politische Beziehungen zwischen Polen, Italien und Mitteldeutschland finden sich fünf Beiträge zu den für das 10. und 11. Jahrhundert entscheidenden Akteuren des kulturellen Austausches zwischen den hier behandelten Räumen. Im Zentrum der Aufsätze von Vera von Falkenhausen (Adalbert von Prag und das griechische Mönchtum in Italien), Leszek Paweł Słupecki (St Adalbert (Wojciech) of Prague in Poland), Wolfgang Huschner (Ravenna, Magdeburg, Kiev, Konstantinopel, Rom. Die Gründung des Erzbistums Magdeburg (967/968) im europäischen Kontext) und Jerzy Strzelczyk (Gnesen – Magdeburg – Bamberg – Rom. Frühe Kirchenbeziehungen zwischen Polen, dem mitteldeutschen Raum und Italien) stehen die Kirche bzw. Mönchsmissionare als maßgebliche Kulturträger und Urheber der trans- und supraregionalen Verflechtung. Christian Lübke bietet in seinem Beitrag Zwischen Krakau und Rom. Die Kiever Fürsten Izjaslav und Jaropolk in Mitteldeutschland ein Beispiel für die politische Mittlerrolle von weltlichen Akteuren an der Schwelle vom frühen zum hohen Mittelalter und verweist zugleich auf die Bedeutung Mitteldeutschlands als wichtiges Bindeglied zwischen der romanischen und der slawischen Welt.

Der zweite Teil des Sammelbandes (Herrschaft und Recht: Horizonte und Wirkungen) fragt nach den weltlichen Unterstützern ottonischer Politik in Italien (Nicolangelo D’Acunto: Die weltlichen Kooperationspartner und Stützen der Ottonen im regnum Italicum), der erinnerungskulturellen Aufarbeitung des „Chiavenna-Kniefalls“ (Johannes Fried: Erinnern und Verdrängen. Friedrich Barbarossa, Heinrich der Löwe und eine verlorene Schlacht), dem Verhältnis zwischen dem Römisch-Kanonischen und dem Sächsischen Recht (Heiner Lück: Sächsisches Recht contra Römisch-kanonisches Recht. Ein Sonderweg der ‚Rezeption der fremden Rechte?) und der Integration des Letzteren in universitäre Kontexte im späten Mittelalter (Marek Wejwoda: Jus commune und Gemeines Sachsenrecht. Sächsische Juristen zwischen Italienstudium und mitteldeutscher Rechtspraxis. Aus der juristischen Tätigkeit des Leipziger Ordinarius Dietrich von Bocksdorf (ca. 1410–1466)).

Im dritten Abschnitt stehen sodann die kirchlichen und kulturellen Fernbeziehungen im Mittelalter im Fokus. Von den insgesamt sechs in diesem Teil zusammengefassten Beiträgen widmen sich vier (Cord Meckseper: Die antiken Spolien im Magdeburger Dom und die Magdeburger Grabungsfunde, Babette Ludowici: Der „Palast Ottos des Großen“ in Magdeburg. Ein Konstrukt transdisziplinärer Forschung zur ottonischen Baukunst, Arne Effenberger: Via Italia. Byzantinische Kunstwerke und Reliquien in Mitteldeutschland, Olaf B. Rader: Alter Stein für neue Särge. Zur Materialität ottonischer und staufischer Kaisergräber) einer baugeschichtlich-kunsthistorischen Aufarbeitung der Verflechtung zwischen Italien, Mitteldeutschland und Polen im Mittelalter. Giulia Barone (Il contributo dei frati di lingua tedesca al primo sviluppo di Francescani e Dominicani) untersucht indessen die deutschen Elemente bei der Ausformung einer geistlich-kulturellen Identität bei den frühen Franziskanern und Dominikanern, während Stefan Tebruck (Die sizilischen Klöster S. Maria in Valle Josaphat in Messina und S. Maria Latina in Agira und ihr sächsischer Fernbesitz) das Wirken der europaweit agierenden monastischen Verbände am Beispiel zweier sizilianischer Klöster und ihres sächsischen Fernbesitzes nachzeichnet.

Vier Aufsätze stellen im nächsten Abschnitt die Kirche und Memoria an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit in den Mittelpunkt, wobei zwei von ihnen sich der sepulturalen Gedächtnis- und Erinnerungskultur am Beispiel der königlichen Wawelgruft in Krakau und der Fürstenkrypta im sächsischen Freiberg widmen (Marek Walczak: The Gothic Tombs of the Kings of Poland in the Wawel Cathedral, Heinrich Magirius: Die Freiberger „Fürstengruft“ und ihr europäischer Geltungsanspruch). Sowohl Enno Bünz (Die römische Kurie und Sachsen im späten Mittelalter. Mit einer Zusammenstellung der Benefizien des Bistums Meißen in den päpstlichen Registern 14171471) als auch Alexander Koller (Die römischen Nuntien und die Protestanten im Reich um 1600) thematisieren die nicht immer einfachen Beziehungen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Reich bzw. dem mitteldeutschen Raum als der Pionierregion der Reformation im ausgehenden Mittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit.

Den Kristallisationspunkten höfischer Kulturbeziehungen in der Frühen Neuzeit widmen sich sodann fünf Aufsätze im fünften Teil des Sammelwerkes. Am Beispiel der Wettiner zeichnet Katrin Keller hier die seit dem ausgehenden Mittelalter und während der ganzen Frühen Neuzeit sich großer Beliebtheit erfreuenden Kavalierstouren junger Adeliger nach, deren Ziel neben Frankreich allem voran Italien war (Die italienische Reise. Pilgerfahrt, Kavalierstour, Bildungsreise). Wie wichtig die Apenninenhalbinsel für die kulturelle Entwicklung des mitteldeutschen Raumes und hier insbesondere für das wettinische Sachsen in der Frühen Neuzeit war, zeigen auch die nächsten vier Beiträge. Den frühneuzeitlichen Anfängen von „Kulturaustausch“ bzw. „Kulturimport“ geht Barbara Marx am Beispiel Dresdens nach (Die Anfänge der „Italianisierung“ Dresdens um die Mitte des 16. Jahrhunderts). Den Höhepunkt dieser Entwicklung stellte sicherlich der sogenannte Dresdner Barock des augustinischen Zeitalters dar. Auf die baugeschichtlichen Aspekte des italienisch-sächsisch-polnischen Kulturtransfers in dieser Zeit weisen die Aufsätze von Costanza Caraffa (Regeln und Geschmack. Paris gegen Rom in einem sächsischen Pamphlet von 1741 zur Dresdner Katholischen Hofkirche) und Tomasz Torbus (Zwischen lokaler Tradition und dem wettinischen Bauamt. Bedeutung der italienischen Architekten in Polen-Litauen zur Zeit der Union mit Sachsen (1697–1763)) hin. Panja Mücke geht dagegen auf die Musik als frühneuzeitliches Exportgut Italiens am Beispiel zweier musikalischer, nördlich der Alpen wirkender Komponisten ein (Musik als Vermittler genealogischen Denkens. Antonio Lottis „Teofane“ (Dresden 1719) und Pietro Torris „Adelaide“ (München 1722)).

Der Musik als Kulturvermittler widmen sich auch zwei Beiträge in dem abschließenden Abschnitt des Sammelbandes (Kleine Leute, große Strukturen, longue durée). Helmut Loos thematisiert die unterschiedlich zu gewichtenden Einflüsse italienischer Musik auf die Kirchen- und Orgelmusik von Heinrich Schütz, Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel oder Georg Philipp Telemann (Evangelische Kirchenmusik zwischen Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach. Mitteldeutschland und die „Weltherrschaft“ der italienischen Musik). Markus Engelhardt wiederum fragt umgekehrt nach der musikgeschichtlichen Bedeutung Mitteldeutschlands für Italien und begibt sich auf eine Spurensuche vornehmlich im 18. und 19. Jahrhundert (Auf den Spuren Johann Sebastian Bachs in Italien im 18. und 19. Jahrhundert). Einer detektivischen Arbeit gleicht auch der Beitrag von Arnold Esch (Mitteldeutsche Schicksale aus römischen Archiven), der die Präsenz mitteldeutscher Einzelschicksale in römischen Quellen vom Spätmittelalter bis in die Moderne nachzeichnet. An eine differenzierte Bewertung des Wirkens und Einflusses italienischer Humanisten, Künstler, Architekten, Ingenieure, Handwerker und Gelehrter auf das frühneuzeitliche Polen wagt sich Wojciech Tygielski in seinem Essay The Italian presence in early modern Poland. Its cultural and civilizational consequences. Welche Bedeutung das Messewesen für die mittel-, ostmittel-, ost- und südosteuropäischen Regionen in der vorindustriellen Zeit hatte, schildert Markus A. Denzel in seinem Beitrag Das europäische Messesystem und die Bedeutung von „Grenzmärkten“. Die Bozner und Leipziger Messen als Fallbeispiele. Dabei weist Denzel auf die Diskrepanz zwischen dem westeuropäisch-mediterranen Raum, wo das Messewesen in der Frühen Neuzeit bereits eine veraltete Form des Güteraustauschs darstellte, und Mittel- und Osteuropa, wo die „Messen bis weit in das 19. Jahrhundert hinein als (relativ) ‚moderne‘ Institutionen gelten“ (S. 777) konnten, hin.

Der Publikation gelingt es, ein breites Panorama von Aspekten zu den supranationalen Kulturverflechtungen wie auch zum epochenübergreifenden Kulturtransfer zwischen dem 10. und 18. Jahrhundert aufzuzeigen. Die thematisch und methodisch recht unterschiedlichen Aufsätze ermöglichen dem Leser eine Vielfalt an erkenntnisreichen Zugängen und neuen Blickwinkeln auf die mannigfaltigen Beziehungen, Kontakte, Wechselwirkungen und kulturellen Verzahnungen dreier europäischer Teilregionen. Doch nicht alle Beiträge des Sammelbandes überzeugen in gleichem Maße. Das liegt mit Sicherheit daran, dass den thematisch teils sehr breit angelegten, teils sehr eng gefassten Beiträgen nur zum Teil ein rundes oder gar vollständiges Bild der italienisch-mitteldeutsch-polnischen Kulturverflechtung vom Mittelalter bis zum Ende der Frühen Neuzeit gelingt. Insgesamt ist die sehr umfangreiche Publikation jedoch in vielfacher Hinsicht als ein Gewinn für eine epochenübergreifende und trans- wie supraregionale Geschichtsforschung anzusehen, bietet sie doch zahlreiche interessante Perspektiven und ebnet den Weg für künftige komparatistische und interdisziplinäre Untersuchungen.

Paul Srodecki, Fernwald

Zitierweise: Paul Srodecki über: Italien – Mitteldeutschland – Polen. Geschichte und Kultur im europäischen Kontext vom 10. bis zum 18. Jahrhundert. Hrsg. von Wolfgang Huschner, Enno Bünz und Christian Lübke in Verbindung mit Sebastian Kolditz. Leipzig: Leipziger Universitätsverlag, 2013, 879 S., Abb., Ktn. = Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde, 42. ISBN: 978-3-86583-639-7., http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Srodecki_Huschner_Buenz_Luebke_Italien_Mitteldeutschland_Polen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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