Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Norbert Spannenberger

 

Johann Böhm: Die Deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918–1941. Innen- und Außenpolitik als Symptome des Verhältnisses zwischen deutscher Minderheit und jugoslawischer Regierung. Frankfurt a.M. [etc.]: Lang, 2009. 427 S. Abb. ISBN: 978-3-631-59557-2.

Die [wissenschaftliche] Bearbeitung der Geschichte der Deutschen in Jugoslawien nach 1918 blieb bislang vornehmlich den Angehörigen dieser Minderheit selbst überlassen. (Zum aktuellen Stand dieser Forschungen siehe Oskar Feldtänzer, Georg Wildmann: Die Donauschwaben in Jugoslawien 1918–1944, in: Donauschwäbische Geschichte. Band 3: Die Tragödie der Selbstbehauptung im Wirkfeld des Nationalismus der Nachfolgestaaten 1918–1944. München 2010, S. 471–750.) Eine zweite, relativ kleine Gruppe zählt sich zur professionellen Historikerzunft, die in etlicher Hinsicht eine Alternative zur Selbstdeutung der Betroffenen konstruiert. (Vgl. die wichtigsten Werke: Holm Sundhaussen: Die Deutschen in Kroatien-Slawonien und Jugoslawien, in: Land an der Donau. Deutsche Geschichte im Osten Europas. Hrsg. von Günther Schödl. Berlin 1995, S. 291–348; Hans-Ulrich Wehler: Nationalitätenpolitik in Jugoslawien. Die deutsche Minderheit 1918–1978. Göttingen 1980; Carl Bethke: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina 1918–1941. Identitätsentwürfe und ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden 2009.) Eine dritte Gruppe schließlich sammelt sich um Johann Böhm, der in der „Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik“ mit seinen Mitarbeitern alternative Deutungen nach einer vermeintlich moralisch korrekten Interpretation publiziert.

Die Intention der vorliegenden Publikation liegt auf der Linie der Beiträge in derHalbjahresschrift“:Ziel des Buches ist es, dem zeitgeschichtlich interessierten Publikum eine gut lesbare Bestandsaufnahme anhand des vorhandenen Quellenmaterials anzubieten und dabei Aufsehen erregende Ereignisse [] darzustellen(S. 10). Die Notwendigkeit einer neuen Monographie sieht der Autor darin begründet, dass die bisherige Publikationstätigkeit der ersten Gruppe letztlich nur der Selbstlegitimation diene, indem man inapologetischen Schriften und Memoiren [] die Kriegsverbrechen der nazistischen Besatzer entweder ausgeschlossen, verharmlost [hat] oder mit der Haager Landkriegsordnung rechtfertigt(S. 18). Die „Problemdiagnose, die daraus abgeleiteteFragestellungwie dermethodische Zugangspiegeln den Forschungs- und Kenntnisstand der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wider. Der methodische Zugang wird wie folgt definiert:Darum habe ich in der vorliegenden Publikation versucht, das reichlich vorhandene Quellenmaterial und die handelnden Personen zu Wort kommen zu lassen“ (S. 13). Wohin sich jener inzwischen entwickelt hat, ließe sich anhand der Publikationen des serbischen Historikers Zoran Janjetović oder des deutschen Carl Bethke nachvollziehen, die dem Autor völlig unbekannt sein dürften, da sie im Literaturverzeichnis nicht ausgeführt werden, oder auch des kroatischen Vladimir Geiger, von dem immerhin zwei Werke kenntlich gemacht werden. (Zoran Janjetović: Deca careva, pastorčad kraljeva. Nacionalne manjine u Jugoslaviji. 1918–1941. Beograd 2005; Zoran Janjetović: Nemci u Vojvodini. Beograd, Institut za noviju istoriju Srbije 2009; Zoran Janjetović: Die Donauschwaben in der Vojvodina und der Nationalsozialismus, in: Mariana Hausleitner / Harald Roth [Hrsg.]: Der Einfluss von Faschismus und Nationalsozialismus auf Minderheiten Ostmittel- und Südosteuropa. München 2006, S. 219–235; Zoran Janjetović: Unbroken Spirit in a Broken Bottle. National Minorities and the Yugoslav State 1918–1941, in: Ditt­mar Dahlmann / Milan Kosanović / Milan Ristović / Ranka Gašić [Hrsg.]: Clio im südosteuropäischen Diskurs. Festschrift für Andrej Mitrović zum 70. Geburtstag. Bonn 2007, S. 167–195; Carl Bethke: Deutsche und ungarische Minderheiten in Kroatien und der Vojvodina 1918–1941: Identitätsentwürfe und ethnopolitische Mobilisierung. Wiesbaden 2009.) Und bereits in den 1980ern Jahren klärte Gerhard Seewann, von dem keine historische Abhandlung berücksichtigt wird, am Beispiel des Ansatzesfünfte Kolonne, welche Rolle Quellenkritik am Anfang aller Interpretationen dieser Problematik spielen sollte. (Gerhard Seewann: Das Ungarndeutschtum der Zwischenkriegszeit im Spiegel der internationalen Nachkriegsliteratur, in: Südostdeutsches Archiv 22/23 [1979/80] S. 128–151.)

Selbst der Aufbau der Arbeit kommt nicht über die Konzepte der 80er Jahre hinaus: Es ist eine politische Abhandlung nach chronologischer Gliederung, über Selbstorganisation der Minderheit, über die Schulfrage, die Radikalisierung und dieNazifizierungder deutschen Volksgruppe. Vor allem bipolare Konfliktkonstellationen werden nachgezeichnet, wie dies im Kapitel über die katholische Kirche exemplarisch gezeigt werden soll: Infantile Karikaturen- und Spottblätter versuchten den jeweiligen Gegner der Lächerlichkeit preiszugeben und seine Autorität zu untergraben.Die Wespe, ein Blatt derErneuerer“, soll dieses Problem in einem ganzen Kapitel illustrieren. Das Wesen des katholischenWiderstandes‘ um den Geistlichen Adam Berencz war dagegen keine peinliche Episode und zeigte über die jugoslawische Grenze hinaus. Hier werden bei weitem andere Mächte wirksam als nurErneuererkontrakatholische Kirche.

Die Formalia stehen auf gleicher Höhe mit dem Inhaltlichen. Es wimmelt nur von Sprach- und Tippfehlern, allerdings nicht nur im Text selbst, sondern bereits im Inhalts- bzw. Abkürzungsverzeichnis auf den Seiten 5–7. Da bereits im Letzteren sämtliche Namen kroatischer bzw. serbischer Provenienz falsch geschrieben sind, stellt man sich die Frage, ob der Autor tatsächlich in der Lage war, angegebene Fachliteratur in dieser Sprache zu bearbeiten. Inkonsequenz anderer Art lässt denselben Verdacht aufkommen: Der serbische Historiker Dušan Popović verfasste sein Opus magnum auf Serbisch, doch es wird in Deutsch angegeben und der Originaltitel in Klammern hinzugefügt (z. B. Fußnote 289). Zudem wird die Herkunft der abgedruckten Bilder auch nicht belegt. Ebenfalls falsch werden ungarische topographische Namen wiedergegeben (z. B. Újvidék auf S. 53 etc.). Wenn danach noch im Vorwort für dasKorrekturlesenein Dank ausgesprochen wird,  regt das fast zum Schmunzeln an. Der Verlag hat mit dieser Monographie seinem eigenen Renommee sicherlich keinen Dienst erwiesen.

Norbert Spannenberger, Leipzig

Zitierweise: Norbert Spannenberger über: Johann Böhm: Die Deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918–1941. Innen- und Außenpolitik als Symptome des Verhältnisses zwischen deutscher Minderheit und jugoslawischer Regierung. Frankfurt a.M. [etc.]: Lang, 2009. 427 S. Abb. ISBN: 978-3-631-59557-2, http://www.oei-dokumente.de/JGO/erev/Spannenberger_Boehm_Deutsche_Volksgruppe.html (Datum des Seitenbesuchs)

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