Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Gerhard Simon

 

Brian Bennett: The Last Dictatorship in Europe. Belarus under Lukashenko. London: Hurst, 2011. XIV, 358 S. ISBN: 978-1-84904-167-6.

Der Autor war von 2003 bis 2007 britischer Botschafter in Minsk. Er beschreibt mit großem Engagement für die Demokratie und aus der Distanz zu ihrem Verächter Lukašenko die Entstehungsgeschichte der Diktatur und ihre Festigung. Zum Besten gehören die beiden Schlusskapitel mit eindringlichen Reflexionen, warum eine Demokratisierung in Belarus auch in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten ist, und über die vergeblichen Anstrengungen sowohl des Westens wie Russlands Einfluss zu nehmen.

Im Mittelpunkt des Interesses stehen die Manipulationen und Intrigen in den oberen Etagen der Macht seit der Wendezeit und der Aufbau einer präsidentiellen Machtvertikale nach der Wahl Lukašenkos in das Präsidentenamt 1994. Wirtschaft und Gesellschaft bleiben in der Darstellung blass, abgesehen von der politischen Opposition und ihrer Unterdrückung. Historische Rückbezüge beschränken sich auf allgemeine Bemerkungen zur sowjetischen  Tradition und Mentalität.

Die interessantesten Abschnitte sind die Aufzeichnungen des ehemaligen Botschafters während der Präsidentenwahl im Jahr 2006 und  der nachfolgenden Demonstrationen der Opposition. Die tagebuchartige Anlage des Buches macht die Lektüre an manchen Stellen spannend, erschwert aber in vielen Abschnitten das Lesen, weil Zusammenhänge zerrissen werden und groteske Übergänge entstehen.

Die ersten Kapitel erzählen vom zielgerichteten Abbau der rechtsstaatlichen und demokratischen Ansätze vor und nach 1994. Viele Faktoren haben die Zerstörung der labilen Versuche der Demokratie erleichtert: die Zerstrittenheit der mehr oder weniger demokratischen Kräfte, die Ruchlosigkeit und der Zynismus Lukašenkos, vor allem auch die mangelnde Verankerung demokratischer Tugenden. Dennoch dauerten die Widerstände gegen die Diktatur aus den vorhandenen Institutionen (Parlament, Parteien, Gerichte) bis etwa 1996 an. Noch 1999 versuchte die Opposition, politische Parallelstrukturen aufzubauen und in ziemlich naiver Manier Parallelwahlen abzuhalten. Erst seit den erneuten Präsidentenwahlen 2006 und der seither bestehenden Perspektive einer Präsidentschaft Lukašenkos auf Lebenszeit muss nach Einschätzung des Autors die Diktatur als vorläufig alternativlos eingeschätzt werden.

Obwohl Wahlen und Referenda seit Mitte der neunziger Jahre systematisch gefälscht wurden und also ihre Ergebnisse im vorhinein bekannt waren,  hatten sie sowohl in den Augen des diktatorischen Regimes wie auch der Opposition stets eine herausragende Bedeutung. Bennet macht auf diesen paradoxen Sachverhalt aufmerksam. Das Regime blieb vor Wahlen nervös und angespannt und die Opposition wiegte sich und ihre Sympathisanten in der Illusion, vielleicht klappt es diesmal

Erfolg und Fortbestand der Diktatur beruhen ganz wesentlich, so zeigt der Autor, auf dem Interessengegensatz zwischen Russland und dem Westen. Russland will und muss aus seiner Interessenlage heraus Belarus im eigenen Einflussbereich halten, koste es was es wolle. Der Westen möchte Belarus aus der Isolierung herausführen und vor allem nach Westen hin öffnen. Aber er muss aus seiner Interessenlage heraus an Lukašenko Forderungen im Bereich der Menschenrechte und der Demokratie stellen, die dieser nicht erfüllen kann und wird. So kann der Diktator beide, einander entgegen gerichtete Partner ausspielen und so seine politische Existenz auch in der Zukunft sichern. Dabei ist eine Absorption von Belarus durch Russland inzwischen ganz unwahrscheinlich. Bennett stellt dies zwar fest, aber zu den dahinterliegenden Prozessen der Nationswerdung in Belarus erfährt der Leser fast nichts. Dabei ist dies einer der Gründe für die erfolgreiche Diktatur.

Wahrscheinlich lässt sich ihr Erfolg nicht erklären, wenn man wie Bennett und die meisten westlichen und demokratisch gesinnten Beobachter davon ausgeht, dass Demokratiean historical inevitabilityist (S. 277). Ein Blick auf die ostslawischen Nachbarn stützt nicht gerade diese Einschätzung. Im Gegenteil: Während 2004/5 manche Enthusiasten davon ausgingen, der Funke der Orangen Revolution werde von Kiev nach Minsk überspringen, legt sich knapp ein Jahrzehnt später der Eindruck nahe, das Vorbild Lukašenko mache in der Ukraine Schule.

Die Überzeugung von der Unaufhaltsamkeit der Demokratie steht bei Bennett allerdings in nicht überbrückbarem Kontrast zu der anderen Einschätzung des Autors, Belarus könne in absehbarer Zukunft keine Veränderungen erwarten. So bleibt am Ende das Rätsel Lukašenko und Belarus unaufgelöst. Das spricht nicht unbedingt gegen den Autor, denn er hat schließlich keine falsche Prognose abgegeben.

Gerhard Simon, Köln

Zitierweise: Gerhard Simon über: Brian Bennett: The Last Dictatorship in Europe. Belarus under Lukashenko. London: Hurst, 2011. XIV, 358 S. ISBN: 978-1-84904-167-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Simon_Bennett_The_Last_Dictatorship.html (Datum des Seitenbesuchs)

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