Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Anti Selart

 

Studia historica Europae orientalis. Issledovanija po istorii Vostočnoj Evropy. Red. koll. A. V. Martynjuk, G. Ja. Golenčenko, O. A. Janovskij i dr.

Vyp. 1. Minsk: Izdatel’skij centr BGU, 2008. 296 S. ISSN -;

Vyp. 2. Minsk: RIVŠ, 2009. 327 S. ISBN: 978-985-500-334-3 / ISSN: 2079-1488;

Vyp. 3. Minsk: RIVŠ, 2010. 340 S. ISBN: 978-985-500-439-5 / ISSN: 2079-1488;

Vyp. 4. Minsk: RIVŠ, 2011. 342 S. ISSN: 2079-1488;

Vyp. 5. Minsk: RIVŠ, 2012. 248 S. ISSN: 2079-1488.

Volltexte:

http://www.nihe.bsu.by/images/info/09/Studia_Historica1.pdf

http://www.nihe.bsu.by/images/info/10/Studia_%20Historica2.pdf

http://www.nihe.bsu.by/images/info/11/Studia_Historica3.pdf

http://www.nihe.bsu.by/images/info/12/sh4.pdf

http://www.nihe.bsu.by/images/Studia5.pdf

 

Das Jahrbuch „Studia historica Europae orientalis.“ veröffentlicht Aufsätze, Miszellen, kürzere Quellenpublikationen, Rezensionen und Chronikmitteilungen in russischer und weißrussischer Sprache. Laut Vorwort zum ersten Band kam das Periodikum dank der Zusammenarbeit weißrussischer und russischer Historiker zustande und will sich der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte Osteuropas widmen. Als Herausgeber der Zeitschrift fungiert Aljaksej Martynjuk vom Staatlichen Hochschulinstitut in Minsk, einer Fortbildungsanstalt für Hochschullehrer in Weißrussland.

Die Beiträge entsprechen verständlicherweise nicht demselben hohen wissenschaftlichen Standard. Sie decken aber ein breites Spektrum historischer Themen ab, in dessen Mittelpunkt in der Regel das Großfürstentum Litauen steht. Das Periodikum bietet gleichzeitig eine Plattform für jüngere Historiker, die hier regelmäßig ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen können. Die Aufsätze spiegeln die allgemeinen Tendenzen der historischen Forschung der Region wider. So sind zum Beispiel besonders Fragen der ethnischen und religiösen Beziehungen und Identitäten mehrfach vertreten. Als Kritikpunkt ist zu erwähnen, dass einige Autoren die Quellen und die Forschungsliteratur der „Außenwelt“, also der Länder und Völker außerhalb der litauischen, polnischen und altrussischen Gebiete, manchmal nur oberflächlich kennen. Es finden sich beispielsweise Aufsätze über die Beziehungen der Rus’ und des Großfürstentums Litauen zur altnordischen Welt, zu den Mongolen, zum mittelalterlichen Livland und zu Preußen oder zum frühneuzeitlichen Schweden, die zum Teil auf veralteter oder willkürlich ausgewählter Literatur basieren. Zu den ständigen Mitarbeitern der Zeitschrift gehören führende Mediävisten und Frühneuzeithistoriker Weißrusslands aus der jüngeren Generation wie Aleh Dzjarnovič, Alena Ljubaja, Andrėj Ljuby, Aljaksej Martynjuk und Vasil’ Varonin. Selbstverständlich ist es an dieser Stelle nicht möglich, alle Aufsätze des Jahrbuchs vorzustellen. Da die Ausgaben auch online zugänglich sind, ist das auch nicht notwendig (http://www.nihe.bsu.by/index.php/ru/studia-historica, zugegriffen am 29.08.2014). Es seien im Folgenden nur einige Themen und Autoren aus der ganzen Materialfülle der „Studia“ erwähnt.

Stepan Temušev behandelt die Entwicklung der historischen Forschung der altrussisch-litauischen Beziehungen im 12.–13. Jahrhundert (Vyp. 3) und die Frage, welche Dienstpersonen der fürstlichen Gefolge in der vormongolischen Rus’ den Tribut eingesammelt haben (Vyp. 4). Anton Kovalev zeigt, dass die Beschreibungen der Kriegszüge des Großfürsten Andrej Bogoljubskij von Vladimir († 1174) in den altrussischen Chroniken auf literarischen Vorbildern in der Heiligen Schrift fußen, wodurch der Fürst in der chronikalischen Darstellung als Anführer des auserwählten Volkes präsentiert wird (Vyp. 3). Marija Samonova thematisiert im breiten Kontext der dynastischen Beziehungen zwischen den skandinavischen Herrscherhäusern und Polozk die Ehe von Sophia von Minsk († 1198) mit König Waldemar I. von Dänemark (Vyp. 5). Der Moskauer Historiker Andrej Kuz’min veröffentlichte eine detaillierte Studie, in der er sowohl die militärischen Aspekte der Schlacht am Fluss Strėva 1348 zwischen dem Deutschen Orden und den Großfürsten Kęstutis und Algirdas als auch deren politischen Kontext untersucht (Vyp. 5). Dabei greift Kuz’min teils doch etwas arg weit aus und arbeitet fernliegende, ja fast schon abwegige Zusammenhänge heraus . So ist es wenig wahrscheinlich, dass es zwischen dem Bankrott der Florentiner Banken in den vierziger Jahren des 14. Jahrhunderts und den militärischen Erfolgen Litauens um 1350 eine Verbindung gibt. Oleg Golubev macht darauf aufmerksam, dass Großfürst Algirdas von Litauen im Briefwechsel mit dem Patriarchen von Konstantinopel 1371 als Zar (Basileus) bezeichnet wurde (Vyp. 1). Seinen Aufsatz über die Konstruktion eines ‚eigenen‘ antiken Erbes im spätmittelalterlichen Großfürstentum Litauen resümiert derselbe Autor mit dem Wortspiel, dass hier das Altertum („antičnost’“) durch das Prisma des „Byzantinertums“ („viz-antičnost’“) wahrgenommen werde, also durch die Vermittlung der byzantinischen Tradition, welche die antike Kultur schon im Rahmen des orthodoxen Christentums umgearbeitet und somit akzeptabel gemacht hatte (Vyp. 3). Aleksandr Osipjan behandelt die Handelstätigkeit der Armenier im Schwarzmeerraum im Spätmittelalter und die Entstehung der armenischen Gemeinde in Lemberg (Vyp. 5). Die lokale armenische Tradition erwähnt Briefe der Fürsten von Wolhynien und Galizien an die Armenier schon aus dem 13. Jahrhundert, wobei es sich wahrscheinlich um Geleitbriefe handelte. Mitte des 14. Jahrhunderts war die Lemberger Gemeinde schon fest etabliert. Die Handelsthematik greift auch Dmitrij Žarin auf. Er veröffentlichte Beiträge über die Rolle der Hanse in Osteuropa (Vyp. 3) und die Bedeutung des Flusses Memel für den Handel der Hanse und des Deutschen Ordens (Vyp. 4). In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass zum Beispiel im zuerst genannten Aufsatz die jüngste der zitierten Publikationen zur Geschichte der Hanse aus dem Jahr 1942 stammt. Auch Žarins zweiter Beitrag wird erheblich dadurch entwertet, dass der neueste Stand der relevanten deutschsprachigen Forschung darin nicht berücksichtigt wird. Wertvoll, auch für die Geschichte der baltischen Deutschordenslande, ist ein umfangreicher Aufsatz von Sergej Polechov über die politische Konfrontation in Litauen zwischen den Fürsten Švitrigaila und Sigismund 1432 (Vyp. 1). Entgegen einer öfters zu hörenden Behauptung stellt Polechov fest, dass die Religion in diesem Konflikt keine Rolle gespielt habe. Dass Švitrigaila mit den „Schismatikern“ kooperierte, sei von seinen Gegnern propagandistisch als Argument verwendet worden, um ihn zu diskreditieren. Die tatsächlichen Hintergründe des innerlitauischen Krieges sind vermutlich eher in den verschieden Einstellungen zum litauisch-polnischen Verhältnis zu suchen. Aleh Dzjarnovič vergleicht die Titulatur der litauischen Herrscher in verschiedenen Quellen (Vyp. 2). Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Ambiguität des lateinischen Wortes „rex“ (König, Fürst) und stellt fest, dass der Titel „magnus dux“ zu Beginn des 15. Jahrhunderts zum Standard wurde. Dzjarnovič stellt auch die Bedeutung der Sammlungen des Stadtarchivs Riga für die Erforschung der Geschichte des Großfürstentums Litauen vor (Vyp. 1) und macht auf ein unveröffentlichtes Werk von Maciej Stryjkowski über die Schlacht an der Ula (1564) aufmerksam (Vyp. 3). Der Verfasser hebt die Rolle von Johann Christoph Brotze (1742–1823) bei der historischen Erforschung der kyrillischen Quellen des Stadtarchivs Riga hervor (Vyp. 5). Ale­na Lju­baja behauptet in ihrem Beitrag, dass die Legende von der altrömischen Herkunft der litauischen Nobilität erstmalig in den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts von dem italienischen Humanisten Filippo Buonaccorsi, dem Sekretär Kasimirs IV., formuliert worden sei (Vyp. 2).

Die Mehrheit der Beiträge in den „Studia“ beschäftigt sich mit Themen des 16. und 17. Jahrhunderts. Viktor Tiščenko stellt auf der Grundlage von Beispielen aus der administrativen und gerichtlichen Praxis die These auf, dass die herrscherliche Macht in der Regierungszeit der Großfürsten Alexander (1492–1506) und Sigismund (1506–1548) extrem geschwächt gewesen sei (Vyp. 2). Bei dieser Argumention hat Tiščenko vielleicht doch ein zu modernes Idealbild des effektiven Regierens vor Augen gehabt. Eine mehrteilige umfangreiche Detailstudie zur Geschichte der Grenze zwischen den Großfürstentümern Litauen und Moskau publizierte Viktor Temušev (1975–2011). Teil 1 behandelt die Herausbildung des Grenzverlaufs um 1500 (Vyp. 1). Teil 2 ist der Burg Dmitrovec bei Vjaz’ma gewidmet (Vyp. 2), die wegen des Verlustes ihrer Funktion als Grenzfestung zu Beginn des 16. Jahrhunderts bedeutungslos wurde. Teil 3 thematisiert die Geschichte der Grenze in der Region von Kryčaŭ (Vyp. 3). Alena Dzianisava erforscht die innere Entwicklung der orthodoxen Kirche im Großfürstentum um 1500, als die zunehmende Kontrolle des kirchlichen Lebens durch die Laien zum Autoritätsverlust der Kirche führte (Vyp. 1). Über die Rolle der römischen Kurie in der Diplomatie der Großfürstentümer Litauen und Moskau, besonders in Zusammenhang mit der geplanten antitürkischen Koalition zu Beginn des 16. Jahrhunderts, schreibt Alena Šymak (Vyp. 3). Vasil’ Varonin untersucht das Schicksal des letzten Khans der Großen Horde, Saih Ahmed, in litauischer Gefangenschaft in den Jahren 1503–1527 (Vyp. 4). Aleksandr Kazakovs Thema sind die Moskauer Emigranten in Litauen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Vyp. 4). Sergej Strenkovskij stellt die interne Gesetzgebung der litauischen Städte des Magdeburgischen Rechts vor (Vyp. 4). Viktar Jakubaŭ thematisiert die Beziehungen zwischen dem Großfürstentum Litauen und dem Königreich Polen in den livländischen Angelegenheiten 1582–1621 (Vyp. 1). Seiner Feststellung nach blieben das litauisch-polnische Kondominium und das Paritätsprinzip hier fiktional. Derselbe Autor behandelt auch die Konflikte zwischen den christlichen Konfessionen in der Wojewodschaft Polock 1550–1618, die vor allem durch Eigentumsfragen ausgelöst wurden (Vyp. 2). Die starke Position der Orthodoxie in der Region verursachte die unentschiedene Haltung des Erzbischofs von Polock in der Frage der Kirchenunion. Von Interesse ist auch der Beitrag von Violetta Ermak über die administrative und wirtschaftliche Eingliederung des Polocker Gebietes in das Moskauer Reich nach 1563 und den Moskauer Dienstbesitz in dem Gebiet (Vyp. 2). Uladzimir Pada­linski stellt fest, dass die Religion in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts keinen Einfluss auf die Rekrutierung der litauischen Diplomaten gehabt habe (Vyp. 3). Mit dem Alltag in Vilnius während der russischen Okkupation 1658 beschäftigt sich Irina Gerasimova (Vyp. 4). Mit einzelnen Aufsätzen sind im Jahrbuch auch ‚nicht­litauische‘ Themen vertreten. Als Beispiel sei hier der Aufsatz von Jaroslav Pylypčuk über die Beziehungen zwischen Byzanz und den Kumanen genannt (Vyp. 5).

Insgesamt handelt es bei dieser Zeitschrift um eine begrüßenswerte Initiative, die ihre Bedeutung für die osteuropäische Geschichtsforschung schon bewiesen hat. Der wissenschaftliche Standard wird im Laufe der Zeit sicherlich einheitlicher werden. Das Jahrbuch hat aber vermutlich auch die Aufgabe, die Ergebnisse der internationalen historischen Forschung dem heimischen Publikum zu vermitteln, wodurch der eher überblickshafte Charakter einiger Beiträge verständlich wird.

Anti Selart, Tartu

Zitierweise: Anti Selart über: Studia historica Europae orientalis. Issledovanija po istorii Vostočnoj Evropy. Red. koll. A. V. Martynjuk, G. Ja. Golenčenko, O. A. Janovskij i dr. Vyp. 1. Minsk: Izdatel’skij centr BGU, 2008. 296 S. ISSN -; Vyp. 2. Minsk: RIVŠ, 2009. 327 S. ISBN: 978-985-500-334-3 / ISSN: 2079-1488; Vyp. 3. Minsk: RIVŠ, 2010. 340 S. ISBN: 978-985-500-439-5 / ISSN: 2079-1488; Vyp. 4. Minsk: RIVŠ, 2011. 342 S. ISSN: 2079-1488; Vyp. 5. Minsk: RIVŠ, 2012. 248 S. ISSN: 2079-1488., http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Selart_SR_Studia_historica_Europae_orientalis_1-5.html (Datum des Seitenbesuchs)

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