Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 8 (2018), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Anti Selart

 

The Teutonic Order in Prussia and Livonia. The Political and Ecclesiastical Structures, 13th–16th Century. Ed. by Roman Czaja / Andrej Radzimiński. Toruń, Wien: Böhlau, 2015. 423 S., 52 Abb., 4 Ktn. ISBN: 978-3-412-50517-2.

Inhaltsverzeichnis:

https://d-nb.info/1103685376/04

 

Die englischsprachige Literatur zum preußischen und livländischen Mittelalter ist immer noch nicht besonders umfangreich. Die traditionelle internationale Wissenschaftssprache ist in diesem Bereich Deutsch geblieben; englischsprachige Publikationen sind erst im 21. Jahrhundert in größerer Zahl aufgetaucht. Man kann bedauern, dass durch diese „Verenglischung“ die Welt an Vielfältigkeit und kulturellem Reichtum verliert, aber in der Tat herrschen in der relevanten „nicht-deutschen“ Forschung über die Geschichte dieser Länder und besonders des Deutschen Ordens oft auch unter den professionellen Mediävisten ganz sonderbare Vorstellungen. Sie sind nur mit professionellen englischen Publikationen zu bekämpfen.

Gerade diese Aufgabe will das rezensierte Buch erfüllen. Es ist zuerst als Nachschlagewerk konzipiert, das erste Informationen über die Geschichte, Verwaltung und internen Strukturen des Ordensstaates vermitteln soll. Es werden neben den preußischen auch die livländischen Bistümer und Städte thematisiert, die – und dies gilt insbesondere für die Bistümer – hier bestimmt nicht zum Ordensstaat zu rechnen ist. Daher könnte das Buch auch die inhaltlich falsche, aber weit verbreitete Vorstellung unterstützen, das mittelalterliche Livland und der Deutsche Orden seien gleichzusetzen. Für die Vermarktung des Buches ist aber die Erwähnung des Ordens im Titel wohl wirklich erfolgversprechender als manche Alternative.

Der Band geht auf die polnischen Originaltexte zurück, die 2000–2013 veröffentlicht wurden. Unter den Autoren befinden sich neben den Herausgebern noch Marian Arszyński, Marian Biskup (1922–2012), Zenon Hubert Nowak (1934–1999) und Janusz Tandecki. Die deutschen Mitarbeiter Bernhart Jähnig und Klaus Militzer haben die Listen der Ordensbeamten zusammengestellt, die neben der Liste der Bischöfe und bischöflichen Vögte den dritten Teil der Publikation bilden.

Die zwei ersten Teile des Bandes – Preußen und Livlandliegen inhaltlich jedoch nicht ganz auf gleichem Niveau. Die Verfasser der Haupttexte sind alle in erster Linie hervorragende Spezialisten für die Geschichte des preußischen Gebiets. Obwohl die Bibliographien zu den „livländischen“ Beiträgen auch mit einigen jüngeren Publikationen ergänzt worden sind, spiegeln die entsprechenden Textabschnitte doch vorwiegend den Forschungsstand der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wider. Dies zeigt sich vor allem in den Bereichen, in denen die jüngere Forschung in besonderem Maße neue Ergebnisse vorgelegt hat, also z. B. in Bezug auf die Geschichte der livländischen Städte, die Spätzeit des livländischen Deutschen Ordens und – in ganz herausragender Weise die Geschichte der livländischen Befestigungsarchitektur.

Das Ergebnis sind Ungenauigkeiten und sogar Fehler, die allerdings mehrheitlich nicht von den Verfassern stammen, sondern auf die Übersetzer zurückgehen. Wie oben schon angedeutet, ist ein entsprechender englischer Fachwortschatz bisher nicht richtig etabliert und muss erst noch geschaffen werden. Die Autoren und Übersetzer haben dabei gewiss auch ihre licentiam poeticam. Jedoch sei hier angemerkt, dass zwar „Vogt“ statt des „bailiff“ wohl noch als eine Entscheidung der Übersetzer bzw. der Verfasser durchgehen kann, aber die Formulierung, die Ministerialen gehörten zur „aristocracy“, ist ganz sicher irreführend. Ebenso hatte der Deutsche Orden keine „monasteries“ (für: „convents“), und dementsprechend war das Ordensgebiet kein „monastic territory“. Die Verfassung einer Stadt kann auch auf Englisch nicht einfach als „system“ bezeichnet werden. Auch wäre es zum Zwecke größerer Klarheit besser gewesen, zwischen „Livs“ (Liven) und „Livonians“ (Livländer) zu unterscheiden.

Ein solches Verzeichnis von Ungenauigkeiten könnte weiter und weiter fortgesetzt werden. Es seien hier nur wenige Beispiele vorgeführt: Das Große Schisma begann 1378, nicht 1342 (S. 133). Die ersten Zisterziensermissionare kamen bekanntlich nicht aus Schweden nach Livland (S. 170). Man kann kaum von einer direkten Unterstellung Livlands unter die Macht des Papstes im Jahr 1201 sprechen (S. 171). Die Livländische Aa (lettisch Gauja) wurde mit der Kurländischen (auch: Semgallischen) Aa (lettisch Lielupe) verwechselt (S. 173). Der deutsche Name der Sventāja war Heilige Aa (nicht Heilige Lielupe, S. 180). Bei den Bischöfen von Leal und Ösel handelte es sich um die kirchlichen Amtsträger zweier unterschiedlicher Diözesen (S. 174). Der Bau der Bischofsburg in Dorpat konnte kaum 1220 beginnen, weil Dorpat erst 1224 erobert und somit Teil der deutschen Herrschaftsbildung in Livland wurde (S. 207). Die Hypothese, es hätten in Reval im 12. Jahrhunderts skandinavische und russische Handelshöfe existiert (S. 236), wurde inzwischen verworfen, weil sie weder von schriftlichen noch von archäologischen Quellen bestätigt wird. Der Dorpater Stadtplan ist nicht ganz richtig (S. 240). Dazu kommen noch recht zahlreiche (Tipp-)Fehler bei den Personen- und Ortsnamen sowie den in deutscher Sprache zitierten Ausdrücken, die besonders in der Bibliographie den Leser irreleiten können.

Insgesamt handelt es also um eine sehr begrüßenswerte Publikation, die eine bedeutende Lücke in der englischen Fachliteratur füllt. Besonders erfolgreich kann das Buch seine Rolle eines vertrauenswürdigen Nachschlagewerkes und Vermittlers der grundlegenden Erstinformationen für das preußische Gebiet erfüllen. Jedoch sollte ein Leser bei der Benutzung des Bandes darauf achten, dass die hier und da allzu wortwörtlichen Übersetzungen in Detailfragen Missverständnisse hervorrufen können.

Anti Selart, Tartu

Zitierweise: Anti Selart über: The Teutonic Order in Prussia and Livonia. The Political and Ecclesiastical Structures, 13th–16th Century. Ed. by Roman Czaja / Andrej Radzimiński. Toruń, Wien: Böhlau, 2015. 423 S., 52 Abb., 4 Ktn. ISBN: 978-3-412-50517-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Selart_Czaja_The_Teutonic_Order.html (Datum des Seitenbesuchs)

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