Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg heraus­gegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Desank Schwara

 

Orientations. An Anthology of East European Travel Writing, ca. 1550–2000. Ed. by Wendy Bracewell. Budapest, New York: Central European University Press, 2009. XXI, 402 S., Abb. = East Looks West, 1. ISBN: 978-963-9776-09-8.

Nach „Under Eastern Eyes. A Comparative Introduction to East European Travel Writing on Europe“ (Band 2) und einer Bibliographie osteuropäischer Reiseliteratur (Band 3) ist inzwischen auch der erste Band der Trilogie „East Looks West“ erschienen: Orientations. An Anthology of East European Travel Writing on Europe“. Im Mittelpunkt dieser Trilogie steht die Frage, wo sich diese Reisenden, die zwischen 1550 und 2000 unterwegs waren, in Bezug auf den Begriff „Europa“ und die damit verbundenen Vorstellungen einer gemeinsamen kulturellen Identität positionierten.

In der 2009 veröffentlichten Anthologie stellt Wendy Bracewell eine Sammlung von über einhundert Auszügen aus ausgewählten Texten verschiedener Autoren und Autorinnen über 450 Jahre vor, gleichsam Meilensteine der reichen Reiseliteratur der vergangenen Jahrhunderte. Die Erfahrungen und Eindrücke entstammen der Feder von Reisenden, die sich aus „Osteuropa“ – in dieser Trilogie definiert als das riesige Territorium zwischen dem heutigen Russland und Deutschland, der Türkei und Italien – in die Welt aufgemacht hatten. Jeder Text wird mit einer kurzen Einleitung in seinen historischen Kontext eingebettet. Vornehmlich werden Reiseziele in West- und Südeuropa in den Blick genommen, wenngleich nicht ausschließlich (insofern ist der Titel „East Looks West“ etwas irreführend).

Es gereicht dem Werk sehr zum Vorteil, dass es nicht nur geographisch und chronologisch gegliedert wurde, sondern übergreifend auch thematisch. Die Herausgeberin überzeugt mit ihrer Strukturierung des Buches gleich zu Beginn, indem sie die „Orientierungen“ mit Texten aus dem 16. bis 18. Jahrhundert eröffnet, die sich als Ratgeber für oder gegen das Reisen an sich aussprechen, so János Zsámboki alias Joannes Sambucus, der in seiner Schrift von 1564 dagegen argumentierte, da es den Menschen seiner natürlichen Umgebung entreiße. „Neither road nor sky, but nature herself commands us to form kindly habits, for it is she who rules us. Many whom the order of nature made gentle are corrupted and defiled in foreign places. […] It is an object of pride to have seen so many peoples, customs and cities, but whose love is greater than the homeland’s care?“ (S. 7).

Nützliche Redewendungen für Gefangene, Aufrufe gegen und Instruktionen für das Reisen führen über „väterlichen Rat“ hin zum unverzichtbaren, wenngleich sich mit seinem nicht näher spezifizierenden Titel in Geheimnis hüllenden „He who has this book in his home, has a great treasure“ eines Proshkynetarions aus dem Jahre 1742.

Von dieser Vielfalt Europas ausgehend konzentriert sich das Werk in einem nächsten Schritt auf verschiedene Gruppen von Reisenden: Pilger, Gesandte, Studenten, Wissenschaftler und Abenteurer.

Plausibel ist auch die Entscheidung, allein die geographische Herkunft der Reisenden über die Aufnahme ihrer schriftlichen Zeugnisse in die Anthologie bestimmen zu lassen, nicht ihre religiöse, ethnische, politische oder muttersprachliche Zugehörigkeit. Das Genre der Reiseliteratur lässt sich am anschaulichsten nach Ziel und Zweck des Unterwegsseins strukturieren, insbesondere da vor Einbruch des verschriftlichten Individualismus, das seit dem 19. Jahrhundert vermehrt Einzug in die Reiseliteratur hielt, modellhafte Richtlinien das Schreiben gestalteten. Es gab klare Vorstellungen davon, wie das Tagebuch eines Gesandten auszusehen habe, was den Kern von Pilgerberichten ausmache, wie wissenschaftliche Beschreibungen zu verfassen oder wie Form und Inhalt der Erlebnisse von Gefangenen zu gestalten seien.

Die Herausgeberin – Wendy Bracewell, Senior Lecturer in History an der „School of Slavonic and East European Studies“ am University College London – leistet mit dieser Anthologie, wie mit der Trilogie insgesamt, einen wichtigen Beitrag zu den lebhaften Diskussionen über Mentalitäten, Identitäten, Empfindungen der Zugehörigkeit, über Wissen und Macht, Kulturtransfer und kulturellen Wandel und bereichert die Kulturwissenschaften um seltene oder gar unbekannte Dokumente. Die Trilogie „East looks West“ kann nur wärmstens empfohlen werden.

Desanka Schwara, Basel

Zitierweise: Desank Schwara über: Orientations. An Anthology of East European Travel Writing, ca. 1550–2000. Ed. by Wendy Bracewell. Budapest, New York: Central European University Press, 2009. XXI, 402 S., Abb. = East Looks West, 1. ISBN: 978-963-9776-09-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Schwara_Bracewell_Orientations.html (Datum des Seitenbesuchs)

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