Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Christian Schölzel

 

Rory Yeomans: Visions of Annihilation. The Ustasha Regime and the Cultural Politics of Fascism, 1941–1945. Pittsburgh, PA: University of Pittsbourgh Press, 2013, X, 446 S., 10 Abb. = Pitt Series in Russian and East European Studies. ISBN: 978-0-8229-6192-5.

Nicht im Kroatischen, aber im Russischen gibt es das Kompositum des gid-perevodčik, des Reiseführers und Übersetzers. Dieses Wort kommt einem in den Sinn, wenn man das neue Buch von Rory Yeomans, Senior International Research Analyst beim International Directorate des britischen Justizministeriums, in den Händen hält.

Folgt man dem Untertitel, dann geht es in Yeomans Buch um das Ustaša-Regime im Unabhängigen Staat Kroatien (=NDH) 1941–1945 und die kulturelle Politik des Faschismus. Yeomans erweist sich als kritisch-analytischer Reiseführer in das Innere der Diktatur. Auf der Grundlage einer Vielzahl staatlicher Quellen, von zeitgenössischen Zeitschriften, Zeitungen und Verbandsblättern sowie belletristischen Texten, um nur die wichtigsten Gattungen zu nennen, führt er durch den Alltag des NDH. Er erliegt keinerlei Einseitigkeiten mit Blick auf ‚ethnische Kategorisierungen‘ oder Täter-Opfer-Dichotomien, sondern kann auf einer guten Quellengrundlage zu sehr differenzierten Urteilen gelangen. Zu diesem Befund steht die Tatsache kaum im Widerspruch, dass Yeomans die umfänglichen Bestände zum NDH im Militärarchiv in Belgrad sowie in regionalen Archiven außerhalb Zagrebs nicht eingesehen hat und auch die Akten der Föderalen Kommission zur Untersuchung der Kriegsverbrechen im Arhiv Jugoslavije in Belgrad nicht heranziehen konnte. Zudem vermisst man die Arbeiten von Ivo Goldstein zu Kroatien im Zweiten Weltkrieg in der Literaturliste.

Handelt es sich bei dem zusammengetragen Material um Quellen aus der Herrschaftsperspektive? Eine Antwort auf diese Frage zu finden ist zugegebenermaßen schwierig. Gleichwohl stellt sich Yeomans dieser Frage in einigen der im Folgenden beschriebenen Kapitel. Selbst im vom Verfasser zu Recht als chaotisch, improvisiert und unorganisiert beschriebenen Ustaša-Staat vermag er so die Entwicklung von Propaganda, von „Schönheitsidealen“ in den Bildenden Künsten, um hier nur zwei Beispiele zu erwähnen, als von ‚oben‘ nach ‚unten‘ gerichtet zu beschreiben. Es gelingt an diesen Stellen, die Entwicklung und den Verlauf von Diskursen genauer zu analysieren.

Der Autor unterscheidet zwischen der stark rassistisch geprägten Staatsideologie und der Kulturpolitik, genauer der kulturellen Politik. Während erstere unverändert geblieben sei, habe die Zweitgenannte sich nach radikalen Verlautbarungen der frühen Aufbauzeit des NDH in verschiedenen Themenfeldern eher Tönen zugewandt, die dazu dienten, unzufriedene Gruppen in der Diktatur, in der Kriegsgesellschaft zu pazifizieren. Zu Recht weist Yeomans darauf hin, dass er das Milieu der katholischen Kirche zu wenig berücksichtigt habe. Er dekliniert in einer klug gewählten Gliederung seine These an verschiedenen, sich zum Teil personell überlagernden Gruppen durch, für die jedoch, anders als etwa für ‚die‘ Bauern oder ‚die‘ Industriearbeiter, genügend Quellen zur Verfügung stehen.

Beginnend mit Studenten, wendet er sich fortfolgend den Jugendlichen zu. Außerordentlich differenziert fällt sein sich anschließendes Kapitel über die Konstruktionen von Weiblichkeit und Männlichkeit im NDH aus. Es folgen Ausführungen zur Konstruktion eines anti-bourgeois gehaltenen „nationalen Sozialismus“, mit dem Bauern und Arbeiter für die Sache des NDH gewonnen werden sollten. In der Verbindung von rassistischem Antisemitismus und Serbenfeindschaft („die reichen Juden und Serben“), dies belegt Yeomans eindrücklich, zeigt sich die „proteische Natur“ (Sander L. Gilman) von Stereotypen deutlich. Ob Sport, Stadtplanung, Militäralltagskultur, Kino, Literatur und Zensur, „Reinigung“ der kroatischen Sprache oder Belletristik: Yeomans vermag in allen diesen Themenfeldern analytische Beiträge zu liefern. Abschließend widmet er sich christlichen Denkfiguren wie etwa dem Martyrium, der Reinigung u. ä. in den Konstruktionen der „nationalen Revolution“ durch die Ustaša-Bewegung. Hier hätte man sich auch Quellen aus der Perspektive kroatischer Geistlicher gewünscht. – Zudem: Trotz eines kurzen Hinweises auf die absurden ‚rassischen‘ Konstruktionen von Moslems hätte deren Perspektive, wie auch vielleicht die von Roma und deutscher Minderheit, ein wenig mehr ins Licht gerückt werden können.

Was Yeomans geleistet hat, ist jedoch so oder so immens. Im Rückgriff auf die geistigen Strömungen der Zwischenkriegszeit im jugoslawischen Raum und außerhalb bietet er eine Ideen-Sozialgeschichte des NDH, die ohne politik- oder wirtschaftsgeschichtliche Vorgängerstudien zum NDH von Autoren wie Holm Sundhaussen oder Fikreta Jelić-Butić, um nur zwei zu nennen, nicht möglich gewesen wäre, über deren Werke aber eben auch ganz erheblich hinaus weist. Yeomans Arbeit ist ein ebenso zentraler wie wertvoller Beitrag zur Erforschung des NDH und ohne wenn und aber gelungen. Seine Ergebnisse bieten vielfältige Möglichkeiten zu Vergleichen im europäischen Kontext. Eine Lektüre dieser Arbeit sei ganz unbedingt empfohlen.

Christian Schölzel, Berlin

Zitierweise: Christian Schölzel über: Rory Yeomans: Visions of Annihilation. The Ustasha Regime and the Cultural Politics of Fascism, 1941–1945. Pittsburgh, PA: University of Pittsbourgh Press, 2013, X, 446 S., 10 Abb. = Pitt Series in Russian and East European Studies. ISBN: 978-0-8229-6192-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Schoelzel_Yeomans_Visions_of_Annihilation.html (Datum des Seitenbesuchs)

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