Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Jürgen W. Schmidt

 

Im Kalten Krieg der Spionage. Margarethe Ottilinger in sowjetischer Haft 1948–1955. Hrsg. von Stefan Karner unter Mitarbeit von Sabine Nachbaur / Dieter Bacher / Harald Knoll. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag, 2016. 244 S., 2 Ktn., zahlr. Abb. = Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Graz, Wien, Raabs. Sonderband 17. ISBN: 978-3-7065-5521-0.

Die österreichische Volkswirtin Dr. Margarethe Ottilinger war eine erstaunlich energische und aufstiegsbewusste junge Frau. Nach vorangegangener Tätigkeit in der Privatwirtschaft bekleidete die 28-jährige ab 1947 einen hohen Beamtenposten als Leiterin der Planungssektion im Bundesministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung. Am 5. November 1948 wurde sie im Beisein ihres Ministers Peter Krauland von Vertretern der sowjetischen Besatzungsmacht verhaftet, welche damit deutlich dokumentierten, für wie „souverän“ man sowjetischerseits damals die Republik Österreich hielt. Auf Ottilinger machte den sowjetischen Geheimdienst ein österreichischer Geheimpolizist aufmerksam, der für amerikanische Geheimdienste arbeitete und in sowjetische Hände gefallen war. Gemäß seinen Aussagen sollte die junge Frau im amerikanischen Auftrag sowjetische Offiziere für amerikanische Nachrichtendienste angeworben haben Ottilinger gab in den Verhören bei der sowjetischen Spionageabwehr schnell zu, mit einem sowjetischen Ingenieur der Okkupationsbehörden ein Liebesverhältnis unterhalten und diesem bei seiner Flucht in den Westen geholfen zu haben. Weiterhin gestand sie ein, dass ihr amerikanische Nachrichtenoffiziere konkrete Vorschläge für Spionageaktivitäten gegen die Sowjetunion gemacht hätten, indessen sei sie niemals auf diese Vorschläge eingegangen. Dieses Eingeständnis reichte für die sowjetischen Behörden aus, um die Frau aus Österreich in die Sowjetunion zu verbringen, wo sie zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. In der sowjetischen Gefangenschaft führte sich Margarethe Ottilinger renitent auf, beschwerte sich öfters über die Haft und erlernte die russische Sprache. Einmal gab sie sogar zu, für die Amerikaner tatsächlich sowjetische Geheimdienstoffiziere angeworben zu haben, nutzte aber die nun nachfolgenden Verhöre nur dazu, um sich über die Haftbedingungen zu beschweren. 1955 schwerkrank in die Heimat entlassen, gesundete Ottilinger schnell wieder und machte dann eine ungemein steile Karriere als Spitzenmanagerin eines österreichischen Staatskonzerns, welche Funktion sie jahrzehntelang innehatte. Am 30. November 1992 ist sie gestorben. Stefan Karner hat sich seit 1992 um die Aufklärung des Schicksals von Margarethe Ottilinger, insbesondere um die konkreten Beschuldigungen gegen sie, welche damals noch unbekannt waren, gekümmert. Dabei gelang es ihm, die Untersuchungsakten des MGB („Ministerium für Staatssicherheit“ der Sowjetunion) gegen Margarethe Ottilinger einzusehen und er veröffentlicht diese im vorliegenden Buch in wichtigen Teilen im Faksimile bzw. in Übersetzung. Man kann darin deutlich die paranoiden Gedankengänge von Geheimdienstlern einer sich in einer geistigen Wagenburg befindlichen Großmacht erkennen. Andererseits wurden vom sowjetischen Geheimdienst auch schon Menschen verhaftet und abgeurteilt, welche noch weniger schuldig als Margarethe Ottilinger waren. Im Buch befinden sich einige vermeidbare Detailfehler. Beispielsweise war der deutsche Abwehroffizier Franz v. Bentivegni kein Feldmarschall (S. 100, Anm. 238) und der hohe sowjetische Politoffizier Aleksej S. Želtov kein Nachrichtenoffizier (S. 24).

Jürgen W. Schmidt, Berlin                                                                                                                                                                                                                                                  

Zitierweise: Jürgen W. Schmidt über: Im Kalten Krieg der Spionage. Margarethe Ottilinger in sowjetischer Haft 1948–1955. Hrsg. von Stefan Karner unter Mitarbeit von Sabine Nachbaur, Dieter Bacher und Harald Knoll. Innsbruck, Wien, Bozen: StudienVerlag, 2016. 244 S., 2 Ktn., zahlr. Abb. = Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Graz – Wien – Raabs. Sonderband 17. ISBN: 978-3-7065-5521-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Schmidt_Karner_Im_Kalten_Krieg_der_Spionage.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2018 by Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg and Jürgen W. Schmidt. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.