Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Carmen Scheide

 

Roger D. Markwick / Euridice Charon Cardona: Soviet Women on the Frontline in the Second World War. Houndmills, Basingstoke: Palgrave Macmillan Press, 2012. XXIII, 305 S., 23 Abb., 8 Tab., 6 Ktn. ISBN: 978-0-230-57952-1.

Während des Zweiten Weltkriegs dienten etwa 1 Million Frauen in den Streitkräften der Sowjetunion, was international eine Besonderheit darstellte, da sie nicht nur bei der Flugabwehr, im Fernmeldewesen oder im Sanitätsbereich eingesetzt wurden, sondern auch als Kampffliegerinnen, in Schützenregimentern, als Scharfschützinnen, bei der Marine oder den Partisanen. Obwohl die Zahl der Kombattantinnen im Vergleich zu den Rotarmisten gering war, muss nach der Motivation sowjetischer Frauen, den Vorschriften und Reaktionen von Seiten des Staates und der Militärverwaltung sowie konkreten Einsatzerfahrungen gefragt werden. Die vorliegende, sehr lesenswerte Studie widmet sich ausführlich diesen Aspekten der sowjetischen Sozial-, Militär- und Geschlechtergeschichte, um ein Soziogramm einer in den dreißiger Jahren geprägten patriotischen und loyalen Generation junger sowjetischer Frauen zu entwerfen und gleichzeitig die staatliche Politik im Umgang mit ihnen zu analysieren. Zahlreiche publizierte und nicht publizierte Quellen wie Zeitungen, Zeitschriften, Memoiren, Tagebücher, Literatur, Darstellungen und Archivalien liegen der Forschungsarbeit zugrunde, ebenso lebensgeschichtliche Interviews, Filme und Produkte der damaligen populären Kultur. Die Verfasser betonen kritisch, dass wichtige Bestände im Archiv des Verteidigungsministeriums oder im Moskauer Parteiarchiv für sie nicht zugänglich gewesen seien, wohingegen das Archiv des Komsomol (RGASPI-M) sich als  ergiebig erwiesen habe, denn viele Frauen wurden durch die Jugendorganisation mobilisiert. Die vorliegende Monographie knüpft an Studien von V. S. Murmanceva (1971), Svetlana Aleksievič (1989), Elena Senjavskaja (1999), Juliane Fürst (2000), Beate Fieseler (2002) und Anna Krylova (2010) an, wobei sie sich durch die Quellenvielfalt, eine sorgfältige Analyse und Interpretation und eine breit gefächerte thematische Darstellung auszeichnet. Bisherige geschätzte Zahlenangaben werden von den Verfassern konkretisiert, wie eingangs bereits benannt, so auch in Bezug auf die Mobilisierung: in Moskau meldeten sich in den ersten Kriegswochen 20.000 weibliche Freiwillige, von denen 8360 genommen wurden (S. 36); der Anteil von Frauen bei den sowjetischen Partisanen belief sich insgesamt auf ca. 3 %, in der Ukraine lag er bei 6 % und in Weißrussland bei 16 % (S. 131).

Zwei zentrale Thesen werden erörtert: Dass sich zu Kriegsbeginn besonders junge, gut ausgebildete und in Städten lebende Frauen freiwillig zum bewaffneten Kampf meldeten, war eine Folge der politischen Propaganda und Kultur der dreißiger Jahre; zum Bild eines guten Staatsbürgers gehörte Patriotismus, Loyalität, eine eiserne Arbeitsdisziplin und die Bereitschaft, sich für das Vaterland zu opfern. Der Heldenkult diente zur Popularisierung dieser sowjetischen Tugenden, einerseits in Form der Stachanov-Bewegung, mehr noch aber in Person der neuen Fliegerhelden. 1938 erhielten Marina Raskova, Valentina Grisodubova und Polina Osipenko als erste Frauen den TitelHeld der Sowjetunionverliehen und wurden zu wichtigen weiblichen Rollenvorbildern. Neben ideologischen Einflüssen spielten strukturelle Gegebenheiten eine Rolle: In den ersten Kriegsmonaten erlebte die Sowjetunion hohe Verluste, die Armee erwies sich als ungenügend auf den Krieg vorbereitet, so dass die gesamte Bevölkerung für Kriegszwecke mobilisiert werden musste. Auch wenn die zuständigen Organe in Partei und Armee den Platz von Frauen an der Heimatfront sahen, war der Personalbedarf im Sanitätswesen, der Luftabwehr und besonders bei der Verteidigung von Moskau im Herbst 1941 so hoch, dass Frauen mithelfen mussten. Der Einsatz von Sowjetbürgerinnen in der Armee war eine Notwendigkeit und kein Zeichen einer bewussten, erfolgreichen Gleichstellungspolitik, was sich auch an dem weitgehenden Verschweigen nach 1945 bis zum Beginn der sechziger Jahre zeigte.

Das Staatliche Verteidigungskomitee (GKO) musste bei Kriegsbeginn im Juni 1941 auf die erstaunlich hohe Zahl weiblicher Freiwilliger reagieren, denn es hatte keine bewusste Mobilisierung gegeben, wie sie erst im Geheimen zwischen März 1942 und Januar 1943 durchgeführt wurde. Durch das 1939 erlassene Gesetz über den Militärdienst, nach dem jeder Sowjetbürger verpflichtet war, sein Vaterland zu verteidigen, bestand eine rechtliche Grundlage. Als problematisch erwiesen sich jedoch die fehlenden militärischen Kenntnisse der Frauen; deshalb mussten sie meistens Schnellkurse absolvieren.

Die Autoren bieten detaillierte Einblicke in die verschiedenen Einsatzbereiche von Frauen, wobei sie Akteursperspektiven und Alltagserfahrungen vermitteln. Je nach Einsatzort und Aufgaben fielen die Erfahrungen von Frauen im Krieg extrem unterschiedlich aus. Die ersten weiblichen Freiwilligen wurden als Volksmilizen zur Verteidigung von Moskau eingesetzt und waren dabei wegen ungenügender Vorbereitung und Ausstattung traumatischen Erlebnissen ausgesetzt. Krankenschwestern arbeiteten oftmals in unmittelbarer Nähe der Front und waren angesichts der hohen Menschenverluste besonders im ersten Kriegsjahr häufig überfordert. In späteren Kriegserinnerungen wurden sie als gütige, mütterliche, helfende Frauen dargestellt. Sexuelle Beziehungen wurden auch aus Gründen der Selbstzensur verschwiegen; sie wurden oft zum Schutz vor Übergriffen durch andere Männer eingegangen oder sie waren wegen des Fehlens von Bordellen in der Roten Armee oft alles andere als freiwillig.

Mitglieder des rein weiblichen Fliegerregiments (die sogenannten Nachthexen), das 1941 durch einen geheimen Befehl Stalins unter der Leitung von Marina Raskova gebildet wurde, erlebten auch schwere Kämpfe, Verluste und anfangs viel männlichen Spott. Die Frauen erfüllten ihre Aufgaben trotz miserabler Ausstattung vorbildlich, so dass viele von ihnen mit Orden ausgezeichnet wurden. Das Bild von Frauen bei den Partisanen wurde in der Öffentlichkeit und in späteren sowjetischen Erinnerungen durch die beiden Heldenlegenden Lisa Čajkina und Zoja Kosmodemjanskaja geprägt. Sie gehörten zur Kriegspropaganda, da sie Loyalität, hohe Opferbereitschaft und Widerstand gegen den Feind symbolisierten. Die Organisationsformen und Aufgaben von Frauen im Untergrund und bei den Partisanen waren sehr unterschiedlich und variierten je nach Gebiet. Nur zögerlich erfolgte hier eine Mobilisierung von Frauen, die sich in eine männliche Hierarchie einzufügen hatten. Der Zentrale Stab der Partisanenbewegung (CŠPD) versuchte dadurch seinen Einfluss auf die Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu sichern und Frauen als Informantinnen oder Zulieferer für sowjetische Partisanen zu nutzen.

Die größte Mobilisierungswelle von Frauen für die Rote Armee erfolgte im Frühjahr und Sommer 1942, wobei die Frauen zwischen 19 und 25 Jahre alt sein und über einen mittleren Bildungsabschluss verfügen mussten. Als sich die Lage um Stalingrad Ende 1942 zuspitzte, wurden 2000 Frauen vom GKO für eine mittlere militärische Führungslaufbahn auf Militärschulen geschickt, aber nachfolgend nicht in den entsprechenden Positionen eingesetzt. Frauen in Schützenregimentern erlebten desolate Zustände, mussten niedere Tätigkeiten wie Küchendienst verrichten und waren häufig mit sexuellen Übergriffen konfrontiert. In den Nachkriegsjahren wurde in der Gesellschaft pejorativ über „Feldweiber“ gesprochen, weshalb die meisten Frauen über ihren Einsatz schwiegen. Frauen in der Roten Armee waren eine kriegsbedingte Notwendigkeit, eine Ausnahme, es bestand keine Möglichkeit, nach 1945 eine militärische Karriere als sowjetische Frau fortzusetzen. Trotz allem erwiesen sich die Kombattantinnen als loyale Sowjetbürger.

Das Buch ist sorgfältig ediert und bietet weiterführende Perspektiven zur Frage nach der Verarbeitung von Gewalterfahrungen und Organisationsformen innerhalb der Roten Armee. Lediglich das Kapitel über Partisanen hätte einer breiteren Kontextualisierung bedurft, da sich dem Leser nicht die Bedeutung der sowjetischen Partisanenbewegung in Abgrenzung zu anderen Formen des Widerstands oder anarchistischer Handlungen in den besetzten Gebieten erschließt. Ebenso wäre es wünschenswert gewesen, mehr über militärische und politische Rangordnungen und Befehlsketten zu erfahren.

Carmen Scheide, St. Gallen

Zitierweise: Carmen Scheide über: Roger D. Markwick / Euridice Charon Cardona: Soviet Women on the Frontline in the Second World War. Houndmills, Basingstoke: Palgrave Macmillan Press, 2012. XXIII, 305 S., 23 Abb., 8 Tab., 6 Ktn. ISBN: 978-0-230-57952-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Scheide_Markwick_ Soviet_Women_on_the_Frontline.html (Datum des Seitenbesuchs)

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