Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 3 (2013), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Kurt Scharr

 

Paul Brusanowski: Rumänisch-orthodoxe Kirchenordnungen 1786–2008. Siebenbürgen – Bukowina – Rumänien. Hrsg. von Ulrich A. Wien und Harald Roth. Köln: Böhlau, 2011. XII, 611 S. = Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens. Ergänzungsreihe zum Siebenbürgischen Archiv, 33. ISBN: 978-3-412-20698-7.

Die Kirchen Rumäniens haben in den seit der Wende vergangenen zwei Jahrzehnten eine vergleichsweise unterschiedliche Öffentlichkeit in der wissenschaftlichen Diskussion erfahren. Während etwa die evangelische Kirche Siebenbürgens hier bereits auf eine lange Tradition an Darstellungen zurückblickt, die sich ungeachtet ihrer seit den 1980er Jahren zahlenmäßig schwindenden aktiven Mitgliederschaft fortsetzt (Vgl. K. W. Schwarz / U. A. Wien [Hrsg.]: Die Kirchenordnungen der evangelischen Kirche A.B. in Siebenbürgen [1807–1997]. Köln [etc.] 2005), liegen im deutschen Sprachraum für diese Zeitspanne nur wenige grundlegende Arbeiten vor, die sich der Orthodoxie Rumäniens widmen. (Vgl. etwa H.-Chr. Maner: Multikonfessionalität und neue Staatlichkeit. Orthodoxe, griechisch-katholische und römisch-katholische Kirche in Siebenbürgen und Altrumänien zwischen den Weltkriegen [1918–1940]. Stuttgart 2007; vgl. auch H.-Chr. Maner / N. Spannenberger [Hrsg.]: Konfessionelle Identität und Nationsbildung. Die griechisch-ka­tho­lischen Kirchen in Ostmittel- und Südosteuropa im 19. und 20. Jahrhundert. Stuttgart 2007; St. Mahieu / V. Naumescu [eds.]: Churches In-between. Greek Catholic Churches in Postsocialist Europe. Berlin 2008). In Rumänien sind dazu zuletzt einige Monographien publiziert worden, die sich auch kritischer Themen der orthodox-kirchlichen Zeitgeschichte annehmen. (Vgl. M. Bănică: Biserica Ortodoxă Română, stat şi societate în anii ’30. Bucureşti 2007; I. Conovici: Ortodoxia în România postcomunistă. Reconstrucţia unei identităţi publice. Vol. 1–2. Cluj-Napoca 20092010.) Ebenso hat der Autor des hier zur Besprechung vorliegenden Bandes, Paul Brusanowski, bereits diverse, thematisch verwandte Beiträge zur Diskussion gestellt. (Vgl. zuletzt P. Brusanowski: Reforma Constituţională din Biserica Ortodoxă a Transilvaniei între 1850–1925. Cluj 2007.)

Zu einem der wesentlichen Charakterzüge Rumäniens im 20. Jahrhundert zählt dessen ausgesprochene Heterogenität im Staats- und Gesellschaftsaufbau nach 1918. Davon waren nicht nur die staatlich-rechtlichen, sondern in besonderem Maße auch die sozialen Strukturen betroffen, wobei innerhalb dieser den orthodoxen Kirchen des Landes eine Sonderrolle zukommt. Mit der Etablierung Großrumäniens im Gefolge des Ersten Weltkrieges ergab sich das Problem der Vereinigung dreier (rumänisch) orthodoxer Kirchen, von denen jede bis zu diesem Zeitpunkt mit einem völlig anderen sozio-politischen Hintergrund ihrer Entstehung und Entwicklung konfrontiert gewesen war: die Siebenbürgisch-rumänisch-orthodoxe Kirche, die unter der Führung Andrei Şagunas während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch ihre innere Konsolidierung versuchte, den sozialen Aufstieg der rumänischen Bevölkerung innerhalb des ungarischen Königreiches zu betreiben; die Rumänisch-orthodoxe Landeskirche der Bukowina, die zwar durch den Religionsfonds über eine beträchtliche Finanzierungsbasis verfügte, deren innerkirchliche Strukturen jedoch im Vergleich zur orthodoxen Kirche Siebenbürgens wenig außerhierarchische Mitsprachemöglichkeiten boten; die Rumänisch-orthodoxe Kirche (ROK) des „Altreichs“, die sich als Nationalkirche empfand und (finanziell) zunehmend in eine direkte Abhängigkeit vom rumänischen Staat geriet; und zuletzt die Griechisch-katholische Kirche Siebenbürgens, die über die Kirchenunion von Blasendorf (Blaj) einen Grundpfeiler für das gesamtrumänische Nationalbewusstsein im 19. Jahrhundert gesetzt hatte.

Paul Brusanowski legt mit dieser Publikation erstmals wichtiges Quellenmaterial zur vergleichenden Verfassungsentwicklung der orthodoxen Kirchen Rumäniens für einen langen Zeitraum, von 1786 bis 2008, vor. Durch die Zusammenführung und teilweise erstmalige Übertragung dieser Texte ins Deutsche hat Brusanowski eine wichtige Basis für weitere Studien zu diesem komplexen Thema aufbereitet. Dass die Quellenedition in der Reihe des Siebenbürgischen Archivs erschien, die sich schon im vorangegangenen Band 30 mit den evangelischen Kirchenordnungen auseinandersetzte, erweitert zudem die zeitlich-räumliche Kontextualisierung der vorliegenden Arbeit.

Der Autor ist Universitätsdozent an der Lucian Blaga-Universität von Hermannstadt (Sibiu) und lehrt an der theologischen Andrei-Şaguna-Fakultät, die er selbst 1996 absolvierte und mit einem Diplom abschloss. Das Doktorat in Theologie verteidigte Brusanowski 2004 mit einer Studie zur konfessionell-orthodoxen Bildung in Siebenbürgen in den Jahren 1848–1918 („Învăţământul confesional ortodox din Transilvania între anii 1848–1918“).

Nach der Einleitung – die einen Überblick zu allen rumänisch-orthodoxen Kirchen des späteren gemeinsamen Staates verspricht, der ROK des Altreichs jedoch mehr Platz einzuräumen scheint – folgt auf sechs Kapitel verteilt die kommentierte Edition der diversen Kirchenordnungen (1. Das Organische Statut der Rumänisch-Orthodoxen Kirche Ungarns und Siebenbürgens; 2. Die Gesetze betreffend die Kirche des Altreichs Rumänien 1865–1918; 3. Satzungen und Anordnungen betreffend die Kirche der Bukowina 1774–1918; 4. Die Gesetze und Anordnungen 1925–1948; 5. Das Statut von 1949 und dessen Novellierungen bis 2006; sowie 6. Das Statut für die Organisation und Funktion der Rumänisch Orthodoxen Kirche 2007/2008). Jedem Kapitel ist zur nötigen soziopo­li­tisch-zeitlichen Einordnung eine geraffte Einführung vorangestellt. Dabei baut Brusanowski ausführlich andernorts gedruckt vorliegende, nicht immer leicht zugängliche Sekundärquellen ein, die mithin wichtige Diskursfacetten sowohl innerhalb der Kirche(n) als auch zwischen den Kirche und dem Staat aufzeigen. Ein umfangreicher Anhang (S. 551–611) ergänzt zudem die Darstellung sinnvoll und erleichtert das Arbeiten mit der Edition.

Inhaltlich gelingt es etwa dem Autor, die Anstrengungen Şagunas um die innere Konsolidierung der orthodoxen Kirche Siebenbürgens in ihren Grundsätzen herauszuarbeiten, deren erklärtes Ziel letztlich auch in der rechtlichen Gleichstellung der rumänischen Bevölkerung des Landes bestand (S. 40 ff). Ein entscheidender Grund für die so heterogene Situation der rumänisch-orthodoxen Kirchen lag – wie Brusanowski klar aufzeigt – in ihrer überaus unterschiedlich ausgeprägten inneren Verfasstheit, der Spannung und dem differenzierten Kontakt zwischen Hierarchie, Laien, Kirchenvolk und Staat. Aber auch die finanzielle Situation der Kirchen wies große Abweichungen auf, die mitunter noch nach 1918 zu innerkirchlichen Begehrlichkeiten – wie das am Bukowinaer Religionsfonds deutlich wird – führten (vgl. S. 34, 102 ff, 151).

Konzeptionell fällt auf, dass Brusanowski den Vergleich zwischen den orthodoxen Kirchen Rumäniens zwar immanent durch die Gegenüberstellung der edierten Quellen liefert, in den einleitenden Kommentaren dazu jedoch kaum darüber hinausgehende eigene Überlegungen anstellt. Das ist ein Aspekt, der bei so einem teilweise kontroversiell gesehenen Thema zumindest in Ansätzen eingefordert werden müsste, zumal der Autor konfliktträchtigen Fragen geradezu auszuweichen scheint. So kommt etwa die Darstellung der Griechisch-katholischen Kirche Siebenbürgens in ihrer Bedeutung für die rumänische Nationsbildung nicht nur in der allgemeinen Einführung zu kurz. Die Union erscheint aus der Lektüre der Studie geradezu als etwas Randständiges. Die Zwangseingliederung bzw. Auflösung der Unierten Rumäniens in die ROK 1948 bleibt ebenso unerwähnt wie das prekäre und ambivalente Verhältnis der Rumänisch-orthodoxen Kirchenhierarchie sowohl zum autoritär-faschistischen als auch zum sozialistischen Staat nach 1938 bzw. im Gefolge des Zweiten Weltkrieges. Aus dieser Perspektive erlangen unklare Formulierungen (wie „im März 1938 [sei] die Rumänisch Orthodoxe Kirche in eine ihrer besten ‚Epochen‘“ eingetreten (S. 301), oder die Rede von den „guten alten Zeiten“ (S. 306)) eine gewisse Parteilichkeit, von der letztlich offenbleibt, ob sie vom Autor auch so beabsichtigt war. Das vehemente Bestreben der ROK-Hierarchie um den Erhalt der Kirche wird von Brusanowski hingegen geradezu betont – allerdings ohne dass er den nötigen Bezug zur parallel stattfindenden und teilweise bewussten Kollaboration mit dem autoritären Staat herstellt. Hier fehlen streckenweise wichtige Gegenpositionen, sodass die ROK dieser Epoche tendenziell positiv, streckenweise sogar apologetisierend nachgezeichnet erscheint. Die institutionelle Nähe der ROK  bzw. des Hermannstädter Metropoliten zur dortigen Universität, an der auch Herr Brusanowski lehrt, mag den teilweise engen Interpretationsspielraum des Autors erklären.

Dass sich die ROK gegenwärtig auf „Augenhöhe mit den Regierenden“ befindet – wie Brusanowski anmerkt (S. 425) –, mag im Sinne der neuen gesamtstaatsrechtlichen Situation Rumäniens nach 1989 zwar grundsätzlich gelten, erklärt aber nicht den erheblichen gegenteiligen staatlichen Einfluss, allein durch die geleisteten Transferzahlungen und steuerlichen Privilegien, deren Auswüchse in den vergangenen Jahren allenthalben Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden haben; aber das ist freilich schon mehr Teil der Verfassungsrealität und nicht der theoretischen Verfassung selbst, mit der sich der Autor ja im Eigentlichen auseinandersetzt.

Ohne das in Summe sicherlich große Verdienst der Arbeit schmälern zu wollen, sind hier zuletzt dennoch exemplarisch einige kleinere Mängel anzumerken. Sprachlich fällt die ausgiebige Verwendung der Leideform auf, die zumindest in den einführenden Begleittexten stärker hätte überarbeitet werden sollen. Unmittelbar archivalische Quellen oder auch Angaben zu potentiell für das Thema wichtigen Archiven finden in den Kommentaren kaum Verwendung; es überwiegen bereits gedruckt vorliegende sowie andernorts edierte Texte. Die optisch schlecht ausgeführten Karten im Anhang besitzen keine Legende, die auf die Differenzierung der Grenzlinien sowie die Nummerierung Bezug nimmt. Die Nummerierung bzw. Ordnung durch Buchstaben in den Karten bezieht sich wohl auf die jeweiligen Tabellen. Auch deckt sich z. T. die Darstellung mit der beigegebenen Kartenüberschrift nicht (etwa S. 552, Karte 1). Der Tabellenanhang selbst bietet jedoch eine brauchbare Übersicht zur Entwicklung der Kirchenstrukturen wie auch der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung Rumäniens (auf Basis der Volkszählungsdaten von 1930 und 2002). Die beigegebenen, ohnedies oftmals nur schwer zu erschließenden Kurzbiographien der wichtigsten (Kirchen-)Akteure sind überaus hilfreich. Allerdings wäre ein zusätzliches deutsch-rumänisches Fachglossar der wichtigsten Kirchenbegriffe wünschenswert gewesen und sollte in einer künftigen Ausgabe mitberücksichtigt werden.

Kurt Scharr, Innsbruck

Zitierweise: Kurt Scharr über: Paul Brusanowski: Rumänisch-orthodoxe Kirchenordnungen 1786–2008. Siebenbürgen – Bukowina – Rumänien. Hrsg. von Ulrich A. Wien und Harald Roth. Köln: Böhlau, 2011. XII, 611 S. = Schriften zur Landeskunde Siebenbürgens. Ergänzungsreihe zum Siebenbürgischen Archiv, 33. ISBN: 978-3-412-20698-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Scharr_Brusanowski_Kirchenordnungen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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