Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Maike Sach

 

Fernhändler, Dynasten, Kleriker. Die piastische Herrschaft in kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert. Hrsg. von Dariusz Adamczyk / Norbert Kersken. Wiesbaden: Harrassowitz, 2015. 293 S., 6 Abb., 2 Ktn., 9 Tab. = Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 30. ISBN: 978-3-447-10421-0.

Inhaltsverzeichnis:

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Die Geschichte des frühen polnischen Mittelalters ist ebenso spannend wie schwierig zu schreiben, sind doch nur vergleichsweise wenig Zeugnisse überliefert, die – wie bereits ein flüchtiger Blick in die Historiographie zum Thema zeigt – sehr unterschiedliche Interpretationen erlauben. Angesichts der spärlichen Überlieferung können sie allenfalls als mehr oder minder wahrscheinlich präsentiert werden; manche Details sind schwerlich zu klären. Umso wichtiger ist die systematische Auswertung des vorhandenen Materials durch eine Vielzahl an Herangehensweisen und Fragestellungen, um möglichst alle Indizien zu sammeln und jeweils neu zu prüfen. Die Autorinnen und Autoren der Beiträge des von Dariusz Adamczyk und Norbert Kersken initiierten Sammelbandes haben sich der Geschichte der piastischen Herrschaft nun durch die Rekonstruktion und Verortung von Austauschprozessen und Netzwerken genähert, in die diese Herrschaft eingebunden war. Dabei haben sie sich zum Ziel gesetzt, die konkreten Verbindungen, Abhängigkeiten und Rückkopplungseffekte sichtbar werden zu lassen, die zwischen den Akteuren auf so unterschiedlichen Handlungsfeldern wie dem überregionalen Handel, politisch motivierten dynastischen Heiraten sowie in den Netzwerken von Klerikern bestanden. Diese Handlungsfelder bilden gleichzeitig die thematischen Abschnitte des Werkes.

Im ersten Teil werden Handelsbeziehungen und insbesondere die Zirkulation von Silber im östlichen Europa und im Ostseeraum behandelt. Silber war in der frühen Zeit vor allem in Form von arabischen Dirhems oder von Hacksilber ein Zahlungsmittel, welches im Rahmen von Transaktionen von den jeweiligen Handelspartnern in einer von beiden Seiten akzeptierten Herangehensweise ausgewogen werden musste. Mit diesem wichtigen praktischen Aspekt befasst sich Christoph Kilger in seinem Aufsatz, der Konventionen des Wiegens und der überregionalen Geltung von Gewichtssystemen und Rechnungseinheiten gewidmet ist, welche sich an arabischen Normen orientierten. Kilger zeigt dies anschaulich an archäologischen Funden sowie an einer Waage nebst einem vollständigen Satz an Gewichten, die der norwegische Ingenieur Per Sandvik in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts in Äthiopien erstanden hatte und später an ein wissenschaftliches Museum in Trondheim übergab. Ihren Gebrauch, der wahrscheinlich auf älteren, im frühen Mittelalter auch in der Region um die Ostsee praktizierten arabischen Traditionen des Auswiegens von Edelmetall fußt, hatte Sandvik in einem Reisebericht beschrieben. Kilger gelingt es auf diese Weise zu zeigen, dass sich der Geltungsbereich des Mitqal als Gewichtseinheit zusammen mit dem arabischen Silber auch weit über die Grenzen des Kalifats hinaus erstreckte. Marek Jankowiak beleuchtet den Umlauf von Dirhems auf dem Gebiet der frühen piastischen Herrschaftsbildung und macht als Akteure, die Silber in erheblichen Umfang ins Land brachten bzw. holten, neben den Piasten auch Skandinavier aus. Dabei wurden insbesondere in der frühen Zeit Sklaven auf den Märkten der muslimischen Welt gegen Silber verkauft. Als der Zustrom von Silber aus den arabisch-muslimischen Gebieten versiegte, gewann Silber in Form von Pfennigen aus dem angrenzenden Reich an Bedeutung. Diesen Vorgang zeichnet Peter Ilisch in seinem Beitrag nach: Er hat die Zusammensetzungen von Münzhorten vom ausgehenden 10. bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts unter die Lupe genommen, in denen der Rückgang arabischen Silbers und die Zunahme von Prägungen westlicher Provenienz sichtbar wird. Dariusz Adamczyk untersucht in seinem Artikel den Zusammenhang zwischen der Herrschaftsbildung durch die Piasten und dem Zugriff auf Silber, das im Fernhandel gegen Güter eingetauscht wurde, die aus regionalen Abgaben und Tributen, aber auch aus Beute von Raubzügen und aus Gefangenen stammten; letztere wurden als Sklaven verkauft. Silber besaß zu Beginn eine zentrale Bedeutung für die Entlohnung von Gefolgschaften als Instrument fürstlicher Herrschaft. Waren die polnischen Herrscher zunächst abhängig vom Silberzustrom von außen, so lag es in ihrem Interesse, die Redistribution von Silber zu kontrollieren. Mittelfristig waren auch eigene Münzen zu prägen, die auf Akzeptanz in den frühen städtischen Zentren und Märkten stießen. Letzteres gelang im frühen 12. Jahrhundert.

Den zweiten Teil des Sammelbandes bilden fünf Beiträge über dynastische Heiratsverbindungen der Piasten, die in der Regel zur Absicherung politischer Bündnisse geschlossen wurden. Den Anfang macht Norbert Kersken mit einer Analyse von 20 Heiraten zwischen dem Piastenhaus und Angehörigen von Adelsfamilien aus dem römisch-deutschen Reich bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts. Dabei vermag er eine dynastische Heiratspolitik aufzuzeigen, von der deutsche Adelsfamilien in der Nachbarschaft ebenso wie die jeweils im Reich herrschende Dynastie berührt wurden. Es gab allerdings keine Verbindungen zwischen einem römisch-deutsch König, Kaiser oder seinem Thronfolger und einer piastischen Prinzessin, was Kersken zu Recht als Hinweis auf den Rang der Piasten verstehen möchte. Allerdings spielten sie wie alle Verwandten der jeweils herrschenden Dynastien als „heiratspolitische Reserve“ eine Rolle, wenn Ehen zur Förderung der Interessen Dritter geschlossen wurden. Eine der bekanntesten Verbindungen zwischen den Fürsten Polens und Böhmens dürfte die Heirat Mieszkos I. und der im Kontext der Christianisierung Polens schon früh als mulier suadens gewürdigten Dubrawka sein, die auch im Beitrag von Joanna Sobiesak ausführlich behandelt wird. In diesem Zusammenhang verweist die Autorin auf die kulturellen Wirkungen, die von den direkten Verbindungen, aber auch den zahlreichen Verschwägerungen zwischen Piasten und Přemysliden bei aller politischen Rivalität ausgingen. Weitaus seltener als im Falle des Reichs oder Böhmens finden sich Verbindungen zwischen den Piasten und den skandinavischen Herrscherhäusern, mit denen sich Jakub Morawiec mit Blick auf das 10. und 11. Jahrhundert auseinandergesetzt hat. Er führte die problematische Quellenlage für seine Untersuchung näher aus, in deren Rahmen bereits die Identifizierung von nach Skandinavien verheirateten Töchtern schwer fällt. So legendär mache Verbindung in den Quellen auch scheinen mag, so klar ist der politische Kontext, in dem sie Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhundert geschlossen wurden: Der Kampf gegen die Wilzen und die Behauptung der polnischen Position im Ostseeraum. Unsicherheiten in der Überlieferung in den Quellen konstatiert auch Dániel Bagi in seinem Beitrag über die Heiratsbeziehungen zwischen den Piasten und Árpaden im 11. und frühen 12. Jahrhundert. Nach einer Verortung der Erforschung genealogischer Beziehungen zwischen polnischen und ungarischen Herrscherhäusern innerhalb der den polnisch-ungarischen Beziehungen gewidmeten Historiographie konstatiert Bagi eine relativ geringe Zahl an nachweisbaren polnisch-ungarischen Fürstenhochzeiten für den Untersuchungszeitraum. In diesem wurden dynastische Verbindungen vorrangig mit Adelsfamilien aus dem Reich geschlossen, gefolgt von Heiraten mit Mitgliedern aus den Herrscherfamilien der Rus und aus Byzanz. In den Quellen seien aber neben den dokumentierten Eheschlüssen zwischen polnischen und ungarischen Partnern fürstlicher Herkunft auch Verschwägerungen überliefert. Auch finden sich dort Nachrichten von fiktiven Ehen, so dass man trotz eher seltener tatsächlicher genealogischer Verbindungen von guten Beziehungen zwischen den Dynastien ausgehen kann. Ein anderes Bild hinsichtlich der Dichte des genealogischen Netzwerkes bietet der Überblick von Dariusz Dąbrowski, der vom 11. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts eine relativ große Zahl an Ehen zwischen Piasten und Rjurikiden nachweisen kann und die unterschiedlichen Dynamiken von derlei Verbindungen bei der Änderungen der politischen Rahmenbedingungen aufzeigt, unter denen sie einmal als aktuelle Reaktion mit positiven, aber für politische Gegner auch negativen Zielsetzungen verhandelt und geschlossen wurden. Neben politisch wirksamen Auswirkungen arbeitet er auch kulturelle Folgen von längerer Dauer heraus, die sich in der Übernahme von Namen, aber auch in der Überlieferungsgeschichte von Artefakten greifen lassen.

Der mobilen Gruppe der Kleriker und der von ihnen geknüpften personalen Netzwerke und intellektuellen Beziehungsgeflechte sind vier Beiträge gewidmet, die den Band beschließen: Anna Adamska widmet sich mit der Frage nach der frühpiastischen Kanzlei und den dort praktizierten Formen der Schriftlichkeit, also einer Institution, über deren Existenz bereits in der Forschung ausführlich und ausdauernd gestritten worden ist. Der Mangel an verfügbaren Quellen zur Erhellung des Problems ermöglichte darüber hinaus eine Vielzahl von Interpretationen und Deutungen. War der Einzug von Schriftlichkeit auch in der Herrschaftsausübung eine wichtige Folge der Christianisierung, so wird man laut der Verfasserin nicht unbedingt die Verhältnisse, die der Genese von Kanzleien im Reich zugrunde lagen, auf Polen übertragen dürfen: Zwar gab es dort ebenfalls einen Bedarf an der Ausstellung von Herrscherurkunden, und die Hofkapelle als Keimzelle einer solchen Einrichtung hatte auch in Polen viele Aufgaben. Die politische Zersplitterung verhinderte aber eine Institutionalisierung; zudem gab es einen Mangel an entsprechend gebildetem Personal, so dass man insbesondere in der Frühzeit auf ausländische Ordensgeistliche zurückgriff. Diese Personen stellen über die Ordensstrukturen, in die sie eingebunden waren, Bindeglieder zu den Bildungszentren Europas dar. Später werden in dieser Funktion auch Landeskinder greifbar, die eine entsprechende Ausbildung genossen und sich Kenntnisse in der ars dictandi angeeignet hatten. Mit anderen Aspekten der Schriftkultur befasst sich Marzena Matla, die in ihrem Beitrag ebenfalls die fundamentale Bedeutung der Christianisierung für den Aufbau staatlicher und kirchlicher Strukturen sowie für die Entwicklung der (Schrift‑)Kultur betont. Kirchliche Außenkontakte fanden auch Niederschlag in der Annalistik, indem über die kirchlichen Organisationsstrukturen und daraus hervorgehende Kontakte, sowie über politisch-dynastische Verbindungen annalistische Aufzeichnungen von außen nach Polen gelangten und dort den Grund für die Schaffung von eigenem historischen Schrifttum bereiteten. Den Blick auf Akteure richtet Dariusz Andrzej Sikorski, der die Rolle von Geistlichen ausländischer Herkunft in der polnischen Kirche in den Fokus rückt. Für seinen Untersuchungszeitraum (10. bis 12. Jahrhundert) steht er allerdings vor dem grundsätzlichen Problem, dass nur wenige Informationen in den Quellen erhalten geblieben sind, bisweilen nur Namen, die nicht immer eine eindeutige Zuordnung der Herkunft ihrer Träger erlauben. Infolgedessen hat sich Sikorski mit gebotener Vorsicht vor allem mit Personen aus der obersten Hierarchie, den Bischöfen beschäftigt. Dabei kann er zeigen, dass Ausländer vor allem in den ersten Jahrzehnten nach der Christianisierung Schlüsselpositionen in der im Aufbau befindlichen polnischen Kirche innehatten, zu Beginn des 13. Jahrhunderts jedoch waren die Bistümer bereits fast ausschließlich mit Polen besetzt. Wegen der grundlegenden historischen Bedeutung der Christianisierung weist der Aufsatz von Krzysztof Skwierczyński, der intellektuellen Kontakten Polens mit dem Ausland gewidmet ist, zwangsläufig große Berührungspunkte zu den Beiträgen von Matla und Sikorski auf. Skwierczyński grenzt seine Ausführungen inhaltlich von diesen Texten ab, vermittelt allerdings noch einmal einen Blick auf Kontakte und Verbindungslinien, die auf verschiedenen Ebenen zwischen dem schon länger christlichen westlichen Europa und Polen verliefen: die missionarischen Bemühungen von Mönchen und Eremiten, aber auch die einsetzende Gründung von Domschulen, die Kontakte zu Bildungszentrum im Ausland unterhielten, den Import von liturgischen Texten, fürstliche und adlige geistliche Stiftungen sowie die Reisen von Legaten und die über kirchliche Vermittlung verlaufende Rezeption römischen Rechts.

Obgleich alle Autoren wiederholt auf die Konsequenzen der mitunter recht spärlichen Quellengrundlage für ihre Ausführungen verweisen, so entsteht doch in der Zusammenschau aller Beiträge über drei sehr grundlegende Aktionsfelder, die die Entwicklung der frühen piastischen Herrschaft maßgeblich bestimmten, ein eindrucksvolles Bild von den überregionalen Bezügen und Verflechtungen, in denen diese Herrschaft als integraler Bestandteil europäischer Geschichte eingebunden war. Der Band verfügt über einige Abbildungen sowie über ein Personen- und Ortsnamensregister.

Maike Sach, Emden und Kiel

Zitierweise: Maike Sach über: Fernhändler, Dynasten, Kleriker. Die piastische Herrschaft in kontinentalen Beziehungsgeflechten vom 10. bis zum frühen 13. Jahrhundert. Hrsg. von Dariusz Adamczyk und Norbert Kersken. Wiesbaden: Harrassowitz, 2015. 293 S., 6 Abb., 2 Ktn., 9 Tab. = Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 30. ISBN: 978-3-447-10421-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Sach_Adamczyk_Fernhaendler_Dynasten_Kleriker.html (Datum des Seitenbesuchs)

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