Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Peter Ruggenthaler

 

Anna Maria Grünfelder: Arbeitseinsatz für die Neuordnung Europas. Zivil- und ZwangsarbeiterInnen aus Jugoslawien in der „Ostmark“. 1938/41–1945. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2010, 262 S. ISBN: 978-3-205-78453-1.

Während des Zweiten Weltkriegs waren im Deutschen Reich bis zu 13 Millionen ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene in der NS-Kriegswirtschaft eingesetzt. Aus allen Teilen Europas verschleppt oder unter leeren Versprechungen nach Deutschland verbracht, stellten sie einen wesentlichen Faktor in der Rüstungsindustrie, in der Land- und Forstwirtschaft und in anderen Bereichen der Wirtschaft dar. Ungefähr eine Million ausländische Arbeitskräfte befanden sich auf dem Gebiet des heutigen Österreich1, ca. 580.000 davon waren zivile Zwangsarbeiter, knapp über 300.000 Kriegsgefangene und 200.000 KZ-Häftlinge, in erster Linie in Mauthausen, von denen jeder zweite die Torturen nicht überlebte. Anzumerken gilt, dass die Übergange zwischen den drei unterschiedenen Kategorien von Zwangsarbeitern teilweise fließend waren, also vielfach Kriegsgefangene innerhalb des KZ-Lagersystems zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, in den Zivilarbeiterstatus überführt wurden oder zivile Zwangsarbeiter aufgrund von Vergehen in Arbeitserziehungslager beziehungsweise Konzentrationslager eingewiesen wurden. Hinzu kommen noch an die 55.000 ungarische Juden, die 1944 zur Zwangsarbeit aus Ungarn nach Ostösterreich deportiert wurden, wo sie zum Bau des so genannten Südostwalls eingesetzt wurden.

Anna Maria Grünfelder widmet sich in ihrem Buch dem Schicksal der „Zivil- und ZwangsarbeiterInnen“ aus Jugoslawien in der „Ostmark“, das bislang kaum erforscht worden war (sieht man von wenigen wirtschaftsgeschichtlichen Studien, die die Thematik tangieren, ab, S. 11). Der nicht ganz korrekt gewählte Titel spiegelt die Schwierigkeit der Thematik wider. Einerseits liegt der Schwerpunkt auf dem von Hitlers Gnaden geschaffenen „Unabhängigen Staat Kroatien“ (NDH), andererseits werden auch die aus den von Ungarn und Italien annektierten „jugoslawischen“ Gebieten rekrutierten Zwangsarbeitskräfte abgehandelt. Das Schicksal der anderen südslawischen Nationalitäten ist nicht Gegenstand der Untersuchungen der Autorin.

Die mittlerweile zahlreichen Studien zur NS-Zwangsarbeit haben deutlich aufgezeigt, dass sich nur die wenigsten zivilen Arbeitskräfte freiwillig für einen Arbeitseinsatz im Deutschen Reich gemeldet hatten. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Aufgrund der arbeitsrechtlichen Diskriminierungen sind aber auch diese sogenannten Freiwilligen generell als Zwangsarbeiter zu bezeichnen. Die Gruppe der Kroaten ist hier von besonderem Interesse, da sie als einzige Angehörige eines slawischen Volkes deutschen Arbeitern de jure gleichgestellt waren, obwohl dies, wie die Autorin vorab festhält, „für ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen wenig bedeutete“. (S. 10.) „Fremdarbeiter“, wie alle ausländischen Arbeitskräfte pauschal im Deutschen Reich bezeichnet wurden, waren aber nicht gleich „Fremdarbeiter“. Hier kam die NS-Rassenideologie zum Tragen, an deren Spitze die „artverwandten“, „blutgleichen“ Volksangehörigen standen. Unten in der Hierarchie der zivilen Zwangsarbeiter standen die slawischen „Ostarbeiter“. An unterster Stelle standen Juden, die im „Dritten Reich“ jedoch kaum als zivile Zwangsarbeiter zum Einsatz herangezogen wurden.2 Alle anderen europäischen Völker nahmen in der Gruppe der zivilen Zwangsarbeiter eine Zwischenstellung ein.

Die Arbeits- und Wirtschaftsmigration der Kroaten nach Österreich und Deutschland hatte – wie generell aus dem „jugoslawischen“ Raum bis in den Ersten Weltkrieg zurückreichende Tradition. Vor der Besetzung Jugoslawiens durch die Deutsche Wehrmacht 1941 arbeiteten bereits Tausende „Jugoslawen“ im Deutschen Reich. 1943 stellten die jugoslawischen Zwangsarbeiter acht Prozent aller im Deutschen Reich eingesetzten ausländischen Arbeitskräfte.

Besondere Aufmerksamkeit widmet Grünfelder in ihrem Buch daher den Aushebungs­modalitäten der Arbeitskräfte. Dies ist, nicht zu Unrecht, die Kategorisierung von Arbeitskräften als Zwangsarbeiter – auch den heutigen gültigen internationalen Regelungen zufolge – besonders von diesem Kriterium abhängig. In der Einleitung nimmt die Autorin bereits vorweg, dass die Gewaltausübung bei der Aushebung von Arbeitskräften in dem von ihr untersuchtem Gebiet (Grünfelder beschränkt sich im Wesentlichen auf die Grenzen des heutigen Kroatien) sowohl durch die kroatischen Behörden als auch von den mit den Ustaša-Einheiten zusammenarbeitenden deutschen Ämtern (die zudem auch in Eigenregie rekrutierten) alltäglich war (S. 21). Die Arbeitskräfterekrutierung fand im NDH auf drei Ebenen statt: mittels Razzien (ab S. 69), auf Basis des deutsch-kroatischen Vertrages zur Beschaffung von Arbeitskräften in Kroatien (ab S. 81) und im Rahmen der deutsch-kroatisch-italienischen Großoffensiven gegen Partisanen (ab S. 98). Damit unterschieden sich die Rekrutierungsmethoden beispielsweise kaum von den in der besetzten Sowjetunion angewandten (mit oder ohne Zusammenwirken mit kollaborierenden Organen). Dies ist auch der beste Teil der Studie. Grünfelder fügt damit die Rekrutierung von Arbeitskräften in das Gesamtbild der Politik NS-Deutschlands ein. Das Deutsche Reich wurde mit den geforderten Arbeitern versorgt und der kroatische Staat entledigte sich damit unerwünschter Bevölkerungsgruppen.

Ausgeblendet in der Untersuchung bleibt aber das Schicksal der 330.000 in deutsche Hand geratener jugoslawischen Kriegsgefangenen. Da bei diesen in großem Maße die Bestimmungen der Genfer Konvention systematisch gebrochen wurden, sind sie generell als Zwangsarbeiter zu kategorisieren. Auch wenn die Erforschung ihres Schicksals ein eigenes Forschungsprojekt darstellen würde, so hätte die Autorin doch zumindest auf der Basis der ausführlichen Kriegsgefangenenliteratur das Schicksal dieser Gruppe in der „Ostmark“ beleuchten können.3

Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter legt Grünfelder in erster Linie auf der Basis der Akten des Österreichischen Versöhnungsfonds (ÖVF) und von Interviews dar. Der Lesefluss wird durch die gewählte Methodik, so viele Einzelschicksale wie möglich – mit ständiger Angabe von Geburtsjahren und -orten) aufzulisten, erheblich gestört. So bleiben Hintergründe dieser Schicksale verborgen und diesem Teil der Arbeit kommt vor allem dokumentarischer Wert zu. Dem stark deskriptiven Narrativ dieses Kapitels (ab S. 138) hätte aber ein mehr in die Tiefe gehender analytischer Ansatz gut getan. Zudem liest sich das Buch überhaupt phasenweise wie ein Forschungsbericht über die Quellenlage.

Auch eine genauere Erforschung der Einzelschicksale wäre für die Studie vorteilhaft gewesen. Dann hätten sich wohl auch Vermutungen erübrigt. Die Erkenntnis, dass landwirtschaftliche Güter (wie beispielsweise Bretstein oder St. Lambrecht in der Steiermark) zum KZ-System Mauthausen gehörten und damit auch formelle KZ-Insassen zur Zwangsarbeit in der Landwirtschaft herangezogen wurden, ist nicht neu.4 Wenn eine Zeitzeugin angibt, sie habe auf einem zu Mauthausen gehörenden „landwirtschaftlichen Gut in Judenburg“ gearbeitet, hätte dies einer eingehenderen Recherche bedurft als schlicht festzuhalten, Judenburg sei „nicht unter den Konzentrationslager-Außenstellen verzeichnet“ (S. 142), wo doch die Autorin zu recht reklamiert, dass es sich hierbei um einen wenig erforschten Bereich handelt.5 Anzunehmen ist wohl, dass die Betroffene in einem der genannten Güter im Bezirk Judenburg eingesetzt wurde. Hier gilt es in Zukunft, einen Schwerpunkt auf die Erforschung dieser Desiderata zu setzen.

Grünfelder hat für ihre Studie – abgesehen von dem genannten Bestand des ÖVF – ausschließlich Quellen aus kroatischen Archiven verwendet. So kann sie freilich wesentliche Fragestellungen nicht beantworten (etwa zur Genese des deutsch-kroatischen Abkommens über die Entsendung von Arbeitskräften in das Deutsche Reich). Von besonderem Interesse – und für die vorliegende Studie eigentlich unabdingbar – wären auch die Unterlagen der in vielen kroatischen Städten vertretenden Büros des Reichsarbeitsministeriums gewesen („wird man in deutschen Archiven suchen müssen“, S. 60). Dass man auf dieser Basis nicht die Geschichte der jugoslawischen Zwangsarbeiter im Deutschen Reich (oder auch nur in der „Ostmark“) schreiben kann, ist klar. Aber ein erster wichtiger Schritt in dieser Richtung ist getan. Jeder, der sich künftig mit dem Schicksal der jugoslawischen Kriegsgefangenen im Deutschen Reich beschäftigt, wird auf Grünfelders Studie aufbauen und von ihr profitieren können.

Peter Ruggenthaler, Graz

Zitierweise: Peter Ruggenthaler über: Anna Maria Grünfelder: Arbeitseinsatz für die Neuordnung Europas. Zivil- und ZwangsarbeiterInnen aus Jugoslawien in der „Ostmark“. 1938/41–1945. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2010, 262 S. ISBN: 978-3-205-78453-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Ruggenthaler_Gruenfelder_Arbeitseinsatz_fuer_die_Neuordnung_Europas.html (Datum des Seitenbesuchs)

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1Siehe hierzu Florian Freund / Bertrand Perz / Mark Spoerer Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939–1945. Wien, München 2004. = Veröffentlichungen der Historikerkommission der Republik Österreich, 26/1), S. 346; Stefan Karner / Peter Rug­genthaler Zwangsarbeit in der Land- und Forstwirtschaft auf dem Gebiet Österreichs 1939 bis 1945. Wien, München 2004. (Veröffentlichungen der Historikerkommission der Republik Österreich, 26/2); Ulrich Herbert Fremdarbeiter. Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches. Bonn 1999; Mark Spoerer Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939–1945. Stuttgart, München 2001.

2ZurOstmark“ siehe vor allem Wolf Gruner Zwangsarbeit und Verfolgung. Österreichische Juden im NS-Staat 1938–45. Innsbruck, Wien, München 2000.

3Zahlen zujugoslawischenKriegsgefangenen in den Lagern auf dem Gebiet des heutigen Österreich finden sich bei Hubert Speckner In der Gewalt des Feindes. Kriegsgefangenenlager in der „Ostmark“ 1939 bis 1945. Wien, München 2003.

4Dietmar Seiler Die SS im Benediktinerstift. Aspekte der KZ-Außenlager St. Lambrecht und Schloss Lind. Graz 1994; Hans Maršálek Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen. Dokumentation. 4. Aufl. Wien 2006.

5Eine Ausnahme ist beispielsweise folgende Studie: Stefan Karner / Heide Gsell / Philipp Lesiak Schloss Lanach 1938–1949. Graz 2008.