Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Grzegorz Rossoliński-Liebe

 

Dónal O’Sullivan: Dealing with the Devil. Anglo-Soviet Intelligence Cooperation During the Second World War. New York [usw.]: Lang, 2010. XII, 337 S., Kte., zahlr. Abb., Tab. = Studies in Modern European History, 63. ISBN: 978-1-4331-0581-4.

Einige Wochen nach dem Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 schlossen sich die ideologischen Kontrahenten Großbritannien und Sowjetunion zusammen, um ihren gemeinsamen Feind, das nationalsozialistische Deutschland, zu bezwingen. Ihre Kollaboration war pragmatischer Natur. Ähnlich wie die sowjetisch-amerikanische Kooperation brach auch sie ziemlich abrupt mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Beginn des Kalten Krieges ab. O’Sullivan konzentriert sich in seiner enthüllenden Monographie auf einen wesentlichen Aspekt dieser Zusammenarbeit, nämlich auf die des britischen und sowjetischen Geheimdienstes, ein Bündnis, das er als „dealing with the devil“ umschreibt.

Die britisch-sowjetische Geheimdienstkooperation bestand zwischen dem NKVD (Narodnyj komissariat vnutrennich del) und dem SOE (Special Operations Executive). Beim SOE handelte es sich um eine 1940 gegründet geheimdienstliche Institution, die vom eigentlichen britischen Geheimdienst SIS (Secret Intelligence Service) isoliert war (S. 6). Der NKVD befand sich zu Beginn der Kooperation mit der SOE ebenfalls in einem nicht besonders guten Zustand. Während der wenige Jahre zurückliegenden Terrorwelle hatte er mehrere seiner besten Mitarbeiter verloren (S. 41, 105). Darüber hinaus war der NKVD bis 1941 keine besonders einflussreiche und angesehene Institution innerhalb des sowjetischen Apparats. Selbst Stalin vertraute bis zum Moment des Angriffs am 22. Juli 1941 mehr Hitler als dem NKVD, dessen Warnungen er schlichtweg ignorierte und damit den Tag des Angriffes unvorbereitet und überrascht erlebte (S. 2324).

Die britisch-sowjetische Zusammenarbeit erwies sich als eine große Herausforderung für beide Seiten. Zwar ermöglichte sie es den Geheimdiensten, relevantes Wissen über die jeweils andere Seite für den Kalten Krieg zu sammeln, O’Sullivan deutet jedoch bereits auf der ersten Seite ihren wenig erfolgreichen Verlauf an: „documents indicate small successes and serious failures.“ Beide Seiten erwarteten zu viel voneinander und waren nicht bereit, das extreme Misstrauen zu überwinden, selbst dann nicht, wenn es um das Leben ihrer gemeinsamen Agenten ging (S. 277).

Der Gestapo gelang es, die meisten der nicht genügend vorbereiteten Agenten gefangen zu nehmen, und sie als Köder für weitere sowjetische und westliche Agenten zu benutzen oder mit ihrer Hilfe die sowjetischen und britischen Zentralen zu täuschen. Im Februar 1943 soll die Gestapo mehr über die sowjetischen Agenten gewusst haben als selbst das mit diesen zusammenarbeitende SOE (S. 8990). Auch deshalb schwiegen beide Seite nach dem Krieg über ihre gemeinsame Geschichte. Darüber hinaus stilisierte man die toten Geheimagenten zu Märtyrern des Sozialismus und benannte Schulen und Jugendorganisationen nach ihnen. Dies machte zum Beispiel die DDR mit dem in Berlin geborenen britisch-sowjetischen Agenten Bruno Kühn. Nach der DDR-Mythologie starb dieser „Held“ in Weißrussland im heroischen Kampf an der Seite der Partisanen gegen die Nazis. Die tatsächliche Geschichte über seine Exekution in Brüssel am 6. Juli 1944, ein Jahr nach seiner Verhaftung durch die Gestapo, blieb unbekannt (S. 2, 143–159).

Die 34 Agenten der britisch-sowjetischen Hauptaktion „Pickaxe“, die von September 1941 bis Mai 1944 lief, kamen aus der Sowjetunion. Sie wurden zunächst in der Nähe von Moskau ausgebildet, dann mit den Flugzeugen des SOE in verschiedenen Ländern, die sich unter deutscher Okkupation befanden, mit Fallschirm abgesetzt. Ihre Lebenserwartung lag zwischen vier Tagen und acht Monaten nach der Landung (S. 288). Unter den britisch-sowjetischen Agenten gab es viele kommunistische Veteranen des spanischen Bürgerkrieges und Kommunisten aus verschiedenen westeuropäischen Ländern, die in die Sowjetunion ausgewandert waren (S. 7378, 106). Bei der Suche nach Agenten für diese wie auch andere Aktionen richtete sich der NKVD nicht nach dem Prinzip der Freiwilligkeit. Die Kandidaten kannten das sowjetische Regime gut genug, um dem Verfahren nicht zu widersprechen (S. 117). Die Art des Umgangs mit den Agenten bildete einen enormen Unterschied zwischen dem sowjetischen und dem britischen Geheimdienst. Dies wirkte sich entsprechend auf das Selbstverständnis, die Motivation und das Handeln der Agenten aus (S. 297298). Nur äußerst wenige sowjetische Agenten konnten ein so komfortables Leben führen wie der britische Agent George Hill, der  zwischen 1941 und 1945 in Moskau lebte und unter der Aufsicht des NKVD eine besondere Beziehung zu dieser Stadt und ihren schönen Frauen aufbaute (S. 5268).

Am engsten gestaltete sich die britisch-sowjetischen Kooperation in Teheran, wo das britisch-sowjetische Team verhinderte, dass die lokale Bevölkerung die Loyalität wechselte, eine prodeutsche Regierung etablierte und Nazi-Deutschland im Krieg unterstützte. Ebenso soll das das britisch-sowjetische Team angeblich ein Attentat auf Roosevelt, Stalin und Churchill auf der Konferenz in Teheran verhindert haben, wobei nicht eindeutig bewiesen ist, ob die Deutschen dieses tatsächlich planten (S. 195204, 290). Eine der spannendsten, aber auch am wenigsten erfolgreichen Aktionen mit dem Namen „Mamba“ bestand darin, die russische Kollaboration mit den Deutschen, vor allem in Gestalt von Andrej Vlasovs Russischer Befreiungsarmee, zu „stehlen“ und sie im Kampf gegen Deutschland zu benutzen (S. 215–237).

O’Sullivans Monographie basiert auf Dokumenten, die teilweise erst 2008 entsperrt wurden (S. 11). An mehreren Stellen gibt der Autor zu, dass noch nicht entsperrte Archivalien mehr Licht auf die Frage des immer noch vernebelten Themas werfen könnten (S. 282). Er sensibilisiert auch die Leser und andere Historiker für die allgemeinen Probleme der Geheimdienstgeschichte: „Scholars studying intelligence history always need to be cautious because the institutions involved have a keen interest in writing their own history.“ Seinen aufmerksamen und feinen Umgang mit der Geheimdienstvergangenheit erwies O’Sullivan unter anderem am Fallbeispiel der „Roten Kapelle“, die als solche, wie er beweist, nicht existierte und nur durch den Jargon der Abwehr zu einer kohärenten Einheit konstruiert wurde, um danach als ein quasi mythologischer Begriff nicht nur von Politikern, sondern auch von Geheimdiensten und Geheimdiensthistorikern benutzt zu werden (S. 252, 290294).

Grzegorz Rossoliński-Liebe, Berlin

Zitierweise: Grzegorz Rossoliński-Liebe über: Dónal O’Sullivan: Dealing with the Devil. Anglo-Soviet Intelligence Cooperation During the Second World War. New York [usw.]: Lang, 2010. XII, 337 S., Kte., zahlr. Abb., Tab. = Studies in Modern European History, 63. ISBN: 978-1-4331-0581-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Rossolinski-Liebe_OSullivan_Dealing_with_the_Devil.html (Datum des Seitenbesuchs)

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