Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Stefan Rohdewald

 

Andrej L. Jurganov (Hg.): Istočnikovedenie kultury. Almanach. [Quellenkunde der Kultur. Almanach]

Vyp. 1. Moskva: RGGU, 2007. 383 S., 17 Abb. = ISBN: 978-5-7281-0918-1.

Vyp. 2. Moskva: RGGU, 2010. 481 S. = ISBN: 978-5-7281-1077-4.

Die im Abstand von drei Jahren erschienenen ersten Bände der Zeitschrift (oder Reihe?) Quellenkunde der Kultur der Russländischen Staatlichen Humanistischen Universität in Moskau wurden zur Festigung dieser „speziellen Disziplin der historischen Phänomenologie, einer neuen Richtung in der Geschichtswissenschaft“, veröffentlicht (1, S. 7). Die Beiträge, so die Herausgeber, wenden sich von einer positivistischen Herangehensweise ab, auch wo die Verfasser nicht der favorisierten „phänomenologischen Bewegung“ zugerechnet werden können (1, S. 9). Der hier vertretene „Positivismus mit phänomenologischem Einschlag“ (2, S. 7) soll, anstatt „objektivistisch“ „Fakten“ in den Quellen zu suchen, das Hauptaugenmerk auf „Fakten eines fremden Bewusstseins als einziger Wirklichkeit der Vergangenheit“ richten (1, S. 9). Der Herausgeber A. L. Jurganov definiert „Kultur“ dabei allzu knapp als „jede Erscheinung des menschlichen Denkens“, ohne auf andere Möglichkeiten einzugehen. Die Gelegenheit, weiterreichende Überlegungen im Sinne der „neuen Kulturgeschichte“ aufzugreifen, wird versäumt. Dennoch sind mehrere Beiträge von Interesse.

I. K. Mironenko-Marenkova untersucht eine hagiographische Schrift der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der das Leben eines in der Quelle als „jurodivyj“ bezeichneten Narren in Christo geschildert wird. In der Kombination annalistischer und biographischer Details wird das Bestreben des Verfassers sichtbar, von der früher üblichen Verewigung der Beobachtung hin zu einer phänomenologischen Beschreibung der Autopsie überzugehen. Für das von den Herausgebern angedachte breite Spektrum der fortlaufenden Publikation steht auch ein Aufsatz von D. Ju. Chochlov über ein Kriegstagebuch und Fotoalbum eines deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Sodann widmet sich D. I. Antonov im selben ersten Heft ausführlich der Analyse der Beschreibung der gesamtgesellschaftlich bedeutenden kulturellen Praxis des Kreuzkusses bzw. des Eids in der mittelalterlichen Literatur der Rus’ und konkretisiert den Wandel hin zum Eid auf das Evangelium in der Frühen Neuzeit. Ju. E. Bukatina reflektiert quellenkritische Überlegungen bei der Deutung von Märchen, die sich mit dem Wandel von positivistischen hin zu erzähltheoretischen Annahmen im Laufe des 20. Jahrhunderts stark verändert hat.

Im zweiten Band der Zeitschrift wird u.a. in einem Beitrag des Hauptherausgebers A. L. Jurganov auf mehr als 150 Seiten die Entstehung der stalinistischen „wissenschaftlichen Konvention“ des „Russischen Nationalstaats“ in den späten 1930er Jahren behandelt. Zudem leistet Čoi Čžin Sok eine gelungene Einführung in Vorstellungen kultureller Dynamik bzw. der „Karnevalisierung“ in den Arbeiten von Michail Bachtin. I. G. Venjavkin richtet mit einer verdienstvollen Analyse und Edition von bisher unpublizierten Teilen eines literarischen Selbstzeugnisses der Jahre des „Großen Terrors“ das Augenmerk auf Aspekte des Stalinismus.

Stefan Rohdewald, Gießen

Zitierweise: Stefan Rohdewald über: Andrej L. Jurganov (Hg.): Istočnikovedenie kul’tury. Al’manach. [Quellenkunde der Kultur. Almanach] Vyp. 1. Moskva: RGGU, 2007. 383 S., 17 Abb. = ISBN: 978-5-7281-0918-1. Vyp. 2. Moskva: RGGU, 2010. 481 S. = ISBN: 978-5-7281-1077-4. , http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Rohdewald_Jurganov_Istocnikovedenie_kultury.html (Datum des Seitenbesuchs)

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