Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Isabel Röskau-Rydel

 

Kurt Scharr: „Die Landschaft Bukowina“. Das Werden einer Region an der Peripherie 1774–1918. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2010. 396 S., Abb., Ktn., Tab. ISBN: 978-3-205-78463-0.

Der Historiker und Geograph Kurt Scharr schenkt in seinem Buch der 240-jährigen Geschichte der kleinen, etwa 10.000 km² zählenden Kulturlandschaft Bukowina, die nach der Besetzung durch Österreich 1774 zunächst unter militärischer Verwaltung stand, dann 1786 als 19. Kreis Czernowitz dem 18 Kreise zählenden Kronland Galizien und Lodomerien angegliedert wurde, seine besondere Aufmerksamkeit. Die an der südöstlichen Peripherie der Habsburgermonarchie gelegene Bukowina, die als „Herzogtum Bukowina“ erst 1849 ein eigenes Kronland wurde, nahm von Beginn an eine ganz andere Entwicklung als das Kronland Galizien. Dies lag einerseits an ihrer von Wien aus zunächst ausschließlich strategisch wahrgenommenen Bedeutung als militärische Grenze zum Osmanischen Reich und andererseits an der im Vergleich zu Galizien ganz anderen ethnischen Zusammensetzung der im Jahr 1774 zwischen 60.000 und 70.000 Einwohner zählenden Bevölkerung, da hier die rumänisch-orthodoxe Bevölkerung überwog, die in den anderen benachbarten Kreisen Galiziens nur in verschwindend geringer Anzahl lebte. Die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart andauernden, vielfältigen Gestaltungsprozesse dieser an der Peripherie der Habsburgermonarchie gelegenen Region sind Untersuchungsgegenstand des Verfassers.

Das insgesamt 396 Seiten umfassende Buch besteht aus einem Textteil (S. 1–247) sowie einem Anhang (S. 249–396). Der Verfasser stützt sich auf mehrere, zuvor in verschiedenen wissenschaftlichen Zeitschriften oder Sammelbänden veröffentlichte Beiträge, die zum Teil erweitert und ergänzt wurden. Hierzu zählen die Kapitel 3 (Stand der Bukowina-Forschung), 6 (Innere Verwaltungsentwicklung zwischen Persistenz und Fortschritt) und 7 (Ökonomische Landeseinrichtung und moderner Territorialstaat). Zu den neuen Bearbeitungen zählt das Kapitel 4, in dem der Verfasser der Frage nachgeht, wie sich die Wahrnehmung dieses peripheren Raums in historischen Landkarten und Reiseberichten im Laufe der Zeit bis zum Untergang der Habsburgermonarchie, abhängig von der Perspektive der Betrachter, entwickelt hat. Hier greift der Verfasser bis ins 16. Jahrhundert zurück und stellt die wenig bekannten Karten des Karpatenraumes und im Anschluss daran die von der Bukowina angefertigten Karten vor. Erstaunlich ist, dass der Verfasser die sogenannte Josephinische Landesaufnahme der Bukowina, die in den Jahren 1773–1775 von den Kartographen des österreichischen Generalquartiermeisterstabes angefertigt wurde und die detailliertesten Informationen zur Terrainbeschaffenheit enthält und daher ein besonderes Zeugnis dieser Kulturlandschaft ist, nur mit vier Sätzen berücksichtigt. Das mag vielleicht daran liegen, dass diese Karte als militärische Karte nicht veröffentlicht wurde und auch heute noch nicht veröffentlicht ist, und daher nur in der Kartensammlung des Kriegsarchivs in Wien zugänglich ist. Es ist sicherlich sinnvoll, an dieser Stelle auf das umfangreiche Editionsprojekt der Polnischen Akademie der Wissenschaft hinzuweisen, das 2012 mit der Herausgabe von vier der insgesamt 15 geplanten Bände der Josephinischen Landesaufnahme von Galizien aus den Jahren 1779–1783 (mit insgesamt 413 Kartenblättern) in polnischer und deutscher Sprache begonnen hat. Die jeweils aus einem Textband sowie einem Kartenteil bestehenden Bände enthalten u.a. die Originalbeschreibungen des Terrains mit polnischer Übersetzung sowie die entsprechenden Kartenblätter.

Das über die Landkarten der Bukowina berichtende Kapitel 4 ist durch zahlreiche Abbildungen sehr anschaulich gestaltet, die dem Leser ermöglichen, den Ausführungen des Geographen auch visuell anhand der schwarz-weißen und kolorierten Kartenausschnitte gut zu folgen. Auch im Kapitel 5, in dem sich der Verfasser den Grenzziehungen und -verschiebungen in dieser Region widmet, unterstützen zahlreiche Abbildungen seine Erklärungen. Ebenfalls der Veranschaulichung der politischen und administrativen Einteilung der Bukowina dienen die vom Verfasser erstellten Diagramme und Karten im Kapitel 6. Einen Einblick in die Anfänge der von Wien aus betriebenen Ansiedlungspolitik gibt das Kapitel 7, in dem der Verfasser sich vornehmlich auf Quellenbestände des Staatlichen Archivs in Czernowitz stützt. Im Kapitel 8 schließt sich dann ein Überblick über die Nationalitätenproblematik an, da wie in anderen Ländern der Habsburgermonarchie auch seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der von Rumänen, Ruthenen, Deutschen, Polen, Armeniern und anderen Minderheiten bewohnten Bukowina die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen zunahm. Allerdings waren diese Spannungen eher sozialen als politischen Charakters, da keine von den Gruppen die Bevölkerungsmajorität stellte. Die multinational geprägte Bevölkerung war in der Bukowina eher um einen Konsens bemüht, wie die gemeinsame Erarbeitung des verfassungsrechtlichen Ausgleiches von 1910 zeigte. Erst nach dem Ersten Weltkrieg traten die insbesondere zwischen Rumänen und Ruthenen/Ukrainern bestehenden latenten Gegensätze deutlich zu Tage, da beide Gruppen Teile des Landes für ihren eigenen Staat reklamierten. Nach den langwierigen Grenzverhandlungen erhielt schließlich das Königreich Rumänien in den Pariser Friedensverträgen die gesamte Bukowina. Die Sowjetunion, die die Nordbukowina mit Czernowitz beansprucht hatte, setzte ihre Forderungen schließlich 1940 durch, konnte sich aber gegen Rumänien nur kurze Zeit behaupten, da rumänische Truppen nach dem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 die Nordbukowina besetzten. 1944 wurde sie dann wieder von sowjetischen Truppen zurückerobert. In den Pariser Friedensverträgen wurde zwischen den beiden Staaten schließlich 1947 eine dauerhaft anerkannte Grenze festgelegt. Der Verfasser zeigt hier ganz deutlich auf, wie die Machtansprüche der beiden Nachbarstaaten eine in zwei Jahrhunderten gewachsene Kulturlandschaft zerstört haben, an deren Besonderheit und Gemeinsamkeit erst seit Ende der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auf ukrainischer und rumänischer Seite wieder erinnert wird.

Recht umständlich für den Leser ist das Prinzip des Verfassers, auf ausgeschriebene Fußnoten zu verzichten und nur Nachnamen anzuführen; selbst eine erste Zitierung findet – bis auf wenige Ausnahmen – nicht statt, so dass der Leser gezwungen ist, ständig im Literaturverzeichnis nachzuschauen, um sich überhaupt darüber zu orientieren, auf welche Publikation sich der Verfasser bezieht. Handelt es sich dabei um Beiträge in Sammelbänden, werden diese wiederum nur mit dem Nachnamen des Herausgebers gekennzeichnet, so dass man erneut nach dem Buchtitel suchen muss. Hinzu kommt, dass im Literaturverzeichnis bisweilen Angaben zu den Seitenzahlen der als Buchbeiträge veröffentlichten Artikel fehlen. Es scheint so, als ob sich der Autor in seinem Buch ausschließlich an ein Fachpublikum wendete, das mit der wissenschaftlichen Literatur über die Bukowina vertraut ist und auch ohne mühsames Suchen im Literaturverzeichnis den jeweiligen Nachnamen problemlos mit einem Aufsatz- oder Buchtitel verbinden kann. Dagegen sind die Fußnoten bei den verwendeten archivalischen Quellen sehr viel informativer und leserfreundlicher.

Der aus fast 150 Seiten bestehende Anhang gliedert sich in zwölf Teile, wobei sich auch hier der Verfasser zum Teil wieder auf seine schon veröffentlichten Beiträge stützt. Im Anhang I befindet sich ein informativer Überblick über die „Archivalien österreichischer Provenienz in der Bukowina“ im Staatlichen Archiv in Czernowitz (Ukraine) mit genaueren Angaben zu den einzelnen die Bukowina betreffenden Archivbeständen und den entsprechenden Signaturen. Auf die für die Bukowina-Forschung interessanten Bestände in den Archiven in Suceava und Bukarest (Rumänien) sowie in Lemberg (Ukraine) geht der Verfasser nur kurz ein. Bedauerlicherweise hat er sich praktisch nur auf die im Czernowitzer Archiv vorhandenen Bestände beschränkt; für den interessierten Leser wäre jedoch eine Besprechung der im Österreichischen Staatsarchiv und im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien vorhandenen Bestände von ebenso großer Bedeutung gewesen. Im Anhang findet man des Weiteren sehr hilfreiche tabellarische Zusammenstellungen. So hat sich der Verfasser die Mühe gemacht, im Anhang III eine Tabelle der Ortschaften der Bukowina aus dem Jahre 1780, ergänzend zum Kapitel 6, zu transkribieren. Im Anhang V folgt eine von dem Verfasser zusammengestellte Tabelle zur „Bevölkerungsentwicklung in der Bukowina von 1774–1910“, die als Ergänzung zum Kapitel 7 gedacht ist, aber erstaunlicherweise nicht auf das Ortsverzeichnis folgt. So befindet sich irritierenderweise zwischen den Anhängen zu den Kapiteln 6 und 7 der Anhang IV zum Kapitel 8 mit einem „Verzeichnis der 1940 an die So­wjet­union abgetretenen Ortschaften in der Nordbukowina“. Ein ausführliches Literaturverzeichnis und Verzeichnis der gedruckten Quellen schließt sich als Anhang 6 den Tabellen an. Hier hätte vielleicht eine Unterteilung des Literaturverzeichnisses in ältere und neuere Literatur sowie in gedruckte Quellen zur besseren Übersichtlichkeit beigetragen. Insgesamt gesehen findet der Leser zahlreiche Anregungen, den Blick mehr auf den geographischen Raum und damit auch auf die Landeserschließung und die Prozesse der Raumkonstruktion zu richten.

Isabel Röskau-Rydel, Kraków

Zitierweise: Isabel Röskau-Rydel über: Kurt Scharr: „Die Landschaft Bukowina“. Das Werden einer Region an der Peripherie 1774–1918. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2010. 396 S., Abb., Ktn., Tab. ISBN: 978-3-205-78463-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Roeskau-Rydel_Scharr_Die_Landschaft_Bukowina.html (Datum des Seitenbesuchs)

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