Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Isabel Röskau-Rydel

 

Heimstätten der Nation. Ostmitteleuropäische Vereins- und Gesellschaftshäuser im transnationalen Vergleich. Hrsg. von Peter Haslinger / Heidi Hein-Kircher / Rudolf Jaworski. Marburg/Lahn: Herder-Institut, 2013. VIII, 279 S., Abb., Tab., Ktn. = Tagungen zur Ostmitteleuropaforschung, 32. ISBN: 978-3-87969-369-6.

Inhaltsverzeichnis:

http://d-nb.info/1044984066/04

 

In zwölf Beiträgen wird in diesem Tagungsband die Gründung und Entwicklung von Vereins- und Gesellschaftshäusern der verschiedenen Nationalitäten in den Städten Ostmitteleuropas Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts skizziert und damit ein guter Überblick über die gesellschaftlichen Aktivitäten der ehemals in Ostmitteleuropa lebenden nationalen und ethnischen Gruppen gegeben. Wie die Herausgeber in der Einleitung zu Recht hervorheben, wurde der Geschichte der Nationalhäuser in den Städten Ostmitteleuropas in der Forschung nur wenig Bedeutung beigemessen und selten ein transnationaler Vergleich in den multinationalen Gebieten angestellt. Dieser in drei Teile gegliederte Band dient daher als Bestandsaufnahme der Forschung zu dieser Thematik. Der vier Beiträge umfassende erste Teil ist den Nationalhäusern als Identitätsräumen gewidmet. Im ersten Beitrag befasst sich Jiří Malíř mit der Gründung von Vereins- und Nationalhäusern in Brünn (Brno) und in anderen mährischen Städten. Bewusst haben die Herausgeber diesen Beitrag an den Anfang des Tagungsbandes gestellt, denn das 1872 in Brünn errichtete tschechische Vereinshaus „Besedni dům“ zählt zu den ersten Vereinshäusern in Ostmitteleuropa. Jiří Malíř weist darauf hin, dass es nicht nur im Falle von größeren Minderheitengruppen in den mährischen Städten zu Initiativen für die Gründung eines Nationalhauses kam, sondern selbst in Städten, in denen es eine geringe Zahl tschechischer Einwohner gab, wie etwa in Neutitschein (Nový Jičín), wo nur die finanzielle Unterstützung der tschechischen bäuerlichen Bevölkerung aus der Umgebung den Bau eines Nationalhauses ermöglichte. Dass die nationale Konkurrenz zwischen Deutschen und Tschechen in Mähren eine große Rolle spielte, wird in diesem Beitrag besonders deutlich, denn der Verfasser betont, dass je nachdem, ob das Rathaus der jeweiligen Stadt in deutscher oder tschechischer Hand war, die jeweilige Nationalität mehr Unterstützung bei der Suche nach einem Baugrund oder bei der Finanzierung erhielt. Im zweiten Beitrag widmet sich Anna Veronika Wendland der Entstehung des ruthenischen Nationalhauses in der galizischen Hauptstadt Lemberg (L’viv, Lwów). Darauf folgt der Beitrag von Jörg Hackmann über die Nationalhäuser in estnischen Städten. Im vierten Beitrag, der nicht als Referat auf der 2010 stattgefundenen Tagung des Herder-Institutes eingeplant gewesen war, gibt Mariana Hausleitner einen fundierten Überblick über die Entstehungsgeschichte der fünf nationalen Vereinshäuser in Czernowitz (Černivci, Cernaŭţi), die die fünf größten ethnischen Gruppen der Bukowina (Ruthenen/Ukrainer, Rumänen, Polen, Deutsche, Juden) repräsentierten. Zu Recht haben die Herausgeber des Tagungsbandes dieser Stadt nachträglich eine Aufnahme zugestanden, da dieser multikulturellen und multiethnischen Hauptstadt des Kronlandes Bukowina eine unter allen Städten in Ostmitteleuropa herausragende Position bei der Gründung von Nationalhäusern zukam. Die kulturellen und bildungspolitischen Angebote erreichten hier eine größere Zahl der jeweiligen nationalen Gruppe und bezogen zum Teil auch die ländliche Bevölkerung mit ein. Am Beispiel des erst 1910 eingeweihten Deutschen Hauses weist Mariana Hausleitner darauf hin, dass dieses von den Mitgliedern des Vereins der christlichen Deutschen als Antwort auf den starken Einfluss der polnischen katholischen Pfarrer auf die deutschen Katholiken und in deutlicher Abgrenzung zu den jüdischen Einwohnern von Czernowitz errichtet wurde. Ebenfalls wird in dem Beitrag deutlich, dass in den Nationalhäusern nicht unbedingt die allgemeinen Interessen einer ethnischen Gruppe vertreten wurden, sondern dass häufig die politischen Ansichten der Leiter der Nationalhäuser zu einer Polarisierung führten, wie etwa in dem 1908 errichteten Jüdischen Nationalhaus, in dem es 1910 zwischen den Vertretern der verschiedenen politischen Strömungen innerhalb der jüdischen Gesellschaft zu heftiger gegenseitiger Kritik und sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen kam (S. 109).

Im zweiten Teil des Bandes, der die Überschrift Zwischen Repräsentation und Geselligkeit: Nationalhäuser als Identitätsangebot trägt und ebenfalls vier Beiträge umfasst, wird der Leser von Jan Schlürmanns Beitrag über die zahlreichen Versammlungshäuser der dänischen Minderheit in Schleswig, die die Entwicklung des dänischen nationalen und kulturellen Bewusstseins nach der Niederlage Dänemarks im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 fördern sollte, überrascht. Wie dem Vorwort der Herausgeber zu entnehmen ist, sollte diese Vergleichsstudie nicht die einzige in diesem Band sein, blieb es dann aber doch, da die Absicht, das Thema der Vereinshäuser bzw. Nationalhäuser in gesamteuropäischer Perspektive vorzustellen, sich als nicht durchführbar erwiesen habe. Jan Schlürmann verweist zu Recht darauf, dass die preußische Herrschaft in Schleswig gut Material für eine Vergleichsstudie zu der Situation der gemischtnationalen Bevölkerung in den östlichen Gebieten Preußens sowie in Elsass-Lothringen bieten könnte (S. 135). In einem weiteren Beitrag widmen sich Elena Mannová und Daniela Kodajová der nationalen Abgrenzung der Slowaken von den Ungarn durch die Errichtung eines nationalen Hauses in St. Martin in der Turz (Turčiansky Svätý Martin, Turócszentmárton), das nur die Bezeichnung „Haus“ tragen durfte, sowie durch die Errichtung des katholischen Vereinshauses in Skalica (Skalitz, Szakolca). Mit der bedeutenden Rolle des Nationalhauses der Slowenen in Triest (Trieste, Trst), das von der italienischen Mehrheitsgesellschaft sogar als Bedrohung wahrgenommen wurde, befasst sich Monika Pemič. Der Geschichte der wenig erforschten Entstehung nationaler Institutionen der serbischen Minderheit in Pest und in Neusatz (Novi Sad, Újividék) geht Nenad Makuljević in seinem Beitrag nach.

Der dritte Teil des Bandes ist der Bedeutung von Nationalhäusern als Zeichen im urbanen Raum gewidmet. Dieser Teil beginnt mit dem Beitrag Witold Moliks über das Hotel Bazar in Posen (Poznań), das dank einer Initiative des polnischen Arztes und Philanthropen Karol Marcinkowski erbaut wurde und durch sein Konzept als Hotel mit Ladenlokalen und Ballsaal zu einem wichtigen kulturellen und wirtschaftlichen Zentrum der Polen in der Hauptstadt des Großherzogtums Posen wurde. Der Bedarf an einem polnischen Begegnungszentrum, das einem Nationalhaus vergleichbar war, zeigte sich durch die außergewöhnlich schnelle Umsetzung der Idee innerhalb von nur drei Jahren, denn schon Ende 1841 konnte die Eröffnung des an dem wichtigsten Platz Posens, dem Wilhelmsplatz, liegenden, repräsentativen dreistöckigen Gebäudes gefeiert werden. Damit schufen die Initiatoren und Mitglieder der Aktiengesellschaft Bazar ein deutliches Zeichen der polnischen Präsenz in der durch das deutsche Bürgertum und die preußischen Beamten dominierten sowie durch die preußische Architektur geprägten Stadt. Im nächsten Beitrag widmet sich Jānis Krastiņš der Entstehung der lettischen Vereinshäuser. Vorausgegangen war Mitte des 19. Jahrhunderts eine Initiative der Vertreter der Bewegung der sog. Neuletten, die die Entwicklung und Förderung des lettischen Nationalbewusstseins durch die Gründung von Vereinen im ganzen Land anregten. Wie erfolgreich diese Bewegung war, macht die Zahl von über 700 Vereinsgründungen bis Ende des 19. Jahrhunderts deutlich. Die im Rahmen dieser Aktivitäten dann Ende des 19. Jahr­hunderts errichteten repräsentativen Vereinshäuser sollten ein deutliches Zeichen der Abgrenzung zu den politisch dominierenden Russen einerseits und den wirtschaftlich dominierenden Deutschen andererseits bilden. Die bedeutendsten und häufig in der besonderen Ausformung des lettischen Jugendstils entworfenen Vereinsgebäude entstanden in der Hauptstadt Riga. In dem letzten Beitrag des dritten Teils des Bandes widmet sich Maria Mirtschin der Funktion des Wendischen Hauses (Serbski Dom) in Bautzen, das auf Initiative der Mitglieder der sorbischen Gesellschaft in Bautzen gegründet wurde. 1868 wurden erste Spendenaufrufe unter der sorbischen Bevölkerung in der Lausitz verbreitet, allerdings dauerte es dann drei Jahrzehnte bis eine entsprechende Summe für den Bau eines Nationalhauses gesammelt werden konnte, der 1897 begonnen und 1904 abgeschlossen wurde.

Aus der Mehrzahl der Beiträge geht hervor, dass die Gründung der Volks- bzw. Nationalhäuser meist auf Initiative von Mitgliedern schon bestehender nationaler Bildungsvereine, Lesehallen, Schulvereine, Turnvereine oder ähnlicher Einrichtungen zurückging, da sich die Initiatoren bewusst waren, dass die kulturellen Aktivitäten in den von den Architekten auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnittenen Gebäude besser gebündelt werden konnten, wodurch auch größere Kreise innerhalb der nationalen Gruppen bei Veranstaltungen zu erreichen waren. Ebenfalls macht der Vergleich der Beiträge deutlich, dass es von der Idee der Errichtung eines Vereins- oder Nationalhauses bis zu deren Umsetzung manchmal mehrere Jahrzehnte dauern konnte. Mit diesem Problem, genügend Gelder für den Entwurf und den Bau eines Nationalhauses zu sammeln oder Sponsoren zu finden, waren fast alle Initiatoren in den in diesem Sammelband besprochenen Städten konfrontiert.

In ihrem Schlussbeitrag gibt Michaela Marek einen zusammenfassenden Überblick über die Beiträge und kommt zu dem Ergebnis, dass weniger die äußere Repräsentation durch besondere architektonische Eigenheiten bei der Errichtung der Nationalhäuser eine Rolle spielte, sondern vielmehr die Funktionalität bei den unterschiedlichen Entwürfen ausschlaggebend war. Die zahlreichen Abbildungen der Volks- und Nationalhäuser in dem Tagungsband vermitteln dem Leser dementsprechend einen guten visuellen Überblick über die unterschiedliche architektonische Gestaltung der Gebäude. Mit diesem Tagungsband wurde ein wichtiges Thema aufgegriffen, das um die Geschichte von Vereinshäusern in Dörfern in national gemischten Gebieten erweitert werden sollte, zu der ebenfalls kaum neuere Forschungen vorliegen.

Isabel Röskau-Rydel, Krakau

Zitierweise: Isabel Röskau-Rydel über: Heimstätten der Nation. Ostmitteleuropäische Vereins- und Gesellschaftshäuser im transnationalen Vergleich. Hrsg. von Peter Haslinger / Heidi Hein-Kircher / Rudolf Jaworski. Marburg/Lahn: Herder-Institut, 2013. VIII, 279 S., Abb., Tab., Ktn. = Tagungen zur Ostmitteleuropaforschung, 32. ISBN: 978-3-87969-369-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Roeskau-Rydel_Haslinger_Heimstaetten_der_Nation.html (Datum des Seitenbesuchs)

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