Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Isabel Röskau-Rydel

 

Johannes Frackowiak: Nationalistische Politik und Ressentiments. Deutsche und Polen von 1871 bis zur Gegenwart. Hrsg. von Johannes Frackowiak. Göttingen: V&R unipress, 2013. 313 S., Tab., Ktn. = Berichte und Studien, 64. ISBN: 978-3-8471-0152-9.

Inhaltsverzeichnis:

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Die von deutschen und polnischen Historikern und Politikwissenschaftlern verfassten Beiträge widmen sich in fünf Zeiträumen den Fragen nach dem „Einfluss von Nationalismus und nationalistischer Politik“ (S. 7) in der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte von der Gründung des Kaiserreichs bis zur Gegenwart. Die elf Autoren und die einzige Autorin versuchen eine Antwort darauf zu geben, inwieweit die tief im kollektiven Gedächtnis verankerten Ressentiments und Stereotype der jeweiligen Seite die Po­li­tik gegenüber den Minderheiten bestimmt und welche Auswirkungen der auf beiden Seiten ausgeprägte Nationalismus auf die jeweils andere Seite hatte. Den Beiträgen vorgestellt ist eine Einleitung des Herausgebers Johannes Frackowiak, der ebenfalls einer der Autoren der Beiträge ist.

Im ersten Zeitraum, der die Periode des deutschen Kaiserreichs von 1871 bis 1918/19 umfasst, liegt das besondere Augenmerk auf Preußens Polen im Fokus des deutschen Reichsnationalismus. In einem gemeinsamen Beitrag widmen sich Christoph Kleßmann und Jo­han­nes Frackowiak der Polenpolitik in der wilhelminischen Zeit und ihrer Interpretation durch berühmte Zeitgenossen, wie Heinrich von Treitschke oder Max Weber, sowie neueren Deutungen und Interpretationen der Polenpolitik bis zur Gegenwart durch Hans Rothfels, Martin Broszat, Hans-Ulrich Wehler, Thomas Nipperdey und Heinrich August Winkler auf deutscher, durch Lech Trzeciakowski und Andrzej Chwalba auf polnischer sowie durch Richard Blanke und William Hagen auf amerikanischer Seite. Im zweiten Teil ihres Beitrages befassen sich die beiden Autoren mit den polnisch sprechenden Saisonarbeitern im Kaiserreich, die sowohl als preußische Untertanen als auch als ausländische Arbeitskräfte aus dem österreichischen und russischen Teilungsgebiet in die westlichen Gebiete des Kaiserreichs gelangten und einem starken Assimilationsdruck ausgesetzt waren. Uwe Müller untersucht in seinem Beitrag die im Rahmen der preußischen Polenpolitik durchgeführten wirtschaftlichen Maßnahmen, die auf eine wirtschaftliche Schwächung der polnischen Bevölkerung abgezielt haben und die bis heute selten Untersuchungsgegenstand gewesen sind. Er zeigt auf, dass der Staatsinterventionismus in Otto von Bismarcks Regierungszeit eine maßgebliche Rolle bei der Stärkung der deutschen Grundbesitzer, aber auch des deutschen städtischen Mittelstands in der Provinz Posen gespielt habe. Müller hebt in seinem Beitrag hervor, dass die Ansiedlungspolitik „eine enorme Geldverschwendung“ (S. 60) gewesen sei und im Endeffekt nicht die erwünschten Ergebnisse gebracht habe, da sich die Zahl der Deutschen in den polnischen Provinzen nicht vergrößert habe. Mit der Polenpolitik zum Ende des Kaiserreichs befasst sich Mike Schmitzner, der sich in seinem Beitrag der Karriere des Historikers und Professors an der Königlichen Akademie in Posen, Alfred Herrmann, widmet, der nach 1918/19 eine einflussreiche Rolle in der deutschen Volksratsbewegung spielte.

Im zweiten Kapitel, das der Zwischenkriegszeit gewidmet ist, befassen sich die Autoren mit dem in Deutschland und Polen zunehmenden Nationalismus und dem ambivalenten Verhältnis des Staates gegenüber den nationalen Identitäten. Krzysztof Ka­wa­lec gibt einen Überblick über die von den Nationaldemokraten unter Roman Dmowski und die von Józef Piłsudski und den Anhängern der Polnischen Sozialistischen Partei vertretenen Vorstellungen von einem unabhängigen Polen sowie deren Politik gegenüber den nationalen Minderheiten. Andrzej Michalczyk richtet seinen Blick auf Oberschlesien und untersucht in seinem Beitrag die Migrationsprozesse im polnischen Teil Oberschlesiens zwischen 1918 und 1939. Am Beispiel der Städte Rosdzin-Schoppinitz (Roździeń-Szopienice) und Josephsdorf (Józefowiec) analysiert er die nationalen Integrationsprozesse der beiden deutschsprachigen katholischen Gemeinden. Torsten Lorenz gibt in seiner mikrogeschichtlichen Studie über die in der Provinz Posen gelegene Stadt Międzychód (Birnbaum) einen Einblick, welche Konsequenzen die Frage der Option in der Kommunalpolitik und im Zusammenleben der deutschen und polnischen Bevölkerung in einer nur wenige Kilometer östlich von der deutsch-polnischen Grenze entfernt gelegenen Stadt hatte, die sich nach dem Ersten Weltkrieg auf polnischem Gebiet befand. Wie in einem Prisma werden am Beispiel von Międzychód die angesichts des deutsch-polnischen Optantenstreits in den 1920er Jahren zunehmenden nationalen Spannungen in einer Kleinstadt sichtbar.

Der tragischsten Periode der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte widmet sich das dritte Kapitel, das nicht nur den Zeitraum des Zweiten Weltkriegs, sondern auch die Nachkriegsjahre bis 1949 umfasst. Markus Roth gibt einen Einblick in die Psyche der Funktionäre des deutschen Besatzungsapparates und zeigt auf, wie auch Beamte der unteren Verwaltungsebene nicht nur bei der SS und Polizei, sondern auch in der Zivilverwaltung ihre Handlungsspielräume durch Eigeninitiative immer mehr auszudehnen vermochten. Am Beispiel der Kreis- und Stadthauptleute im Generalgouvernement (die er eingehend in seiner 2009 erschienenen Studie untersucht hat) demonstriert er, welche tragischen Konsequenzen die eigenmächtige Machtausdehnung dieser Entscheidungsträger für Polen, Juden und Ukrainer im deutsch besetzten Polen hatte. Des Weiteren untersucht Johannes Frackowiak in seinem Beitrag wie die „Deutsche Volksliste“ als rassen- und volkstumsideologisches Instrument bei der Einstufung der Bevölkerung in vier Abteilungen bzw. Kategorien in den deutsch besetzten Gebieten Polens eingesetzt wurde. In seinem Beitrag stützt er sich auf Quellen aus dem Bundesarchiv und zeigt an Fallbeispielen auf, welche dramatischen Konsequenzen die Entscheidungen des Obersten Prüfungshofes für Volkszugehörigkeitsfragen für die einzelnen Personen, aber auch für Familien gehabt haben, die häufig in unterschiedliche Kategorien eingeteilt wurden. Anhand der Quellen über die von ihm untersuchten Gebieten macht er deutlich, dass bei den Entscheidungen des Obersten Prüfungshofes die „volksdeutschen Umsiedler“, vornehmlich Baltendeutsche, den ansässigen deutschstämmigen Personen häufig aufgrund wirtschaftlicher Interessen vorgezogen und als Treuhänder privilegiert behandelt wurden (S. 191). Des Weiteren untersucht er auf der Grundlage von Dokumenten aus dem Staatsarchiv Gdańsk (Danzig) und Poznań (Posen) die Gründe für nichtdeutsche Bevölkerungskreise in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen und Wartheland, sich um eine Eintragung in die Deutsche Volksliste zu bemühen. Mit der Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs befasst sich Piotr Madajczyk in seinem Beitrag, in dem er sich auf die „Suche nach den Ursachen der ethnischen Säuberungen in Polen nach 1945“ begibt. Hier untersucht er einerseits die im polnischen Staat vorgegebenen ideologischen Kriterien der Zugehörigkeit ethnischer Minderheiten zur polnischen Nation sowie andererseits die Frage, wie sich diese Kriterien „mit materiellen und persönlichen Interessen“ in Oberschlesien vermischt haben (S. 221). Er stützt sich in seinem Beitrag auf Dokumente aus dem Staatsarchiv Opole (Oppeln) und kommt zu dem Ergebnis, dass die schon in der Zwischenkriegszeit existierenden Spannungen zwischen den Deutschen bzw. der deutschen Minderheit und den Polen sich im Verlauf des Zweiten Weltkrieges naturgemäß noch verstärkt hätten und entsprechende Vorgehensweisen auf polnischer Seite gegenüber den Deutschen in Polen in der Nachkriegszeit ausgelöst hätten.

Im vierten Kapitel, das der nationalistischen Politik im kommunistischen Polen von 1945 bis 1989 gewidmet ist, untersucht Elżbieta Opiłowska „die Aneignung des fremden Raums“ – der ehemaligen deutschen Ostgebiete – durch die polnische Bevölkerung. Sie geht in ihrem Beitrag unter anderem den Fragen nach, welche Strategien die kommunistische Regierung Polens für ihre Herrschaftslegitimation in den polnischen Nord- und Westgebieten verfolgte und wie die immer wieder beschworene Schicksalsgemeinschaft die Gruppenzugehörigkeit gestärkt hat. Die antideutsche Haltung und Politik der kommunistischen Regierung war ihr zufolge ein wichtiges politisches Instrument für die Legitimation der kommunistischen Herrschaft in Polen, an der die polnische Bevölkerung nicht zweifeln durfte. Erst mit der neuen Politik der SPD-Regierung unter Willy Brandt habe sich diese Haltung allmählich geändert. Klaus Bachmann befasst sich in seinem Beitrag unter anderem mit Umfragen zur Sympathie und Antipathie für verschiedene Völker, die in den 1950er und 1960er Jahren in der Volksrepublik Polen durchgeführt wurden und in denen die Deutschen mit 66,8 % mit großem Abstand am schlechtesten abschneiden. Bachmann weist in seinem Beitrag darauf hin, dass dagegen die antijüdische Kampagne der Gomułka-Regierung Ende der 1960er Jahre keine größere Resonanz in der Gesellschaft fand, wie die in der Umfrage von 1967 mit nur 4,1 % ausgewiesene Antipathie gegenüber Juden zeige (S. 280). Der Band schließt mit einem Beitrag von Ty­tus Jaskułowski über die Ressentiments im deutsch-polnischen Verhältnis seit 1989, in dem er zu dem Ergebnis kommt, dass Ressentiments von Politikern auf beiden Seiten instrumentalisiert werden, wenn sie innenpolitischen Erfolg versprechen. Gleichzeitig bestehe jedoch eine Diskrepanz zwischen den Politikern und der Gesellschaft, da Letztere nur eine geringe Bereitschaft zeigte und zeige, die antideutschen oder antipolnischen Ressentiments zu übernehmen.

Abschließend ist hervorzuheben, dass die Beiträge einen guten Einblick in die durch nationalistische Politik und Ressentiments geprägte deutsch-polnische Beziehungsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts gewähren.

Isabel Röskau-Rydel, Krakau

Zitierweise: Isabel Röskau-Rydel über: Johannes Frackowiak: Nationalistische Politik und Ressentiments. Deutsche und Polen von 1871 bis zur Gegenwart. Hrsg. von Johannes Frackowiak. Göttingen: V&R unipress, 2013. 313 S., Tab., Ktn. = Berichte und Studien, 64. ISBN: 978-3-8471-0152-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Roeskau-Rydel_Frackowiak_Nationalistische_Politik_und_Ressentiments.html (Datum des Seitenbesuchs)

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