Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Henriette Reisner

 

Serguei A. Oushakine / Dennis Ioffe (Hrsg.): Totalitarian Laughter: Images – Sounds – Performers. Russian Literature. Vol. 74. Amsterdam: Elsevier Science, 2013. 274 S. ISSN 0304-3479.

In Bezug auf sein Verhältnis zur Politik wird dem Phänomen des Lachens oftmals eine subversive und befreiende Kraft zugesprochen. Das Lachen kann jedoch auch als eine Art Sicherheitsventil zur Stabilisierung eines politischen Systems beitragen, indem es als Akt der Zustimmung fungiert bzw. dabei hilft, soziale und politische Spannungen zu lösen oder Missstände bis hin zu Repressionen erträglich zu machen. Die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes, von denen einige bereits im Mai 2009 auf der Konferenz „Totalitarian Laughter: Cultures of the Comic under Socialism“ an der Princeton University präsentiert wurden, untersuchen – teils in englischer teils in russischer Sprache ‒ die ambivalente Rolle des Lachens, der Ironie und der Parodie in der sowjetischen Kultur und Politik.

Das Buch beginnt mit einer Einleitung, die in einem kurzen Überblick die Kulturgeschichte des Lachens zur Zeit des Sozialismus beschreibt. Die Herausgeber Dennis Ioffe, Slavist an der Universität Gent, und Serguei Oushakine, Historiker, Soziologe und Leiter des Slavischen Instituts an der Universität Princeton, gehen von der Prämisse aus, dass die sowjetische Regierung dem Phänomen des Lachens von Anfang an eine große Bedeutung beimaß. Indem sie immer wieder intellektuelle Debatten über die Rolle des Komischen im Sozialismus entfachte und für die entsprechende Infrastruktur (Presse, Radio, Theater, Kino usw.) sorgte, schuf sie ein materielles und ideologisches Umfeld, das breit und offen genug war, um sowohl offiziellen (wie dem stalinistischen Musical) als auch inoffiziellen (wie den berühmten russischen Anekdoten oder der ironischen Kunst der Zeit der Stagnation) Formen des Komischen Raum zu bieten.

Diese strukturelle und semantische Polyphonie des sowjetischen Umgangs mit der Komik erscheint in gewisser Weise vorhersehbar, wie die Herausgeber mit Verweis auf den von Slavoj Žižek geprägten Begriff des totalitarian laughter argumentieren. Der slowenische Philosoph und Kulturkritiker hatte bereits vor zwanzig Jahren davor gewarnt, das Phänomen des Lachens allzu sehr mit dessen „befreiender und antitotalitärer Kraft“ zu verknüpfen, da Ironie und zynische Distanz immer schon „Teil des Spiels“ seien. Vor diesem Hintergrund kann den Herausgebern zufolge die Geschichte der „komischen Genres“ in der Sowjetunion als paradigmatisches Beispiel eines Kulturbetriebs verstanden werden, der nicht nur das distanzierende (z.B. ironische) Lachen in die sowjetische Kultur einbezog, sondern dem es bewusst oder unbewusst immer wieder gelang, mögliche abweichende Meinungen zu transcodieren. Der vorliegende Band versucht anhand einzelner Beispiele, diesen Teil der Kulturgeschichte näher zu beleuchten, wobei er sich in drei thematische Schwerpunkte unterteilt. Im Folgenden sollen die einzelnen Themenbereiche jeweils exemplarisch anhand eines Beitrags kurz vorgestellt werden.

Im ersten Block werden unter dem Titel „Iconic Laughter“ Bildsprachen des Komischen untersucht. Dragan Kujundžić gelingt es  in seinem Beitrag mithilfe der Analyse einer der berühmtesten Szenen der sowjetischen Filmgeschichte, des Mordes am Zarensohn Vladimir in Ėizenštejns Meisterwerk „Ivan der Schreckliche“, eine Genealogie zwischen Sergej Ėizenštejn und Walt Disney herzustellen. Dabei vertritt er die These, dass die „schlafende Schöne“ (sleeping beauty), die in „Ivan der Schreckliche“ durch eine verschlüsselte Bezugnahme aufgerufen wird, die Wiederauferstehung Lenins beschwöre. Dies geschehe in der zweiten Hälfte des Films, die als Replik auf eine Szene aus „Schneewittchen“ inszeniert sei. Auf diese Weise lasse der Intertext in Ėizenštejns Film in der Hochzeit des Stalinismus parodistisch den Geist Lenins wieder auferstehen.

Die folgenden Beiträge, die unter dem Titel „Sonorous Humor“ zusammengefasst sind, untersuchen verschiedene Klangstrukturen und beschäftigen sich vornehmlich mit auditiven Medien. So beschreibt Marija Litovskaja die legendäre Radiosendung „Radionjanja“ aus den 1970er Jahren, die sich vornehmlich an ein junges Publikum richtete, aber auch bei älteren Zuhörern beliebt war. Den Erfolg der Sendung führt sie darauf zurück, dass diese Lernen und Spaß (učenie und uvlečenie) miteinander verband und damit eine Alternative zu den strengen pädagogischen Normen der sowjetischen Schulen bot. Die Moderatoren machten sich öffentlich (aber nicht beleidigend) über Autoritätspersonen lustig, während sie gleichzeitig die Unkenntnis, Naivität und Unbekümmertheit der Kinder normalisierten und legitimierten. Litovskaja zufolge verlor die Stimme der Autorität damit ihre bis dahin unangefochtene Stellung; die traditionell hierarchischen Beziehungen zwischen Lehrern und Schülern wurden spielerischer und weniger starr, wodurch Bildung und Erziehung als etwas Positives wahrgenommen wurden.

Der letzte Teil des Bandes befasst sich unter dem Titel „Unholy fools“ mit Fragen der Performanz sowie mit einzelnen Akteuren. Hier sei exemplarisch der Beitrag von Anthony Qualin vorgestellt, der sich unter dem Titel „Laughing at Carnival Mirrors“ mit dem Liedgut Vladimir Vysockijs beschäftigt. Qualin untersucht unter anderem die Rolle der Ironie in den diskursiven Techniken und Strategien, mit denen Vysockijs lyrisches Ich operiert. Er erkennt in Vysockijs subversivem Humor eine Reaktion auf die Absurdität der sowjetischen Wirklichkeit, bei der der Staat versuchte, alle Aspekte des Privatlebens, sogar die intimsten, zu kontrollieren. Dabei stützt die außerordentliche Bandbreite von Vysockijs Humor Qualins These über die Funktion der Ironie, die es vermag, in ihrem Ton immer wieder geschickt zwischen bitterem Hohn und tiefer Sympathie für die Protagonisten wie für das Publikum zu navigieren. Der Beitrag fragt auch danach, in welchem Maße Vysockijs satirische Lieder sich als eine direkte Antwort auf das totalitäre Sowjetsystem verstehen lassen bzw. wie sehr sie sich einer solchen eindeutigen Interpretation entziehen.

In vielen der Beiträge des Sammelbandes wird deutlich, dass die parodistische Aneignung vorherrschender, offizieller oder auf andere Weise ‚externer‘ Formen ein entscheidendes Mittel künstlerischer Ausdrucksweise darstellt, bei dem die Akteure sich bereits vorhandener kultureller Formen bedienen, diese jedoch in immer wieder neue Kontexte stellen. Das parodistische Lachen setzt sich dabei über eine klare Trennung zwischen „uns“ und „ihnen“, „original“ und „sekundär“ oder „ernst“ und „spottend“ hinweg. Daher scheint es unmöglich, eine Aussage darüber zu treffen, in welchem Maße Vysockijs Humor den Zerfall der Sowjetunion beschleunigt oder verzögert haben könnte (Qualin, S. 193). Diese fehlende Klarheit und Vermeidung eindeutiger epistemischer, ästhetischer oder politischer Festlegungen eint die hier versammelten Beiträge und lässt den Leser, der auf klare Positionen und Zuordnungen hofft, teilweise in einem Zustand der Ungewissheit zurück. Gleichzeitig besteht in eben diesem Verzicht auf die ersehnten einfachen Antworten jedoch auch die Stärke des Bandes, der auf diese Weise Einsichten in das Phänomen des (totalitären) Lachens und dessen kulturelle wie gesellschaftliche Funktion gewährt, die deutlich über den hier gesteckten räumlichen wie zeitlichen Rahmen hinausweisen.

Henriette Reisner, München

Zitierweise: Henriette Reisner über: Serguei A. Oushakine / Dennis Ioffe (Hrsg.): Totalitarian Laughter: Images – Sounds – Performers. Russian Literature. Vol. 74. Amsterdam: Elsevier Science, 2013. 274 S. ISSN 0304-3479, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Reisner_Totalitarian_Laughter.html (Datum des Seitenbesuchs)

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