Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Robert Rebitsch

 

Desanka Schwara: Kaufleute, Seefahrer und Piraten im Mittelmeerraum der Neuzeit. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen. Unter Mitarbeit von Luise Müller / Patrick Krebs / Ivo Haag / Marcel Gosteli. München: Oldenbourg, 2011. 592 S., 1 Abb. ISBN: 978-3-486-70487-7.

Inhaltsverzeichnis:

http://d-nb.info/1010206494/04

 

Möchte man bei dem Titel Kaufleute, Seefahrer und Piraten im Mittelmeerraum der Neuzeit noch meinen, man bekomme ein unterhaltsames, kurzweilig zu lesendes Buch mit abenteuerlicher Thematik zur Hand, so deutet schon der Untertitel Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen auf komplexere Sachverhalte hin. Und in der Tat ist dieses Werk, das während der für die Autorin vom Schweizerischen Nationalfonds an der Universität Bern eingerichteten Förderungsprofessur entstanden ist, die Abschlussbilanz einer fünfjährigen Forschungsarbeit zum Thema Entgrenztes Europa: Diasporagruppen als transkulturelle und gebietsübergreifende Verbindungselemente (S. 12). Desanka Schwara und ihr Team wollten keineswegs abenteuerliche Seefahrts- und Piratengeschichten zu Papier bringen. Das zwar unsystematisch aufgebaute, aber facettenreiche Buch Salvatore Bonos über Piraten und Korsaren im Mittelmeer enthält wahrlich mehr Anekdoten und spannende Geschichten. Wem es also auf den – historisch freilich gekonnt untermauerten – Unterhaltungswert ankommt, dem sei das Buch Bonos anempfohlen. In diesem Werk stehen „Diasporagruppen in ihrem Lebensumfeld, die Erforschung von Interaktions-, Aufnahme- bzw. Exklusions- und den damit verbundenen Empfindungsmustern“ (S. 18) im Vordergrund. Die nationalhistoriographische Perspektive überwindend, wie recht häufig betont wird, und entlang des raumkritischen Paradigmenwechsels, des sogenannten spatial turn, möchten die Autorinnen und der Autor „Lebensformen und transterritoriale Strukturmerkmale wie Mobilität, Kommunikation, kulturelle Codes, Kulturtransfer und Interaktionsmodelle (patterns) verschiedener Diasporagruppen“ untersuchen. An theoretischer und aktueller methodischer Untermauerung ist demnach kein Mangel.

So stecken im Kapitel 1 Schwara, Müller und Krebs den geographischen Raum zwischen Lissabon und Istanbul unter Einbeziehung der zentralen Begriffe „Diaspora“, „Netzwerke“ und „Kommunikation“ ab. Patrick Krebs stellt in Kapitel 2 die beiden Städte Ancona und Livorno als Hafen- und Handelsplätze vor, wobei die sogenannten „mental maps“, die Imaginationen eines geographischen Raumes, der in diese beiden Städte kommenden Händler untersucht werden. Der Autor veranschaulicht dabei die erfolgreichen Maßnahmen der zum Herrschaftsgebiet des Kirchenstaates gehörenden Stadt Ancona und des florentinischen Livorno, Migranten, sprich Kaufleute, aus dem Mittelmeerraum anzuziehen, und daraus wechselseitigen Profit zu schlagen. Im Kapitel 3 betrachten Schwara und Gosteli Ragusa und Belgrad im Netzwerk des mediterranen Wirtschaftsraumes. Gerade das an der Donau und Save liegende Belgrad, das freilich keine Stadt am Mittelmeer ist, war eine wichtige Handelsstadt auf dem Balkan, ein Verkehrsknotenpunkt von Ost nach West und, vor allem durch die Flussverbindung ins Schwarze Meer, auch von Nord nach Süd. Nicht zu Unrecht wurde damit das unter osmanischer Herrschaft stehende Belgrad, das durchwegs interessante Vergleichsdaten liefern kann, als Teil dieses mediterranen Kommunikations- und Handelsnetzwerkes aufgenommen. Kapitel 4 von Müller untersucht anschließend Cádiz und Lissabon aus handelsstrategischer und aus medizinhistorischer Perspektive (Gesundheitspolitik, Seuchen und Quarantäne). Der Autorin gelingt es, wichtige Einsichten in den Zusammenhang zwischen Sanitätspolitik und Seefahrt zu vermitteln. Die Projektleiterin geht im Kapitel 5 der von der Insel Malta ausgehenden Piraterie nach. Dabei vermag es Schwara, neue und interessante Details zum Kaperwesen des Malteserordens vorzustellen. Eine Gesamtschau zum besseren Verständnis des Phänomens Piraterie im Mittelmeer bietet dieses Kapitel allerdings nicht. Im letzten Kapitel versuchen die Autorinnen und der Autor anhand einiger der zentralen Begriffe der vorangehenden fünf Studien wie „Bewegung und Verortung“, „Kaufmännische Imaginationen“, „Präsenz, Aktion, Interaktion“, „Quarantäne“ und „(Un)freiheiten“ ein Fazit zu ziehen und einen roten Faden erkennbar zu machen. Allerdings driftet dieser Versuch zum Teil ins Theoretisch-Abstrakte mit einer gewissen Tendenz zur Redundanz ab. Ein gelungenes, sehr informatives Glossar mit wichtigen Begriffserklärungen und ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis runden den Band ab.

Man hat es bei diesem Buch nicht mit einem Standardwerk zu Handel, Seefahrt und Piraterie im Mittelmeerraum der Neuzeit zu tun. Die fünf ausführlichen, quellengesättigten, jedoch qualitativ nicht gleichwertigen Studien liefern entlang der oben erwähnten Leitbegriffe aufschlussreiche und methodisch innovative Einblicke zur Thematik. Die Beiträge bereichern somit die Forschung zur mediterranen Welt, die seit Fernand Braudel als kulturell sehr vielfältiger, jedoch auch zusammenhängender historischer Raum begriffen wird.

Robert Rebitsch, Innsbruck

Zitierweise: Robert Rebitsch über: Desanka Schwara: Kaufleute, Seefahrer und Piraten im Mittelmeerraum der Neuzeit. Entgrenzende Diaspora – verbindende Imaginationen. Unter Mitarbeit von Luise Müller / Patrick Krebs / Ivo Haag / Marcel Gosteli. München: Oldenbourg, 2011. 592 S., 1 Abb. ISBN: 978-3-486-70487-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Rebitsch_Schwara_Kaufleute_Seefahrer_und_Piraten.html (Datum des Seitenbesuchs)

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