Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Ada Raev

 

Magdalena Nieslony: Bedingtheit der Malerei. Ivan Puni und die moderne Bildkritik. Berlin: Mann, 2016. 303 S., 80 Abb. = Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst, 17. ISBN: 978-3-7861-2764-2.

Magdalena Nieslonys Buch ist in mehrfacher Hinsicht ein Gewinn. Die kenntnisreiche und in einer so kultivierten wie klar argumentierenden Sprache verfasste Untersuchung leistet zum einen einen wichtigen Beitrag zu einer länderübergreifenden Erforschung der Kunsttheorie der Moderne im frühen 20. Jahrhundert. Zum anderen bietet sie mit der Fokussierung auf Ivan Puni und dessen bildkünstlerisch und sprachlich verfasste Bildkritik zwischen 1914 und 1923 eine differenziertere Betrachtung der russischen Avantgarde jenseits der gängigen Polarisierung zwischen Kazimir Malevičs Suprematismus und Vladimir Tatlins Konstruktivismus an. In diesem Sinne ist das Buch auch ein Plädoyer für die zuweilen unterschätzte anhaltende Aktualität der Malerei ungeachtet diverser medialer Innovationen im vorigen Jahrhundert. Diese Haltung wird durch farbige Abbildungen in guter Qualität untermauert. Die Verfasserin zeigt in ihrer Untersuchung, dass sich gerade der bislang noch ungenügend erforschte und daher unterschätzte Ivan Puni diesen Veränderungen immer wieder gestellt hat. Und er tat dies, und das macht seine Sonderstellung unter seinen Zeitgenossen aus, ausdrücklich mit und über das wiederholt infrage gestellte Medium der Malerei selbst, und zwar in ihrer Diversität.

Der methodische Zugang von Nieslony ergibt sich aus der Verknüpfung der aktuellen Transparenz- und Opazitätstheorien mit dem russischen Diskurs der uslovnost (Bedingtheit) der Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts, womit jeweils die „selbstreflexiven Qualitäten der Malerei“ (S. 8) gemeint sind, die dem tradierten mimetischen Bildbegriff in der Moderne entgegengesetzt werden. Ivan Punis zwischen Malerei, Plastik, Sprache und performativen Praktiken changierendes und gleichermaßen von Brüchen, aber eben auch von Kontinuitäten gekennzeichnetes Oeuvre erweist sich dabei als aufschlussreiches Material. Magdalena Nieslony bringt es in brillanten Bildanalysen wiederholt zum Sprechen, wobei sich das Gemälde Fensterputz von 1915, das auf den ersten Blick wie eine verspätete Version eines kubo-futuristischen Bildes anmutet, als Schlüsselwerk erweist (S. 27–48). Aber auch Punis Schriftbilder, ein Monochrom, die Materialassemblagen und farbig gefassten Bildskulpturen und Reliefs lassen sich, wie die Verfasserin deutlich macht, als gleichberechtigte Statements zur Malerei und der sie kennzeichnenden „ikonischen Differenz“, von der Gottfried Boehm spricht, lesen. In diesen so unterschiedlichen Werken und Werkgruppen werden Aspekte wie Flächigkeit, Dinghaftigkeit und Gemachtheit verhandelt, denen sich auch Kolleginnen und Kollegen wie Pablo Picasso, Vladimir Tatlin, Ljubov Popova und andere widmeten. Hier hätte man einen Hinweis auf Pavel Filonov erwartet.

Ein besonderes Verdienst des Buches besteht darin, dass es Nieslony gelungen ist, den Zusammenhang zwischen den intellektuell anspruchsvollen und handwerklich elaborierten Bildkonzepten Punis, den von ihm organisierten Ausstellungen, darunter die epochale Letzte futuristische Gemäldeausstellung 0,10 von 1915/16, und seinem Essay Zeitgenössische Malerei von 1923 herauszuarbeiten. In diesem schon in der Emigration verfassten Text distanziert sich der Künstler, der auch in die Diskussionen um die faktura und den veščizm involviert war, deutlich von teleologischen Positionen, wie sie etwa in den Schriften von Malevič und Matjušin zu finden sind. Vielmehr bekennt sich Puni, so Nieslony, zu „einer unumgänglichen Bedingtheit und Relativität der Malerei“ (S. 59). Eine solche Position weist ihn nicht nur als diskursfähig im modernen Sinne aus. Sie ermöglichte es ihm auch, sich in Frankreich ohne inneren Widerspruch wieder mit figurativer Malerei zu beschäftigen, womit er am Ende doch ein Ästhetizist blieb (S. 65).

In den beiden letzten Kapiteln des Buches stellt Magdalena Nieslony ihre Fähigkeit zu kunsttheoretischer Analyse eindrucksvoll unter Beweis. Zum einen gelingt es ihr, die innerrussischen Bedeutungsstränge des Begriffes Bedingtheit (uslovnost’) gattungsübergreifend von der Literatur und der Sphäre des Theaters hin zur Bildenden Kunst und in ihrem Wandel von den Zehnerjahren im Kontext des Kubismus und in den Zwanzigerjahren im Umfeld von Konstruktivismus und Formalismus zu erhellen. Zum anderen schlägt sie am Beispiel von Viktor Šklovskij schließlich die Brücke hin zur westlichen Bildtheorie, hier zu Adolf von Hildebrand, ohne die die russische nicht denkbar ist. Die Geschichte dieser Beziehungen muss noch geschrieben werden, wie Magdalena Nieslony zu Recht anmerkt. Mit ihrem klugen und lesenswerten Buch hat sie dafür wegweisende Grundsatzarbeit geleistet und dem Emigranten Ivan Puni neue Aktualität als Künstler und Theoretiker verliehen.

Ada Raev, Bamberg

Zitierweise: Ada Raev über: Magdalena Nieslony: Bedingtheit der Malerei. Ivan Puni und die moderne Bildkritik. Berlin: Mann, 2016. 303 S., 80 Abb. = Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst, 17. ISBN: 978-3-7861-2764-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Raev_Nieslony_Bedingtheit_der_Malerei.html (Datum des Seitenbesuchs)

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