Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2011, 1

Verfasst von: Joachim von Puttkamer

 

Kevin McDermott, Matthew Stibbe (eds.) Revolution and Resistance in Eastern Europe. Challenges to Communist Rule. Oxford, New York: Berg Publishers, 2006. XIV, 210 S. ISBN: 978-1-84520-259-0.

Der Titel des zu besprechenden Bandes führt etwas in die Irre, denn auch wenn die einzelnen Aufsätze durchweg die Krisen und den Zusammenbruch kommunistischer Herrschaft im östlichen Europa in den Blick nehmen, geht es weniger um Revolution und Widerstand als um die Frage, wie die jeweiligen kommunistischen Herrscher und ihr Moskauer Patron die Herausforderungen ihrer Herrschaft beantwortet haben. Diese Blickrichtung wird dadurch bestimmt, dass die Aufsätze fast durchweg von der Frage ausgehen, welche Erkenntnisse sich aus den seit 1989 zugänglichen Archiven haben gewinnen lassen.

In der chronologischen Anordnung der Beiträge macht Leonid Gibianskij den Anfang mit einer präzisen Analyse des Bruchs zwischen Stalin und Tito im Frühjahr 1948. Darin bündelt er seine bereits mehrfach veröffentlichten Belege für die These, Moskau wie Belgrad seien in einen Konflikt gleichsam hineingestolpert, der sich an dem eigenen jugoslawischen Machtanspruch in der Region entzündete und in dem sich mitnichten eine länger angelegte politische Entfremdung manifestiert habe. Matthew Stibbe fasst die jüngeren Forschungen zum 17. Juni 1953 zusammen und argumentiert, dass sich die ostdeutsche Bevölkerung trotz breiter Unterstützung für den Aufstand in ihrer Mehrheit eher abwartend verhalten habe. Johanna Granville fragt danach, warum die Sowjetunion 1956 in Ungarn, nicht aber in Polen militärisch interveniert habe. Schon während des Posener Aufstandes und erst recht im Oktober habe die polnische Parteiführung gezeigt, dass sie auch schwere Krisen aus eigener Kraft meistern könne, während die Situation in Ungarn unter Imre Nagy aus Sicht des Kreml’s zusehends außer Kontrolle geriet. Der Beitrag von Dennis Dele­tant zu Rumänien fällt insofern etwas aus dem Rahmen, als er keine zugespitzte Krisensituation behandeln kann und vielmehr eine Übersicht über unterschiedliche Widerstandsformen bietet. Die bewaffneten Partisanengruppen der fünf­ziger Jahre, der Bergarbeiterstreik im Schil-Tal und die intellektuelle Dissidenz blieben isolierte Einzelphänomene, sind jedoch für das heu­tige rumänische Selbstbild von erheblicher Bedeutung. Kieran Williams versucht den sowje­tischen Einmarsch in die Tschechoslowakei als Zäsur zu relativieren, indem er die vor wie nach dem 23. August 1968 ablaufenden Prozesse einer „Auto-Normalisierung“ ebenso wie eine anhaltende, unterschwellige Politisierung v.a. der tschechischen Gesellschaft aufzeigt. Bartosz Kaliski bietet einen knappen Abriss der Geschichte der Solidarność und verweist auf deren moralischen Überschuss wie ihre innere Widersprüchlichkeit. Nigel Swain umreißt die Systemtransformationen von 1989 in Polen und Ungarn. Auch wenn sich die Reformbereitschaft der beiden kommunistischen Parteien und ihre Strategie gegenüber der Opposition in wichtigen Punkten unterschied, unterschätzten beide die Stärke ihrer Gegenüber und wurden letztlich von der Dynamik überrollt, die aus dem fortschreitenden Kollaps des Ostblocks entstand. Peter Strieder versucht sich daran, die Ursachen für den Zusammenbruch der DDR zu gewichten. Sein Befund, die Revolution von 1989 sei von der bundesdeutschen Ostpolitik vorbereitet, von Gorbatschow ermöglicht und von der ostdeutschen Bevölkerung gemacht worden, kommt leider über Allgemeinplätze kaum hinaus und bietet kaum Näheres zur Reich­weite ostdeutschen Protestes gegen die Herrschaft der SED. James Krapfl interpretiert die Selbstdeutungen der „Samtenen Revo­lu­tion“ in der Tschechoslowakei in etwas gewollten Metaphern des Theaters und zeigt so unterschiedliche Distanzierung vom Begriff der Revolution. Anthony Kemp-Welch skizziert abschließend die außenpolitischen Rahmenbedingungen des Kalten Krieges.

In der konzisen Bündelung von Forschungskontroversen sind die einzelnen Aufsätze durchaus mit Gewinn zu lesen. In seiner Gesamtheit macht der Band zugleich die Vielfalt und die Unterschiede zwischen den jeweiligen Krisen kommunistischer Herrschaft deutlich, die mitnichten eine Kette ähnlich gelagerter Phänomene bildeten und sich einem eindimensionalen Widerstandsnarrativ entziehen. Als Konstante ließe sich allenfalls der Befund benennen, dass das Vertrauen der sowjetischen Führung in die jeweilige Parteispitze letztlich ausschlaggebend dafür war, ob Moskau gewaltsam intervenierte oder, wie im jugoslawischen Fall, den offenen Bruch heraufbeschwor. Wer hingegen nach den unterschiedlichen Formen und Zielen gesellschaftlichen Widerstands gegen kommunistische Herrschaft fragt und, wie es die Herausgeber eingangs andeuten, dessen Reichweite mit der Willfährigkeit breiter Bevölkerungsschichten in Beziehung zu setzen versucht, wird hier nur bedingt fündig. Denn für diese Frage darf man sich ohnehin nicht auf die spektakulären Krisen konzentrieren, sondern muss den grauen Alltag des Staatssozialismus in den Blick nehmen.

Joachim von Puttkamer, Jena

Zitierweise: Joachim von Puttkamer über: Kevin McDermott, Matthew Stibbe (eds.) Revolution and Resistance in Eastern Europe. Challenges to Communist Rule. Berg Publishers Oxford, New York 2006. XIV. ISBN: 978-1-84520-259-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Puttkamer_McDermott_Revolution_and_Resistance.html (Datum des Seitenbesuchs)

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