Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Michael Portmann

 

Isa Blumi: Reinstating the Ottomans. Alternative Balkan Modernities, 1800–1912.  Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2011. XX, 250 S., 8 Abb., 2 Ktn. ISBN: 978-0-230-11018-2.

Isa Blumi spricht fließend Englisch, Albanisch und Französisch, beherrscht u. a. Türkisch, Arabisch und Italienisch und liest zudem u. a. Osmanisch, Deutsch und Serbokroatisch. Damit besitzt er zumal in sprachlicher Hinsicht die allerbesten Voraussetzungen, um die Geschichte des Osmanischen Reiches im Südosteuropa des 19. Jahrhunderts aus mehreren neuen Perspektiven (S. 5) zu begreifen und zu schreiben. Dies bedeutet in erster Linie, dass Blumi dieengstirnigen ethnonationalenDeutungsmuster umdynamische, weniger sauber abgegrenzteSichtweisen erweitern und auch korrigieren will (S. 2). Es geht ihm um nicht weniger, als die im 20. Jahrhundert triumphierende Geschichte derNationherauszufordern und (im doppelten Sinne) zeitgemäße, nicht teleologisch ausgerichtete Gegennarrative anzubieten (S. 2/3). Er folgt damit jenen Pfaden, die für Böhmen beispielsweise bereits von Jeremy King („Budweisers into Czechs and Germans. A Local History of Bohemian Politics, 1848-1948“) und Tara Zahra (Kidnapped Souls: National Indifference and the Battle for Children in the Bohemian Lands, 19001948“) oder für Krain von Joachim Hösler („Von Krain nach Slowenien. Die Anfänge der nationalen Differenzierungsprozesse in Krain und der Untersteiermark von der Aufklärung bis zur Revolution, 1768 bis 1848“) erfolgreich und mit viel Gewinn beschritten worden sind. Es ist dies wahrlich kein einfaches Unterfangen, da die (moderne) Nation in der Historiographie Mittel-, Ost- und Südosteuropas nach wie vor zu den wichtigsten Analysekategorien gehört; dies gilt sogar für jene Epochen, in denen eine überwiegende Mehrzahl der Menschen die Welt nicht national wahrgenommen hat und Loyalitäten anderweitig generiert wurden. In der von Blumi untersuchten Zeitspanne (1800 bis 1912) und dem abgesteckten geographischen Raum (Albanien, Südserbien, Montenegro, Makedonien und Kosovo) wardas Osmanischedas insgesamt wirkmäch­tigste Herrschaftsgebilde (The world of everyone living in the region was still largely an Ottoman one, S. 6). Diese nur vermeintlich axiomatische Feststellung bildet die geistige Ausgangsbasis seiner gleichermaßen erfrischenden wie kenntnisreichen Ausführungen.

Das Buch gliedert sich (nebst Einleitung und Fazit) in fünf Hauptkapitel und schließt mit wichtige Zusatzinformationen liefernden Endnoten, einer ausführlichen Bibliographie und einem kombinierten Personen- und Sachregister. Die acht Fotografien sowie die zwei Karten sind nicht nur als Auflockerung gedacht, sondern dienen Blumi gleichermaßen als analytische Mittel zur Einlösung seiner inhaltlichen und methodologischen Ansprüche. Im ersten Kapitel (S. 31–61) geht Blumi mit traditionellen Nationalhistoriographien über und aus Südosteuropa hart ins Gericht und fordert zu Recht, dassalternative Interpretationen der 600 vergangenen Jahre osmanischer Präsenz im Westbalkan nicht nur möglich, sondern notwendig sind, um aus dem Umklammerung der vorherrschenden Narrative der eurozentrischen Moderne auszubrechen(S. 9–10). Die Reformen während der Tanzimat-Periode (1839–1876) und deren vielfältige Auswirkungen auf die osmanisch-balkanischen Gesellschaften stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels (S. 63–94). Diekataklystischen Ereignisse(S. 10) kurz vor und in den ersten Jahren nach dem Berliner Kongress werden in Kapitel drei (S. 95–124) vor allem auf ihren angeblichen nationalistischen(S. 10) Gehalt hin untersucht. Blumi belegt im vierten Kapitel (S. 125–150) seine These, wonach eben während dieser Jahre neue Herrschaftsmittel erprobt und eingesetzt wurden, die von den heutzutage dominierenden Narrativen nicht wahrgenommen werden. Im fünften Kapitel (S. 151–174) schließlich erforscht der an der Georgia State University Lehrende die Besonderheiten der imperialen Zentralisierungsbestrebungen unter einem rigiden Sparkurs sowie die neuen Standards in derMinderheiten-Politik. Es ist Blumi hoch anzurechnen und trägt viel zur Verständlichkeit bei, dass er sich die Mühe gemacht hat, jedes Kapitel in konziser Art und Weise zusammenzufassen. Insbesondere in den Schlussfolgerungen (S. 177–189) vertritt Blumi klare, teils provokante Standpunkte: Meines Erachtens ist ihm in seiner vielleicht zentralen Forderung an die Geschichtswissenschaft unbedingt zuzustimmen, sich nicht ausschließlich auf allgemeine Analysekategorien (Nation, Konfession, Sprache) zu verlassen, wenndie Geschichte der Moderne(S. 184) erzählt werden soll.

Abgesehen von einigen Schönheitsfehlern im Literaturverzeichnis (z. B. Jens-Schmitt, Oliver anstatt Schmitt, Oliver Jens) ist zu bedauern, dass Blumi keine genaueren Fonds-Bestandsangaben gemacht und sich lediglich mit den Namen der besuchten Archive begnügt hat. Diese kaum ins Gewicht fallenden Versäumnisse werden indes durch analytische Schärfe und die Vermittlung tatsächlich neuer Perspektiven auf die (eben auch und vielleicht sogar vor allem) osmanische Geschichte Südosteuropas imlangen19. Jahrhundert mehr als wettgemacht. Blumis Monographie empfiehlt sich als äußerst lohnende Lektüre für all jene, die neben den national bzw. nationalstaatlich sowie konfessionell geprägten Paradigmen bereit sind, sich alternative Zugänge zu den komplexen state-society relations am westlichen Balkan anzueignen.

Michael Portmann, Wien

Zitierweise: Michael Portmann über: Isa Blumi: Reinstating the Ottomans. Alternative Balkan Modernities, 1800–1912. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2011. XX, 250 S., 8 Abb., 2 Ktn. ISBN: 978-0-230-11018-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Portmann_Blumi_Reinstating_the_Ottomans.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2014 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg and Michael Portmann. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.