Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Christian Pletzing

 

Gerhard Doliesen: Polen unter kommunistischer Diktatur 1944–1956. Mit Vergleichen zur DDR. Schwerin: Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, 2010. 144 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-3-933255-23-5.

Der 50. Jahrestag des Posener Arbeiteraufstands war 2006 Anlass für eine Wanderausstellung der Ost-Akademie Lüneburg und des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Mecklenburg-Vorpommern. Ein Ergebnis der Ausstellung ist der BandPolen unter kommunistischer Diktatur 1944–1956des Osteuropahistorikers Gerhard Doliesen. Doliesen wendet sich an ein breiteres, zeitgeschichtlich interessiertes Publikum, indem er deutsche Leser in pointierter Form mit neueren Forschungsergebnissen polnischer und deutscher Wissenschaftler bekannt macht. Dabei konzentriert sich die Darstellung der Nachkriegsgeschichte Polens chronologisch auf drei Schwerpunkte: Die Beseitigung der Demokratie in Polen durch Maßnahmen der Sowjetunion, die stalinistische Diktatur und der Widerstand gegen sie sowie die Entstalinisierung und ihre Folgen. In den vergleichenden Kapiteln zur Entwicklung in Polen und der DDR stehen die Jahre bis 1956 ebenfalls im Vordergrund, doch zeigt Doliesen auch weitere Aspekte der Beziehungsgeschichte bis 1989 auf.

Der Band besticht neben der flüssig lesbaren Darstellung vor allem durch die Wiedergabe zahlreicher Quellen und Fotos, die in der deutschen Öffentlichkeit wenig bekannt sind. Fotos aus den Beständen des IPN zeigen beispielsweise antikommunistische Widerstandskämpfer, die noch bis Anfang der fünfziger Jahre in Polen einen Partisanenkrieg führten. Stalins handschriftliche Korrekturen, die in die polnische Verfassung von 1952 eingingen, oder Marschall Rokossowski/Rokossovskij einmal in sowjetischer, einmal in polnischer Uniform machen den bestimmenden Einfluss der Sowjetunion in der Volksrepublik Polen deutlich. Doliesen veranschaulicht durch die Zusammenstellung aussagekräftiger Quellen zudem unterschiedliche Perspektiven und Wahrnehmungen: Dem Bericht des staatlichen Polnischen Rundfunks über den Posener Arbeiteraufstand stellt er eine Reportage von Radio Free Europe gegenüber; ein Propagandaplakat, das dieServicequalitätim sozialistischen Einzelhandel hervorhebt, wird mit einem Foto über ein leeres Geschäft und lange Warteschlangen kombiniert. Weitere Quellen und Quellenauszüge, die von Doliesen z.T. erstmals ins Deutsche übersetzt wurden, ergänzen die Darstellung ebenso wie die Wiedergabe politischer Witze oder Graphiken z.B. zu gefälschten Wahlergebnissen.

In den letzten beiden Kapiteln skizziert Doliesen die Situation in der DDR im Jahr 1956 und vergleicht die Entwicklung in beiden Staaten innerhalb des ersten Nachkriegsjahrzehnts. Trotz einer unterschiedlichen Ausgangssituation, so Doliesen, verlief die politische Entwicklung östlich und westlich der Oder aufgrund vergleichbarer Strukturen stalinistischer Herrschaft relativ ähnlich. Unterschiede zeigen sich aber in den Wechselwirkungen zwischen Politik und Gesellschaft. So kämpfte in der DDR ebenso wie in Polen der Staat gegen die Kirchen, doch mit sehr unterschiedlichem Ergebnis: In Polen ging die katholische Kirche aus dem Konflikt gestärkt hervor, in der DDR hinterließ die Kirchenpolitik der SED ein weitgehend atheistisches Land. Vielen Lesern wenig bekannt dürfte auch die deutlich höhere Präsenz sowjetischer Truppen in der DDR seinsie war pro Einwohner 14 mal so hoch wie in der Volksrepublik Polenoder aber die im Vergleich zu Polen signifikant höhere Zahl der offiziellen und inoffiziellen Geheimdienstmitarbeiter in der DDR.

Doliesen gelingt es überzeugend, durch eine vergleichende Perspektive neue Erkenntnisse zu vermitteln. Zu bedauern ist lediglich, dass sich das Buch auf den für einen Publikumstitel relativ kurzen Zeitraum von 1944 bis 1956 beschränkt. Ein deutlich erweiterter Untersuchungszeitraum hätte sicher mehr zeitgeschichtlich interessierte Leser angesprochen. Dessen ungeachtet ist Doliesens Band ein gelungenes Beispiel dafür, wie der aktuelle Stand der Wissenschaft einem breiteren Publikum vermittelt werden kann.

Christian Pletzing, Flensburg

Zitierweise: Christian Pletzing über: Gerhard Doliesen: Polen unter kommunistischer Diktatur 1944–1956. Mit Vergleichen zur DDR. Schwerin: Die Landesbeauftragte für Mecklenburg-Vorpommern für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, 2010. 144 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-3-933255-23-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Pletzing_Doliesen_Polen_unter_kommunistischer_Diktatur.html (Datum des Seitenbesuchs)

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