Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 8 (2018), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Diana Ordubadi

 

Ruslan G. Skrynnikov: Reign of Terror: Ivan IV. Translated by Paul Williams. In cooperation with The Bronze Horseman Literary Agency. Leiden, Boston, MA: Brill, 2015. XXIX, 590 S. = Eurasian Studies Library, 6. ISBN: 978-90-04-30400-0.

Ivan IV. der Schreckliche (Groznyj) ist eine der bekanntesten und umstrittensten Figuren der russischen Geschichte. Obwohl die erste Assoziation einen verrückten Tyrannen vermuten lässt, wird in der historischen Forschung auch die Meinung vertreten, dass hinter den Gräueltaten des Moskauer Zaren ein politisches Kalkül und reife Überlegungen steckten. Ivan IV. gilt daher als erster russischer Herrscher, der den Terror als Regierungsmethode nutzte (S. XXXII), was Historiker seit dem 19. Jahrhundert dazu bewog, seine Strategien zur Bekräftigung der Macht sowie die Folgen dieser blutigen Herrschaft für den russischen Staat mehrmals in den Fokus zu nehmen.

Ruslan Skrynnikov gilt als „größter Kenner der Geschichte Moskowiens des 16. Jahrhunderts aller Zeiten“ (vgl. S. XVIII), wie es Charles J. Halperin in der Einleitung zu der vorliegenden englischsprachigen Übersetzung von Skrynnikovs Buch Carstvo terrora von 1992 formulierte. Als Historiker kannte Skrynnikov die veröffentlichten Quellen, Archivmaterialien sowie die ganze russischsprachige Sekundärliteratur über Ivan IV. in- und auswendig. Die Bedeutung seiner Forschungen besteht aber auch darin, dass er nach einer Äußerung von Marc Raeff zu denjenigen gehörte, die über die russische Geschichte in der Sowjetunion in einem einzigartigen Stil und ohne marxistische Klischees zu schreiben vermochten (vgl. S. VII). Skrynnikovs Veröffentlichungen auf Russisch sind zahlreich und jedes Mal für die Klärung einer neuen Facette der Epoche wertvoll. Die Übersetzungen dieser Publikationen ins Deutsche und Englische waren hingegen nicht so umfangreich – eine Lücke, die nun mit dieser Ausgabe zumindest teilweise gefüllt werden soll.

Das Buch ist der sog. opričnina-Politik von Ivan IV. gewidmet, die teilweise als völlig grundloser Terror eines von Verfolgungswahn geplagten Herrschers und teilweise – wie durch Nikolaj Karamzin – als wirkungsvolles Instrument zur Stärkung der russischen Selbstherrschaft (rus.: samoderžavie) und dadurch als Rettung der Moskauer Staatlichkeit gedeutet wird. Skrynnikov gehörte weder zu denen, die Ivan IV. heiligsprechen wollten, noch zu denen, die ihn verteufelten. Sein Ziel war eine vielseitige Überprüfung der früheren Forschungen zum Thema opričnina und die Auseinandersetzung mit den Entstehungsmechanismen und den Auswirkungen des opričnina-Terrors.

Im Zentrum des Buches steht die Beziehung des Zaren zu seiner Elite, aber nicht nur mit dem Bojarentum, sondern auch zu anderen Sozialschichten wie Kleinadligen, Kaufleuten sowie mit Institutionen wie der Bojarenduma, den Landesversammlungen (zemskij sobor) und mit der russisch-orthodoxen Kirche. Sie alle setzten auf die eine oder andere Weise Grenzen für die zarische Autorität. Da es in Russland nach Auslegung Vasilij Ključevskijs vor der opričnina keinerlei Instanz gab, die bei ständiger Konfrontation zwischen dem Herrscher und seinen Bojaren die persönliche Sicherheit des Zaren garantieren konnte, wurde ein solcher Schutz von Ivan IV. auf skrupellose, aber sehr pragmatische Weise geschaffen: durch eine Politik von Angst und Schrecken.

Das System der Dienstadligen bildete für Ivan IV. ein wichtiges Gegengewicht zu den Bojaren; unter anderem auch deshalb wurde die gewaltsame Einforderung einer bedingungslosen Treue der Untertanen unter ihm zu einem Kennzeichen der sich etablierenden russischen Selbstherrschaft. Alle anderen Regierungsformen wie etwa die in der damaligen polnischen Adelsrepublik oder die englische parlamentarische Monarchie wurden vom ersten russischen Zaren nicht nur kaum in Erwägung gezogen, sondern aufs Schärfste kritisiert und verurteilt. Dabei bildete die opričnina ein zielsicheres Instrument, um alle Gesellschaftsgruppen und -schichten zu vernichten, die die Macht des Zaren und seine alleinige Herrschaft irgendwie einschränken könnten.

Dabei betont Skrynnikov, dass die opričnina – entgegen dem in der sowjetischen Historiographie fest etablierten Mythos – niemals eine einheitliche und systematisch durchdachte Repressionspolitik darstellte. Nach seiner Darstellung ist es keineswegs eine Geisteskrankheit des Zaren gewesen, die den Mechanismus des Massenterrors in Gang setzte, sondern eine an ihrem Tiefpunkt angekommene Gesellschaftskrise in Moskau: die opričnina sei das Resultat einer sich seit Jahrzehnten manifestierenden Kluft zwischen dem Herrscher und der oberen Regierungsschicht gewesen. Durch die opričnina ist es dem Zaren gelungen, die Adligen in zwei Lager zu teilen und diese gegeneinander auszuspielen. Als Ergebnis erhielt Ivan IV. seine lang ersehnte, uneingeschränkte politische Macht. Die langfristigen Folgen waren allerdings für den Staat fatal. Die gesellschaftliche Stütze der Monarchie wurde tief gespalten, und das ganze Herrschaftsmodell verlor an Stabilität. Der Terror beschränkte sich nicht auf rein physische Gewalt; im Keim erstickt wurden auch alle freien Gedankenäußerungen in der russischen Gesellschaft. Eine massive, dominierende Verbreitung erhielt einzig die Idee des Zaren vom „großen Bojarenverrat“ und dieser wurde alles unterordnet. Durch den Terror Ivans des Schrecklichen wurde die russische Gesellschaft tief zerrüttet, was einen fruchtbaren Boden für die sog. „Zeit der Wirren“(russ.: smuta) bot.

In seiner Darstellung beschäftigt sich Skrynnikov kaum mit der Begriffsgeschichte und flicht analytische Passagen in die chronologische Beschreibung des Lebens von Ivan IV. ein. Auch in anderen Aspekten gehört er eher zu den Traditionalisten, wie z. B. bei der klaren Aufteilung der Herrschaft des Zaren in zwei ungleichmäßige Perioden: in die junge Reformphase, als Ivan IV. von einem Kreis engster Berater, bekannt als „Auserwählter Rat“, umgeben wurde und systematisch an der Umgestaltung des Moskauer politischen Systems arbeitete, und in die Schreckensperiode, die nach dem Tode seiner geliebten ersten Frau Anastasija einsetzte. Dabei maßt sich Skrynnikov aber auch nicht an, darüber zu spekulieren, wann und wieso sich ein plötzlicher Bruch in der Psyche bzw. in der Seele Ivans ereignete, der zur Politik des Terrors führte. Auch wenn es aus der Sicht der modernen westlichen Forschung logischer wäre, die übermäßig positive Einschätzung der ersten Regierungszeit des Zaren kritisch zu betrachten, bleibt Skrynnikov äußerst professionell. Detailliert und konzentriert setzt er sich mit der Epoche Ivan Groznyjs auseinander und schweift auch auf die Frage der Wahrnehmung dieser Zarenfigur im modernen Russland nicht ab. (Vgl. S. XXXI).

Der russische Originaltext des Werkes wurde in der vorliegenden Ausgabe sehr behutsam und mit viel Sachverstand ins Englische übersetzt. Bei der Übersetzung der Originaleinleitung des Autors haben die Herausgeber mehrmals Skrynnikov selbst konsultiert. Einige wenige Kapitel wie z. B. über die Krim-Horde wurden zwar aus nicht erläuterten Gründen in die Ausgabe nicht übernommen, die Einheitlichkeit des Buches blieb aber auf jeden Fall gewahrt. Auch Skrynnikovs Schlussbetrachtung und seine einordnenden Ausführungen zu den Quellen fehlen im aktuellen Band. Eine eindeutige Bereicherung bildet dagegen der einleitende Aufsatz von Charles J. Halperin, in dem eine schöne Übersicht der russischen Historiographie zum 16. Jahrhundert angeboten sowie die Bedeutung von Skrynnikovs Forschung erläutert wird. Seinem Fazit kann man nur zustimmen, dass trotz vieler neuer Entwicklungen in der Geschichtswissenschaft die Werke von Skrynnikov noch lange nicht überholt wirken und ihnen der Status wissenschaftlicher Klassiker stets bleiben wird (vgl. S. XXXI).

Diana Ordubadi, Bonn

Zitierweise: Diana Ordubadi über: Ruslan G. Skrynnikov: Reign of Terror: Ivan IV. Translated by Paul Williams. In cooperation with The Bronze Horseman Literary Agency. Leiden, Boston, MA: Brill, 2015. XXIX, 590 S. = Eurasian Studies Library, 6. ISBN: 978-90-04-30400-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Ordubadi_Skrynnikov_Reign_of_Terror.html (Datum des Seitenbesuchs)

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