Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Martin Munke

 

Eike Eckert: Zwischen Ostforschung und Osteuropahistorie. Zur Biographie des Historikers Gotthold Rhode (1916–1990). Osnabrück: fibre, 2012. 330 S., 15 Abb. = Einzelveröffentlichungen des DHI Warschau, 27. ISBN: 978-3-938400-78-4.

Ausgehend von Debatten auf den Historikertagen 1994 in Leipzig und 1998 in Frankfurt am Main wurde seit Ende der neunziger Jahre in der deutschen Geschichtswissenschaft kontrovers und vielfach polemisch zugespitzt über die Rolle der sogenannten Ostforschung bei der Legitimierung der NS-Herrschaft und die vielfach postulierte Rolle ihrer Protagonisten als „Vordenker der Vernichtung“ (Götz Aly, Susanne Heim) sowie deren weitere Karrieren in der Bundesrepublik debattiert. Der damalige Leiter des Marburger Herder-Instituts und nachmalige Direktor des Deutschen Historischen Instituts (DHI) in Warschau, Eduard Mühle, forderte 2001 in einer Rezension einschlägiger Titel, um den in diesem Kontext vielfach geäußerten „kühne[n] Thesen und Spekulationen“ den Boden zu entziehen, bedürfe es noch einiger „institutionengeschichtlicher und biographischer Detailstudien“ zur Etablierung eines „verläßlichen empirischen Unterbau[s]“ (Eduard Mühle: Ostforschung und Nationalsozialismus. Kritische Bemerkungen zur aktuellen Forschungsdiskussion, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 50 (2001), S. 256–275, hier S. 274). Seitdem ist eine Reihe personenbezogener Untersuchungen erschienen, womit eine gewisse Versachlichung der Debatte eingetreten ist. Mühle selbst legte 2005 eine Arbeit zu Hermann Aubin (1885–1969) vor, unlängst erschien die Studie des Düsseldorfer Neuzeithistorikers Christoph Nonn zu Theodor Schieder (1908–1984). Auch viele Qualifikationsarbeiten bewegen sich in diesem Umfeld, etwa Thomas Etzemüllers (2001) und Jan Eike Dunkhases (2010) umfängliche Auseinandersetzungen mit Werner Conze (1910–1986) oder Jan Eckels Arbeit (2005) zu Hans Rothfels (1891–1976). In diesen Kontext lässt sich auch die Dissertation von Eike Eckert einordnen, die 2011 bei Rudolf Jaworski in Kiel verteidigt wurde, im gleichen Jahr den zweiten Preis des polnischen Botschafters für wissenschaftliche Arbeiten erhielt und nun in der Reihe des Warschauer DHI gedruckt vorliegt. Dieses ist bereits mit anderen Titeln zum Thema hervorgetreten, etwa Hans-Christian Petersens Untersuchung (2007) zum Bevölkerungsökonomen Peter-Heinz Seraphim (1902–1979).

Eckert – heute Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg – widmet sich der Biographie Gotthold Rhodes. 1916 in der Nähe von Schildberg (Ostrzeszów) geboren, studierte Rhode Geschichte in Jena, München, Königsberg und Breslau. 1939 wurde er bei Hans Koch (1894–1959) promoviert und war danach bis Mai 1945 am Breslauer Osteuropa-Institut angestellt. Nach einer freiwilligen Meldung zur Wehrmacht wurde er jedoch bis Kriegsende von dieser als Dolmetscher eingesetzt. 1946 holte ihn Hermann Aubin nach Hamburg und er habilitierte sich dort 1952. Es folgte eine Dozentur in Marburg; anschließend erhielt Rhode den Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte in Mainz, den er bis zu seiner Emeritierung 1984 innehatte. Nach seiner Pensionierung wurde er – u. a. in Nachfolge von Aubin, Eugen Lemberg (1903–1976) und Bernhard Stasiewski (1905–1995) – zum Präsidenten des Herder-Forschungsrates gewählt, welchen Posten er bis zu seinem Tod bekleidete. Seit 1967 war Rhode zudem Mitherausgeber der damaligen Zeitschrift für Ostforschung (seit 1995 Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung), und auch für die Jahrbücher für Geschichte Osteuropas war er in dieser Funktion tätig. Er war mithin also eine der wichtigsten Persönlichkeiten der historischen Osteuropaforschung in der Bundesrepublik. Thematisch setzte er sich besonders mit der Geschichte Polens und den deutsch-polnischen Beziehungen auseinander.

Die titelgebenden Begriffe „Ostforschung“ und „Osteuropahistorie“ bilden die beiden oszillierenden Pole von Rhodes wissenschaftlicher Tätigkeit im „Dritten Reich“ und danach – „Ostforschung“ als hauptsächlich außeruniversitär verankerte, multidisziplinäre Forschungsrichtung auf ethnozentrierter und politisierter Grundlage in der Tradition etwa eines Albert Brackmann (1871–1952), und „Osteuropäische Geschichte“ als universitäres Fach im Sinne beispielsweise eines Otto Hoetzsch (1876–1946). Rhodes frühe Prägung erfolgte durch sein Studium in Breslau und die Tätigkeit am dortigen Osteuropa-Institut, das eine der wichtigsten Einrichtungen der Ostforschung im erstgenannten Sinn bildete. Auch seine persönliche Geschichte als in den ehemaligen deutschen Ostgebieten Geborener sollte seine spätere Tätigkeit mitbestimmen: „Als Mitbegründer des Hamburger Landesverbandes der Landsmannschaft Weichsel-Warthe und zeitlebens engagierter Vertreter der Belange seiner vertriebenen Posener Landsleute verdeutlichte Rhode stets seinen Standpunkt in verschiedenen Veröffentlichungen des Vertriebenennetzwerks“ (S. 13), u. a. auch durch seine Tätigkeit für die „Historisch-Landeskundliche Kommission für Posen und das Deutschtum in Polen“. Dieses Spannungsfeld, diesen „Spagat zwischen ,Vertriebenenhistoriker‘ und Osteuropahistoriker“ (S. 15) zeichnet Eckert auf der Grundlage einschlägiger Archivquellen, aber auch autobiographischen Materials Rhodes und eines Teilnachlasses in vier Kapiteln nach. Das erste ist auf zwanzig Seiten knapp den Jugendjahren in Polen und den deutsch-polnischen Beziehungen bis 1933/34 gewidmet. Das zweite behandelt auf einhundert Seiten ausführlich die Studienjahre und die ersten Schritte als Wissenschaftler im oben angedeuteten Umfeld, besonders die Dissertationsschrift Brandenburg-Preußen und die Protestanten in Polen 1640–1740 von 1939 als Beispiel einer Arbeit „zwischen Wissenschaft und Politik“ (S. 79), zwischen „[w]issenschaftliche[r] Sorgfalt und antipolnische[r] Polemik“ (S. 83). In der Druckfassung, die 1941 in der u. a. von Brackmann und Aubin verantworteten Reihe Deutschland und der Osten bei der Publikationsstelle Berlin-Dahlem erschien, erhielt der „historisch aufbereitete Stoff des Dissidentenschutzes […] durch die Einbeziehung der aktuellen deutsch-polnischen Minderheitenproblematik eine die deutsche Außenpolitik rechtfertigende Aussagekraft“ (S. 95), wurde mithin im Sinne der Ostforschung politisiert. Rhode hatte entsprechende Passagen auf eigene Initiative v. a. im Vorwort und im Schlusskapitel hinzugefügt.

Im vierten Kapitel wird auf ebenfalls einhundert Seiten der weitere wissenschaftliche Werdegang nach 1945 verfolgt. Eckert zeigt darin auch, wie sich Rhode zunehmend um Kontakte zu polnischen Historikern bemühte: „Als Lehrstuhlinhaber emanzipierte er sich zunehmend von der Ostforschung als einer politisch aufgeladenen, deutschtumsbezogenen Legitimationswissenschaft und betrachtete Ostmitteleuropa als Ganzes.“ (S. 249–250) Dies geschah auf der Ebene persönlicher Korrespondenzen, so dass allmählich ein Dialog in Gang kam. Kritisiert wurde dabei von polnischer Seite Rhodes Engagement im Vertriebenenmilieu, welches jedoch nach der Berufung auf den Mainzer Lehrstuhl zurückging. Insgesamt bleibt somit gleichwohl „eine Kontinuität und gewisse Ambivalenz in [seiner] fachliche[n] Ausrichtung“ (S. 275) zu konstatieren; für den Austausch zwischen deutschen „Ost-“ und polnischen „Westforschern“ galt es auf beiden Seiten noch einige Hindernisse zu überwinden.

Ein zwischengeschaltetes kurzes drittes Kapitel fragt auf reichlich zehn Seiten in diesem Kontext nach generationellen Prägungen. Als „Studienobjekte“ würden sich hier Forscher wie Peter Scheibert (1915–1995), Walther Hubatsch (1915–1984) oder Günther Stökl (1916–1998) anbieten, die ähnlich wie Rhode im „Dritten Reich“ sozialisiert wurden und nach Kriegsende noch weitgehend am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere standen. Entsprechende Untersuchungen stehen jedoch noch am Anfang.

Bei alledem bietet Eckert keine Gesamtbiographie seines Protagonisten, sondern beschränkt sich auf einen Untersuchungszeitraum bis zum Ende der sechziger Jahre, da einerseits die Berufung und Etablierung Rhodes auf dem Mainzer Lehrstuhl ab 1956 für den Autor den „Abschluss seines wissenschaftlichen Sozialisationsprozesses“ (S. 12) bildete und andererseits „1968“ und seine Folgen als eine Zäsur angenommen werden. Diese Beschränkung bedeutet aber auch, dass eine Auseinandersetzung mit Rhodes Rolle in der Gemeinsamen Deutsch-Polnischen Schulbuchkommission der siebziger Jahre oder eben mit seiner Tätigkeit als Präsident des Herder-Forschungsrates zunächst unterbleibt. Die Grundlage für eine wissenschaftsgeschichtliche Einordnung von Rhodes Schaffen ist aber durch Eckert in jedem Fall gelegt worden.

Martin Munke, Chemnitz

Zitierweise: Martin Munke über: Eike Eckert: Zwischen Ostforschung und Osteuropahistorie. Zur Biographie des Historikers Gotthold Rhode (1916–1990). Osnabrück: fibre, 2012. 330 S., 15 Abb. = Einzelveröffentlichungen des DHI Warschau, 27. ISBN: 978-3-938400-78-4, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Munke_Eckert_Zwischen_Ostforschung_und_Osteuropahistorie.html (Datum des Seitenbesuchs)

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