Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Florian Mildenberger

 

James Palmer: Der blutige weiße Baron. Die Geschichte eines Adligen, der zum letzten Khan der Mongolei wurde. Aus dem Englischen von Nora Matocza und Gerhard Falkner. Frankfurt/M.: Eichborn, 2010. 379 S., = Die andere Bibliothek, 311. ISBN: 978-3-8218-6234-7.

Dass Bücher hierzulande erst dann rezipiert werden, wenn sie in deutscher Sprache vorliegen, hat sich auch in Zeiten der Globalisierung nicht wesentlich geändert. So wird auch Palmers 2008 erschienene Biographie über eine der rätselhaftesten Gestalten der russischen Geschichte erst jetzt wahrgenommen, da sie den Weg in die „Andere Bibliothek“ gefunden hat. Obwohl im Titel nicht genannt, weiß der versierte Leser sofort, dass es sich um eine Biographie über Robert Nikolaj Maximilian von Ungern-Sternberg (1886‒1921) handelt. Bevor sich Palmer  dessen bewegtem Leben widmete, hatten ihn bereits sowjetische Autoren als Prototypen des verkommenen Imperialisten beschrieben und propagandistisch instrumentalisiert. Nationalsozialistische Biographen erahnten Affinitäten zwischen ihrer Sozialisation und dem Leben des Barons und in den esoterischen Grenzwissenschaften hat er als historische Figur längst Einzug gehalten. Palmers große Leistung besteht darin, dass er den ganzen Wust an Legenden und Mythen um das Leben und Wirken Ungern-Stern­bergs abstreift, eine kritische Quellenanalyse vornimmt und sich im Gegensatz zu allen früheren Biographen auf den Weg an die Wirkungsstätten des „blutigen Barons“ macht. Ausgestattet mit dem methodischen Hintergrund eines modernen Kulturhistorikers entwirft Palmer die Biographie eines mit sich selbst stets unzufriedenen jungen Adligen, der zwar die Veränderungen im zerbröckelnden Zarismus um 1900 wahrnimmt, sich aber über die eigene Position und Zukunft im Unklaren ist. Anstelle einer Auseinandersetzung mit der Moderne wählte Ungern-Stern­berg wie viele seiner Zeit- und Standesgenossen eine Hinwendung zu transzendentalen Heilsbotschaften. Er saugte die Interpretationen von Schamanismus, Buddhismus und Antisemitismus in sich auf und formte aus den Versatzstücken der Salonkultur sein eigenes Weltbild, das er in den Wirren der Russischen Revolution in die Tat umsetzte. 1920, als die Hoffnungen der „Weißen“, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können, schon fast erloschen waren, entfesselte Ungern-Sternberg zwischen der Mongolei, China und Russland einen Kreuzzug, in dem er sich als wiedergeborener Dschingis-Khan positionierte, grauenvolle Kriegsverbrechen – vor allem an jüdischen Flüchtlingen – beging und sich im Angesicht der Niederlage auf den Spuren der Theosophie nach Tibet absetzen wollte. Palmer gelingt es, darzustellen, dass Ungern-Sternberg in diesem Machtpoker eher ein Getriebener der Zeitumstände und regionaler Konstellationen war als der unumschränkte Herrscher der Steppe, als der er bislang in Literatur und Populärkultur wahrgenommen wird. Allerdings bedient sich der Autor gelegentlich der Unsitte angelsächsischer Kulturgeschichtsschreibung, Spekulation an die Stelle von Recherche zu setzen, sei es bei der möglichen sexuellen Veranlagung Ungern-Sternbergs oder den Quellen seines Denkens, die auffallend im Dunkeln bleiben. Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den theosophischen Geisteskulturen wäre vorteilhaft gewesen. Des Weiteren erscheint bemerkenswert, dass Palmer zwar immer wieder auf die Gesichtszüge Ungern-Sternbergs und sein Auftreten Bezug nimmt, das Buch aber kein einziges Foto beinhaltet. Die Parallelen zwischen der kruden Esoterik Ungern-Sternbergs und den Ansätzen im Umkreis Heinrich Himmlers und der SS werden nicht thematisiert.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass es Palmer gelungen ist, seinen Protagonisten frei von Mythen und Gerüchten darzustellen. Die Sprache ist klar verständlich, aber der Bezug zu den neuesten Erkenntnissen der geistesgeschichtlichen Forschung erscheint eher vage.

Florian G. Mildenberger, Berlin

Zitierweise: Florian Mildenberger über: James Palmer Der blutige weiße Baron. Die Geschichte eines Adligen, der zum letzten Khan der Mongolei wurde. Aus dem Englischen von Nora Matocza und Gerhard Falkner. Frankfurt/M.: Eichborn, 2010. = Die andere Bibliothek, 311. ISBN: 978-3-8218-6234-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Mildenberger_Palmer_Weisse_Baron.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2012 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg and Florian Mildenberger. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@osteuropa-institut.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.