Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Stephan Merl

 

Peter Julicher: „Enemies of the People“ under the Soviets. A History of Repression and its Consequences. Jefferson, NC: McFarland, 2015. X, 273 S., 27 Abb. ISBN: 978-0-7864-9671-6.

Peter Julicher wählt den Begriff „Volksfeinde“ als Aufhänger, um die bolschewistische Herrschaft als Geschichte der Aufeinanderfolge von Repressionen gegen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu erzählen. Er hat an der Temple University studiert und danach 32 Jahre als Geschichtslehrer an der Cranbrook Kingswood School in Bloomfield Hills, Michigan, Kurse zur russischen Geschichte unterrichtet. Nach dem Titel Renegades, Rebels und Rogues under the Tsars ist dies sein zweites Buch. Julicher will darin zeigen, wie der Versuch, die erste sozialistische Gesellschaft zu schaffen, durch das „Volksfeinde“-Konzept unterminiert wurde. Stalin habe, um seine Landsleute komplett zu beherrschen, das ‚Gespenst‘ von „Volksfeinden“ beschworen. Es erlaubte dem Regime, jeden zu vernichten, der sich widersetzte. Das Buch „will explain how this came to be and serve as a warning to those who think it cant happen again“ (S. 1).

Julicher beansprucht nicht, neue Forschungsergebnisse vorzulegen. Er richtet sich an ein breites Publikum. Seine Darstellung stützt er auf die Standardwerke überwiegend der neunziger Jahre (so die Studien von Robert Conquest, Sheila Fitzpatrick, Orlando Figes, Richard Pipes und Dmitri Wolkogonow, sowie zum Terror: Anne Applebaum, zum Verhältnis zur Orthodoxen Kirche: Nathanial Davis). Die insgesamt verwendete Literaturbasis ist überschaubar (S. 258–259).

In der Einleitung schildert Julicher den Beginn des Umschlagens der bolschewistischen Herrschaft in eine Diktatur (S. 3–10). Bereits Lenin habe den Begriff „Volksfeinde“ verwendet, Stalin ihn dann selbst auf jeden bezogen, „who doubts the rightness of the Party line“. Die einzelnen Kapitel erzählen die Geschichte der Sowjetunion weitgehend in chronologischer Form. Die Überschrift benennt dazu jeweils eine spezifische, zu dem Zeitpunkt als „Volksfeinde“ gebrandmarkte Gruppe: Im 1. Kapitel sind das Kapitalisten, die Bourgeoisie, Gutsbesitzer und die Romanows (S. 11–32), im Kapitel zum Bürgerkrieg die Sozialrevolutionäre und Anarchisten (S. 33–47). Das 3. Kapitel stellt die wechselnden Phasen des Kampfes gegen die Orthodoxe Kirche bis hin zu Gorbačev dar (S. 48–69). Im 4. Kapitel geht es um Trotzki und den Trotzkismus (S. 70–95), im 5. Kapital um „Schädlinge“ und Kulaken (S. 96–118): Stalin habe dabei das enorme Potential der Schauprozesse „as a tool of manipulating Soviet public opinion“ erkannt (S. 105). Das 6. Kapitel ist mit Altbolschewisten, einfache Leute und NKVD überschrieben (S. 119–149). Im Zentrum stehen dabei die drei großen Schauprozesse. Im 7. Kapitel geht es um das Militär, ausländische Kommunisten und repatriierte Kriegsgefangene (S. 150–175), und schließlich um die schöpferische Intelligenz, um Kosmopoliten und Juden (S. 176–200). Das Schlusskapitel behandelt Chruščevs Geheimrede (S. 201–209). Gewissermaßen als Zugabe finden sich unter der Überschrift Epilog die Kurzdarstellungen der Revolutionen in China, auf Kuba, in Kambodscha (Rote Khmer) und im Iran (S. 210–245). Dass letztere nicht so richtig in diese Reihe passt, ficht Julicher nicht an. Sie ermöglicht ihm, den Bogen zu den amerikanischen Präsidenten Carter, Clinton und Obama (S. 241–244) zu schlagen, nachdem er Nixon bereits in Verbindung mit dem Vietnamkrieg und Kambodscha erwähnt hat.

Die Erzählperspektive, die Sowjetherrschaft als Abfolge der Ausschaltungen von „Volksfeinden“ darzustellen, ist neu. Allerdings nutzt Julicher sie nicht, um die Ereignisse analytisch zu durchdringen. Der Autor hält sich auch mit wertenden Einfügungen zurück. Offenbar glaubt er, dass die geschilderten Ereignisse für sich sprechen. Das Schicksal der „Volksfeinde“ wird jeweils in einen breiteren Kontext des Handlungsablaufs gestellt. Alles erfolgt additiv, allgemeine Schlussfolgerungen finden sich nicht. Man könnte anmerken, dass der Autor die quantitative Bedeutung der einzelnen „Volksfeinde“-Kategorien nicht immer korrekt herausarbeitet. So finden sich eher wenige Informationen zu den Kulaken und den Massenrepressionen von 1937–1938.

Stephan Merl, Bielefeld

Zitierweise: Stephan Merl über: Peter Julicher: „Enemies of the People“ under the Soviets. A History of Repression and its Consequences. Jefferson, NC: McFarland, 2015. X, 273 S., 27 Abb. ISBN: 978-0-7864-9671-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Merl_Julicher_Enemies_of_the_People.html (Datum des Seitenbesuchs)

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