Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reivews 6 (2016), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Rudolf A. Mark, Hamburg

 

Paul Robinson / Jay Dixon: Aiding Afghanistan. A History of Soviet Assistance to a Developing Country. London: Hurst, 2013, XI, 226 S., 6 Tab. ISBN/ISBN: 978-1-84904-239-0.

Die Hilfeleistungen, die Afghanistan nach dem Zweiten Weltkrieg von den westlichen Staaten, vor allem aber von der UdSSR erhielt, betrachten die kanadischen Historiker Robinson und Dixon als sehr lehrreich. Erstens, weil deren Erfolge und Misserfolge eine wichtige Dimension der afghanisch-sowjetischen und darüber hinaus der internationalen Beziehungen darstellten und sie zweitens auch für die gegenwärtige Afghanistanpolitik und für die internationale Entwicklungshilfe hilfreiche Aufschlüsse bieten können. Ent­sprechend wollen sie in ihrem Buch die Misserfolge der sowjetischen Bemühungen im Kontext neuerer westlicher und sowjetischer Theorien über eine adäquate Entwicklungs­politik erklären. Ihre Untersuchung soll zudem eine Lücke schließen, weil die Autoren zu Recht monieren, dass die umfangreiche technische und wirtschaftliche Hilfe, die Afghanistan von der Sowjetunion erhielt, in der Forschung bisher wenig Aufmerksam­keit gefunden hat. Westliche Publikationen blieben zudem meist rein deskriptiv, wäh­rend sowjetische und russische Arbeiten das Thema häufig ignorierten. Robinson und Dixon gehen zudem von der Beobachtung aus, dass hinter der sowjetischen Hilfe mehr gute Absichten steckten, als westliche Kommentatoren zugeben wollten. Deren Be­hauptung, Moskau habe Afghanistan in sowjetische Abhängigkeit bringen wollen, wird daher zurückgewiesen. Das Buch will so auch zur Rehabilitierung der sowjetischen Ent­wicklungspolitik am Hindukusch beitragen.

Auf die Einführung und Kommentare zum Stand der Forschung werden unterschied­liche westliche Theoriemodelle und deren Erklärungsansätze vorgestellt und diskutiert. Dabei wird vor allem die Rolle und Wirkmächtigkeit von Institutionen für jede Form von Entwicklungspolitik betont („institutions rule“ S. 23) ‒ungeachtet der Tatsache, dass ihre Funktionsweise noch weiterer Erklärung bedarf. Ein Problem für Hilfesteller wird mit der Beobachtung beschrieben, dass Versuche, bestehende Institutionen zu beeinflussen oder durch neue zu ersetzen, eine Art soziales Spiel mit Menschen, sprich den Einheimischen seien, die die aktuellen Spielregeln bes­ser als jene verstünden und zudem mehr als die von außen Kommenden zu verlieren hätten. Daher scheiterten und scheitern bis heute so häufig gut gemeinte Reformen bzw. sie schlagen in das Gegenteil um. Wie Robinson und Dixon sehr an­schaulich herausarbeiten, waren sich die sowjetischen Analytiker viel früher als ihre west­lichen Kollegen der Bedeutung von Institutionen und deren retardierender bzw. perver­tierender Wirkung bewusst. Das Manko der Sowjets in Afghanistan wird dabei in der Tatsache gesehen, dass sie es nicht vermochten, Institutionen zu schaffen, die besser wa­ren als die beseitigten Strukturen.

Das dritte Kapitel ist der sowjetischen Entwicklungshilfe vor 1979 gewidmet. Sie setz­te in den frühen 1920er Jahre ein, nahm aber erst Mitte der 1950er Jahre substantielle Dimensionen an. An vielen Beispielen werden Ziele und Absichten der sowjetischen westliche Beobachter immer wieder glauben machen wollten. Nach Robinson und Dixon gibt keine Beweise oder Indizien, dass Moskau Afghanistan seiner Rohstoffe wegen hätte in Abhängigkeit bringen wollen. Der südliche Nachbar sollte unterstützt und gefördert werden, um stabile Verhältnisse zu schaffen, von denen auch die zentralasiatischen Sowjetrepubliken profitieren würden. Deshalb setzten die UdSSR und ihre Akteure vor Ort auf Kooperation und Umgang auf Augenhöhe. Dazu gehörte in den ersten Jahrzehnten auch die Bereitschaft der sowjetischen Führung, in einem höheren Maße auf Wünsche und Anregungen der Afghanen für Entwicklungs- und Finanzierungsprojekte einzugehen, als dies westliche Beobachter behauptet haben. Dessen ungeachtet blieben die Afghanen schon wegen ihres technologischen Rückstands von ihren Unterstützern abhängig, die auch eigene Interessen verfolgten. So wurde finanzielle Unterstützung nicht als Subsidien oder Zuschüsse vergeben, sondern in Form von Krediten zu niedrigen Zinssätzen und mit langen Laufzeiten. Man hielt eine solche Mittelvergabe für effektiver und vorteilhaft für beide Seiten. Die sowjetischen Geldgeber erhofften sich nämlich als Tilgung die Lieferung von Waren aus der Produktion der mit den Krediten gebauten Fabriken. Damit hätte man zur Modernisierung der afghanischen Wirtschaft wie zur  edienung eigener Bedürfnisse beigetragen. Allerdings ging diese Rechnung in der Praxis selten auf.

Zu den positiven Ergebnissen der sowjetischen Entwicklungshilfe zählen die Autoren zu Recht die zahlreichen Infrastrukturverbesserungen, die vom Bau von Straßen, Fernleitungen und Pipelines bis zur Anlage von Flugplätzen und der Einrichtung anderer Kommunikationsstrukturen reichten.

Im vierten und fünften Kapitel sind die Hilfeleistungen zwischen 1979 bis 1991 Gegenstand der Untersuchung. Dass mit der Intervention und dem das Land in Mitleidenschaft ziehenden bewaffneten Widerstand sich die Verhältnisse grundlegend veränderten, muss hier nicht weiter ausgeführt werden. Dixon und Robinson bringen die Situation auf den Punkt, wenn sie ausführen, dass die 1978 an die Macht gelangte neue Führung Afghanistans sich als ausgesprochen inkompetent erwies und die sowjetische Führung zwang, die Wünsche und den Übereifer ihrer Klientel zu dämpfen. Gleichzeitig hatte sie bereits so viel politisches Kapital in das Land investiert, dass sie ihre Verbündeten nicht mehr aufgeben konnten Diese wiederum erkannten die Aporie ihrer Unterstützer, erfreuten sich deren steter Unterstützung und ließen in ihrem eigenen Bemühen um „good governance“ (S. 95) nach. Die Folgen sind bekannt. Aber, so heben die Autoren mit einigem Recht hervor, letztlich habe die sowjetische Hilfe primär politischen Zielen gedient, denen die wirtschaftliche und technische Hilfe praktisch nachgeordnet war. Auf diese Weise habe es jedoch keine Entwicklungsfortschritte gegeben, die Unterstützungleistungen verwandelten sich in Subsidien für den Staatshaushalt, der sich zu 75 % aus Einnahmen speiste, die aus sowjetischen Hilfsprojekten stammten. Sie konnten allerdings nicht verhindern, dass die afghanische Volkswirtschaft gegen Ende der sowjetischen Besatzungszeit knapp vor dem Zusammenbruch stand. Vom Aufbau des Kommunismus konnte in der Endphase kaum noch die Rede sein. „Preventing the people from starving was the best the Soviets could do“ (S. 147), lautet das mehr als ernüchternde Fazit der beiden Autoren. Ihnen ist es mit ihrer Analyse gelungen, deutlich zu machen, wie sehr auch die sowjetische Entwicklungshilfe an institutionellen Barrieren scheiterte.

Dass die sowjetische Unterstützung für Afghanistan immense Ausmaße erreichte und neben Lebensmittellieferungen, medizinischer Hilfe, Kreditleistungen, Waffenlieferungen und Ausbildungsprojekten auch zahlreiche erfolgreich ausgeführte Infrastrukturmaßnahmen und anderes mehr umfasste, kann man in der überzeugenden Studie von Robinson und Dixon aus zahlreichen Auflistungen und Statistiken erfahren. Im Anhang dieses sehr nützlichen Buches findet man zudem ein Verzeichnis aller afghanisch-sowjetischen Vertragsabschlüsse, aber auch eine Zusammenstellung aufgegebener bzw. nicht zustande gekommener Kooperationsprojekte. Ein Literaturverzeichnis sowie ein Register schließen diese sehr begrüßenswerte Monographie ab.

Rudolf A. Mark, Hamburg

Zitierweise: Rudolf A. Mark, Hamburg über: Paul Robinson / Jay Dixon: Aiding Afghanistan. A History of Soviet Assistance to a Developing Country. London: Hurst, 2013, XI, 226 S., 6 Tab. ISBN: 978-1-84904-239-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Mark_Robinson_Aiding_Afghanistan.html (Datum des Seitenbesuchs)

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