Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Rudolf A. Mark

 

Regiony Ukrainy. Chronika i rukovoditeli. T. 3: Krym i Nikolaevskaja oblast’. [Die Regionen der Ukraine. Chronik und Führer. Bd. 3: Krim und Gebiet Nikolaev.] Naučnyj redaktor Kimitaka Macuzato. Sapporo: Slavic Research Center Hokkaido University, 2009. 256 S. Abb. = Slavic Eurasian Studies No. 20. ISBN: 978-4-938637-50-7.

Das vorliegende Buch ist im Rahmen eines größeren, von der japanischen Regierung finanzierten slawisch-eurasischen Forschungsprogramms entstanden. Es ist nach einer 2002 erschienenen Studie über das Gebiet Char’kov die zweite Publikation zu den Regionen der Ukraine. Gegenstand sind die Krim und das Gebiet Nikolaev, also der Süden der Ukraine, der, wie der redaktionell verantwortliche K. Macuzato hervorhebt, oft als ein essentialistisch verstandenes „Bollwerk linker Kräfte und prorussischer Stimmungen“ (S. 7) betrachtet wird. Daher gelte es, in einer typologischen Analyse die bestehenden Stereotype zu hinterfragen und die wissenschaftliche Aufmerksamkeit den Einstellungen der Elite und den häufigen Wandlungen der politischen Kräfte zuzuwenden. Dazu hat das japanische Forschungszentrum zwei ukrainische Wissenschaftler gewonnen. Der Historiker Dmitrij Rjabuškin analysiert die Verhältnisse in der Autonomen Krim-Republik, die Politologin Olena Jacunskaja die des Gebietes Nikolaev.

Beide Teile sind nach ähnlicher Ordnung gegliedert und angelegt. Eröffnet werden die Abhandlungen jeweils mit einem Kapitel, das auf wenigen Seiten einen historisch-geographischen Abriss der Gebietseinheit sowie eine Charakteristik der regionalen Besonderheiten gibt. Dem folgen umfangreiche zweite Kapitel, welche die politische Geschichte der Krim und des Gebietes Nikolaev zwischen 1989 und 2006/2007 in ihren wichtigsten Entwicklungslinien und im Kontext der Politik der Ukraine seit der Perestrojkazeit referieren. Rjabuškin wie Jacunskaja gehen dabei strikt chronologisch vor, wobei sie ihre Untersuchungen nach den Amtszeiten der Präsidenten weiter untergliedern. Für die Darstellung der Entwicklungen auf der Krim stellen die konstitutionellen Entscheidungen zum Autonomiestatus der Halbinsel zusätzliche Bezugspunkte dar. Ausführlich werden in beiden Abhandlungen der institutionelle Auf- und Ausbau der Selbstverwaltungskörperschaften sowie der jeweiligen staatlichen Exekutiv- und Legis­lativ­organe behandelt und die Konfliktlinien in den Wechselbeziehungen zwischen Kiewer Zentrum und den beiden südlichen Regionen deutlich gemacht. Da es um die politischen Akteure, vor allem aber die politischen Eliten, ihre Interessen und Strategien geht, werden Wahlen und deren Ausgang untersucht und im Kontext der jeweiligen regionalen Besonderheiten beleuchtet. Für die Krim zeigt Rjabuškin, dass die Halbinsel, nachdem ihr Autonomiestatus geklärt und in der Verfassung verankert war, sowie im Zuge einer spürbaren ökonomischen Erholung der Region, eine beachtliche politische Stabilität erreicht hat und dass von einer Hinwendung der Eliten zu Russland keine Rede sein kann, solange Kiev keine Zwangsukrainisierung der Halbinsel versucht. Eine wie auch immer herbeigeführte destabile Lage auf der Halbinsel mag strategischen Visionen Moskaus entgegenkommen, entspreche aber nicht den Interessen der Eliten auf der Krim. Denn, wie der Verfasser mit Verweis auf die Erfahrungen aus der postsowjetischen Wirklichkeit urteilt, im Wettstreit zwischen politischen Prinzipien und finanzieller Bereicherung trage immer das Geld den Sieg davon. Auch die Integration der Krimtataren sieht Rjabuškin als ein stabilisierendes Element – und einen Garanten für die Zugehörigkeit der Krim zur Ukraine.

Etwas anders gestaltete sich die Entwicklung im Gebiet Nikolaev, in dem sich nicht nur in den großen Betrieben der Schiffbauindustrie die alten Eliten halten konnten und die linken Kräfte die Wahlen dominieren. Dies war auch während der Orangenen Revolution der Fall, als Janukovyč sich auf die russischsprachige Wählerschaft des Gebietes sowie die „Industriebarone“ verlassen konnte, die an engen Wirtschaftskontakten mit Russland weiter festhalten wollten. Ideologische Aspekte spielten und spielen dabei keine Rolle. Denn während in dem Gebiet bis zur Präsidentenwahl von 2004 P. Symonenkos Kommunistische Partei der Ukraine als stärkste Kraft aus Wahlen hervorzugehen pflegte, änderte sich dies mit der Alternative Janukovyč, zu dessen Partei der Regionen sich die meisten Direktoren der Großbetriebe bekannten. Daher war auch für deren Belegschaften die neue Partei attraktiv geworden. Diese wurde darüber hinaus vor allem auch als Garant gegen Ukrainisierungsversuche und als Wahrerin der russischen Sprache wahrgenommen, wie Jacunskajas Ausführungen klar werden lassen.

Versucht man ein Fazit, so scheinen die Wandlungsprozesse auf der Krim grundlegender als im benachbarten Gebiet Nikolaev, ungeachtet der Tatsache, dass dort das am Ende der UdSSR bestehende Einparteiensystem durch das Nebeneinander von inzwischen 106 Parteien (S. 239) abgelöst worden ist.

Die Untersuchungen werden durch die Wiedergabe von Wahlergebnissen sowie durch biographische Skizzen der Politiker und ihrer Karrieren seit sowjetischer Zeit gestützt und veranschaulicht. Außerdem findet man Chronologien der wichtigsten Ereignisse und ein Verzeichnis der Massenmedien des Gebietes Nikolaev mit Angaben über Herausgeber und Auflagenhöhe. Aber anders als etwa die Ausführungen über die Krim beschränken sich die Darlegungen Jacunskaja auf eine eher deskriptive Aufreihung von Ereignissen, Zahlen und Beobachtungen. Dem vom Herausgeber erhobenen Anspruch, das undifferenzierte Bild vom Süden der Ukraine als Bollwerk linker, antiukrainischer Kräfte aufzubrechen, wird die ansprechend aufgemachte Publikation zumindest in Ansetzen gerecht.

Rudolf A. Mark, Lüneburg

Zitierweise: Rudolf A. Mark über: Regiony Ukrainy. Chronika i rukovoditeli. T. 3: Krym i Nikolaevskaja oblast’. [Die Regionen der Ukraine. Chronik und Führer. Bd. 3: Krim und oblast’ Nikolaev.] Naučnyj redaktor Kimitaka Macuzato. Sapporo: Slavic Research Center Hokkaido University, 2009. 256 S. Abb. = Slavic Eurasian Studies No. 20. ISBN: 978-4-938637-50-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Mark_Regiony_Ukrainy.html (Datum des Seitenbesuchs)

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