Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Peter Oliver Loew

 

Solidarität mit Polen. Zur Geschichte und Gegenwart der deutschen Polenfreundschaft.  Hrsg. von Marion Brandt. Frankfurt a.M. [usw.]: Peter Lang, 2013. 245 S., 1 Tab., Abb. = Colloquia Baltica. Beiträge zur Geschichte und Kultur des Ostseeraums, 25. ISBN: 978-3-631-64408-9.

Inhaltsverzeichnis:

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Polenfreundschaft war in Deutschland selten eine Einstellung, die große Teile der Eliten oder der Gesamtbevölkerung teilten, und daran hat sich wohl bis heute wenig geändert. Die in Danzig lehrende Germanistin Marion Brandt hat nun einen Sammelband herausgegeben, der sich mit einigen zentralen Topoi und Personen des deutschen Polendiskurses im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigt. Dabei handelt es sich um die Ergebnisse eines Seminars an der Academia Baltica, die sich nicht ausschließlich an ein fachwissenschaftliches Publikum richten. Und so bietet sich der Band auch einer breiteren „bildungsbürgerlichen“ Leserschaft zur gewinnbringenden Lektüre an, zumal einige Autoren einschlägiger Monographien hier praktischerweise Kurzfassungen ihrer Arbeiten beisteuern.

Gut die Hälfte der elf Beiträge beschäftigt sich mit dem 19. Jahrhundert. Isabel Rös­kau-Rydel erörtert die Beteiligung deutschstämmiger Galizier am Novemberaufstand 1830/31, einer Gruppe, deren Größe sie auf etwa 100 bis 150 Personen schätzt, von denen einige wie Joseph von Reitzenheim sogar mit den „geschlagenen Helden“ ins Pariser Exil zogen. Zu dieser Zeit hatte sich die deutsche liberale Öffentlichkeit bereits für den polnischen Freiheitskampf begeistert, worüber Gabriela Brudzyńska-Němec am Beispiel der immerhin 31 Polenvereine im Großherzogtum Baden 1831/32 schreibt, deren Mitglieder Berichte, Gedichte und Broschüren verfassten, Geld und Arznei sammelten und Scharpien zupften. Doch selbst im liberalen Baden ordneten die Behörden noch im Jahr des Polendurchzugs 1832 die Auflösung der Vereine an. Wie sehr die Ereignisse in Kongresspolen deutsche Dichter und Denker bewegten, schildert Karol Sauerland in einem schönen Text am Beispiel Ludwig Börnes und Heinrich Heines. Während sich Börne entsetzt über den aussichtslosen Kampf der Polen äußert („Nicht wie Menschen, wie Kriegsgötter selbst haben die Polen gekämpft“, S. 69), hat Heine für die deutschen Polenschwärmer wenig übrig. 1840 spottet er in seinem Börne-Buch über die Polen, die „ritterlichen Dummköpfe“ (S. 73). Die in der rasant wachsenden multiethnischen Industriestadt Lodz lebenden Deutschen sahen das differenzierter. Frank M. Schuster erklärt ihr Zögern, sich dem Aufstand anzuschließen, vor allem mit der vorherrschenden lutherischen Konfession und ihrer Staatsloyalität, auch wenn sich diese Einstellung bald zu verändern begann. Jedenfalls sei festzustellen, „dass eine klare Trennlinie zwischen Anhängern und Gegnern des Aufstandes nicht zu ziehen ist“ (S: 89); mithin sei auch der von der Forschung gerne postulierte deutsch-polnische Gegensatz unter der Bevölkerung sehr differenziert zu betrachten und unter dem Begriff der „situativen Identität“ (S. 99) zu diskutieren.

Die ambivalente Haltung der deutschen Sozialdemokratie zu Polen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs behandelt Krzysztof Rzepa in seinem kenntnisreichen Beitrag. Unterstützung des Widerstands gegen die Teilungsmächte, Ablehnung oder Zustimmung zum Kampf um den eigenen Nationalstaat, Furcht vor billiger Konkurrenz für deutsche Arbeiter und Enttäuschung über das mangelnde Interesse bei den Arbeitsmigranten – je nach Zeitraum, politischen Umständen und Persönlichkeiten changierten die Einstellungen. Weniger komplex ist das Interessengebiet Barbara Widawkas: Sie untersucht die Briefwechsel der beiden Polen-Historiker Richard Roepell und Jacob Caro mit polnischen Gelehrten und will darin „signifikante Zeugnisse eines deutsch-polnischen Kulturtransfers“ (S. 142) erkennen. Allerdings ist nicht jede Korrespondenz gleich ein Kulturtransfer, und die Autorin verharrt bei ihren Befunden auf einer überwiegend deskriptiven Ebene.

Die Thorner Germanistin Maria Gierlak entreißt die Polen-Korrespondenzen des katholischen Journalisten Carl-Oskar von Soden aus den Jahren 1925 und 1926 der Vergessenheit. Von Soden gelangt zu dem für die Zeit bemerkenswerten Schluss, dass Deutschland mit seiner rabiaten antipolnischen Propaganda eine Mitverantwortung für die Zukunft Polens habe: „Von uns hängt es ab, ob in Polen die nationalistische oder die europäische Atmosphäre auf Dauer die Oberhand erhält.“ (S. 156) Auch seine Bemerkungen über den polnischen Katholizismus und über den romantischen Charakter der Kresy-Mythologie sind aufschlussreich.

Während in den zwanziger Jahren deutsche Polenfreunde kaum mit der Zustimmung großer Kreise rechnen konnten, gehörte er seit dem deutsch-polnischen Nichtangriffsabkommens von Anfang 1934 für einige Jahre zum guten Ton. Karina Pryt fasst in ihrem Aufsatz zentrale Befunde ihrer fundamentalen Arbeit zu den deutsch-polnischen Kulturbeziehungen während der Entspannungsjahre (Karina Pryt: Befohlene Freundschaft. Die deutsch-polnischen Kulturbeziehungen 1934–1939. Osnabrück 2010. = Einzelveröffentlichtungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau, 22) zusammen und macht deutlich, wie instrumental die „Normalisierung“ der Beziehungen von Berlin aus behandelt wurde. Das Ziel, das allen gemeinsamen Filmprojekten, Konzerttourneen, Ausstellungen und Sportwettkämpfen aus deutscher Sicht eigen war, lautete so, wie Pryt es für die Aufgaben des 1935 gegründeten Deutsch-Polnischen Instituts formuliert: „Die Nachbarn sollten sich dem deutschen Einfluss willig öffnen und sich diesem im Laufe der Zeit unterwerfen.“ (S. 187)

Kurz vor seinem frühen Tod hielt Ludwig Mehlhorn – eine wichtige Persönlichkeit der DDR-Opposition und der deutsch-polnischen Verständigung – einen Vortrag über „alternative Polenfreundschaft in der DDR“, der im vorliegenden Band dokumentiert wird: Anhand persönlicher Erinnerungen schildert er die Lernprozesse ostdeutscher Bürgerrechtler in Bezug auf Polen – dass es „keine Freiheit ohne Solidarität“ gebe, man „über die Grenzen des Kompromisses in der Diktatur“ (S. 200) nachdenken müsse und eine demokratische Opposition im autoritären Staat tatsächlich funktioniere. Dass diese Auffassungen auch unter kritischen DDR-Intellektuellen keineswegs mehrheitsfähig waren, zeigt Marion Brandt in ihrem Text über die Einstellung deutscher Schriftsteller zur „Solidarność“: Fast kein ostdeutscher Autor habe sich mit der Gewerkschaftsbewegung beschäftigt (Ausnahme: Volker Braun); erst gegen Ende der achtziger Jahre begann sich dies zu ändern. Anders verhielt es sich in der Bundesrepublik, nicht wegen ausgebürgerter DDR-Schriftsteller (Biermann, Kunze), sondern auch dank Persönlichkeiten wie Heinrich Böll oder Günter Grass.

Kazimierz Wóycicki beschließt den Band mit einem sehr klugen Text über Freundschaft und Interessen in den deutsch-polnischen Beziehungen nach 1989: Seine Beobachtungen über Interessenkonvergenzen, aber auch fundamental verschiedene Erinnerungskulturen und das sich daraus ableitende oft falsche Verständnis des Nachbarn (der vielfach an den eigenen Erfahrungen gemessen wird) sind aufschlussreich und können auch in der Gegenwart dazu beitragen, deutsch-polnische Verwerfungen zu verstehen. Vor allem aber macht Wóycicki noch einmal deutlich, wie wenig man in Deutschland – trotz aller Polenfreunde – eigentlich über Polen weiß, und konstatiert, dass es in Polen eigentlich auch nicht viel besser um ein realistisches Bild von Deutschland bestellt ist: Diese „Monologe ohne Dialog“ (S. 235) in den historischen Erzählungen vom anderen aufzubrechen, sei eine Herausforderung für beide Gesellschaften wie auch für alle, die sich heute und in Zukunft für das Zusammenwirken beider Länder einsetzen: „Guter Wille allein genügt nicht.“ (S. 239)

Peter Oliver Loew, Darmstadt

Zitierweise: Peter Oliver Loew über: Solidarität mit Polen. Zur Geschichte und Gegenwart der deutschen Polenfreundschaft. Hrsg. von Marion Brandt. Frankfurt a.M. [usw.]: Peter Lang, 2013. 245 S., 1 Tab., Abb. = Colloquia Baltica. Beiträge zur Geschichte und Kultur des Ostseeraums, 25. ISBN: 978-3-631-64408-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Loew_Brandt_Solidaritaet_mit_Polen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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