Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 1 (2011), 2 Rezensionen online

Verfasst von: Kolja Lichy

 

Formierungen des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa. Hrsg. von Evelin Wetter. Stuttgart: Steiner, 2008. 423 S., 81 Abb. = Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, 33. ISBN: 978-3-515-09131-2.

Das Thema „Raum“ hat sich in den letzten Jahren als eine der dominanten Moden der deutschen Geschichtswissenschaften etabliert. Ganz in diesem Sinne fühlt sich auch der vorliegende Sammelband von Evelin Wetter dem geschichtswissenschaftlich weithin rezipierten relationalen Raumbegriff der Soziologin Martina Löw verpflichtet. Es gehe, so Wetter in ihrer Einleitung, um einen von Akteuren geschaffenen Raum, der sich durch das Ineinandergreifen von materiellem Gestalten, aus der Raumnutzung resultierenden Aktionen und Raumdiskursen definiere. In Bezug auf die forschungsstrategische Eingrenzung des behandelten historischen Großraumes geht es der Herausgeberin nicht zuletzt unter Berufung auf Oskar Halecki um Ostmitteleuropa als multiethnische und multikonfessionelle Region, die durch ein besonderes Ständemodell gekennzeichnet sei. Um es gleich vorwegzunehmen, liegt hier einer der Angriffsflächen, die der Sammelband dem Rezensenten sicherlich immer bieten kann. Zwar sind mit Polen, Ungarn, Böhmen und einem deutlichen Schwerpunkt auf Siebenbürgen alle klassischen Beispielfälle des als Ostmitteleuropa identifizierten Konstrukts vertreten. Eine eigene Reflexion hätte jedoch etwa die – durchaus legitime – Aufnahme des Kurfürstentums Brandenburg verdient. Auch wenn bei der Begriffswahl des ‚konfessionellen‘ Raumes eine Konzentration auf die verschiedenen christlichen Raumbildungen nachvollziehbar ist, scheint als ein Manko das – möglicherweise der haleckischen Überprägung geschuldete – Ignorieren der Orthodoxie. Gerade in Bezug auf die Forschungsergebnisse der jüngsten Zeit etwa zu Polen-Litauen hätte sich hier das heuristische Potential des Konfessionalisierungsparadigmas tiefergehend austesten lassen. Neben einigen wenigen Beiträgen zu katholischen Räumen stellt der weit überwiegende Teil der Beiträge sogar nur die Frage nach der Konstituierung lutherischer oder reformierter Konfessionsräume.

Der Sammelband gliedert sich in die drei Großabschnitte Kirchenraum und Liturgie, Stadtraum und territorialer Raum. Eine dominante Analyseperspektive, die sich durch den gesamten Band zieht, bildet jedoch die Untersuchung von Kirchenbauten im Rahmen unterschiedlicher Bezüge. In seinen allgemeinen Überlegungen zum lutherischen Kirchenraum streicht Volker Leppin heraus, die Reformation habe mit ihrer Reduktion der Zahl der Messen, mit der Betonung des Wortes, der Abschaffung von Seitenaltären und der Heiligenverehrung und mit dem neuen theologischen Verständnis des Abendmahls, also mit ihrer „Beseitigung von Orten der Heiligkeit“ (S. 39), den Kirchenraum einerseits desakralisiert wie zugleich durch eine Absonderung aus dem Alltagsleben mit einer neuen Dimension von Sakralität aufgeladen. Dieses idealtypische Verständnis des lutherischen Kirchenraums stellt sich in der konkreten Konstitution neuer konfessioneller Raumdispositionen weitaus komplexer dar, wie in den Beiträgen von Edit Szegedi, Ulrich A. Wien, Maria Crăciun und Kin­ga German über Siebenbürgen, den Überlegungen von Maria Deiters und Agnieszka Gąsior zu Brandenburg, von Marcin Wisłocki zu Hinterpommern und von Jan Hara­si­mowicz zum schlesischen Herzogtum Brieg deutlich wird. Als ein roter Faden zieht sich dabei durch den Großteil der Beiträge die Frage nach der Abgrenzung der Lutheraner von den Katholiken wie Reformierten. Besonders eindringlich wird dies etwa durch Maria Crăciun dargestellt, die zeigen kann, dass im Fall Siebenbürgens rechtlich-politische Notwendigkeiten wie auch konfessionelle Motive gleichermaßen zu einer besonders scharfen Trennlinie zwischen Lutheranern und Reformierten führten. Immer wieder wird dabei in zahlreichen Beiträgen die Umwandlung vorhandenen altgläubigen Kirchenraums für die Zwecke evangelischer Gemeinden thematisiert. In diesem Zusammenhang führt beispielsweise Kai Wenzel anhand des Görlitzer Heiligen Grabes vor, wie eine Kultstätte spätmittelalterlicher Frömmigkeit unter veränderten theologischen Auspizien erfolgreich in eine lutherische Wallfahrtsstätte umgedeutet werden konnte.

In Wenzels Beitrag wird auch die Schaffung einer neuen – reformatorischen – Topographie der Stadt Görlitz plastisch greifbar. Die Neuschaffung konfessioneller Räume, insbesondere die Neudefinition von Stadtraum durch die Zerstörung oder Neuerrichtung von Gebäuden, wird daneben in den Beiträgen von Agnieszka Madej-Anderson und Stefan Samerski über Krakau beziehungsweise Danzig nachgezeichnet. Das Beispiel Krakau wie besonders auch Anna Ohlidals Überlegungen zum Prozessions­wesen in Prag verdeutlichen darüber hinaus die Bedeutung der performativen konfessionellen Besetzung von Raum, bei der eine gewisse Überlegenheit des Katholizismus konstatiert werden kann.

In nahezu allen Texten schält sich als entscheidende weitere Komponente die rechtliche Situation der Konfessionen heraus, die an sich raumbildend wirkt, wie Juliane Brandt am Beispiel Ungarns im 17. und 18. Jahrhundert deutlich macht. Dass die frühneuzeitliche Ausbildung konfessioneller Räume dabei quer zu heutigen nationalstaatlichen Grenzen und mithin auch zu den traditionellen Nationalhistoriographien steht, wie Krista Zach betont, zeigt sich ebenso im Beitrag von Norbert Spannen­ber­ger über die Konfessionsbildung unter den Grenzsoldaten im osmanischen Grenzraum Ungarns.

Während Krista Zach das Wechselspiel zwischen konfessioneller Raumbildung durch Akteure vor Ort und die Raumdefinition durch den Vatikan quasi aus einer Außensicht aufzeigt, beschäftigt sich Petr Hlaváček mit der Definition Böhmens als christianitas im Verhältnis zu Europa im Kontext des Hussitismus. Der fließende Charakter von Großraumdefinitionen tritt an diesem spätmittelalterlichen Beispiel klar zutage, eine Problematik, die sich angesichts der Ergebnisse dieses Bandes für gegenwärtige Großraumkonzepte wieder einmal aufdrängt. Kann man sich angesichts der allgemeinen und durch ihren Außenblick auf Ostmitteleuropa letztlich mindestens implizit vergleichenden Beiträge von Volker Leppin, Peter Johanek und angesichts des abschließenden Kommentars von Andrew Spicer doch die Frage stellen, ob sich im Hinblick auf konfessionelle Räume wirklich eine Reihe ostmitteleuropäischer Besonderheiten herausarbeiten lässt. So regt der vorliegende Band in der Breite des Spektrums seiner Beispiele zu weiteren systematischen Überlegungen an. Trotz der Fülle an unterschiedlichen Einzelfällen ziehen sich durch die Beiträge durchweg ähnliche oder komplementäre Fragestellungen und es gibt vergleichbare Ergebnisse, was ein erstaunlich kohärentes Tableau erzeugt. Es wäre zu begrüßen, wenn durch zukünftige Forschungen überprüft würde, ob sich dieses Bild durch weitere regionale und konfessionelle Beispiele verändern würde.

Der Sammelband ist dankenswerterweise mit einem Anhang aus Abbildungen und mit Namens- und Ortsregistern versehen. In Anbetracht der redaktionellen Linie bei der Namens- und Ortsschreibung, die historisch-politisch korrekt alle nationalsprachlichen Versionen von Namen aufführen will, wäre allerdings eine konsequente Einhaltung dieser Richtlinie dann auch in allen Beiträgen wünschenswert gewesen.

Kolja Lichy, Gießen

Zitierweise: Kolja Lichy über: Formierungen des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa. Hrsg. von Evelin Wetter. Franz Steiner Verlag Stuttgart 2008. = Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa, 33. ISBN: 978-3-515-09131-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Lichy_Formierungen_des_konfessionellen_Raumes.html (Datum des Seitenbesuchs)

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