Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Ruth Leiserowitz

 

David Doellinger: Turning Prayers into Protests. Religious-Based Activism and its Challenge to State Power in Socialist Slovakia and East Germany. Budapest, New York: Central European University Press, 2013. XIII, 288 S. ISBN: 978-615-5225-78-9.

Der Autor legt eine vergleichende Studie vor, die kirchlich-oppositionelle Aktivitäten in der Slowakei und der DDR vor 1989 untersucht. Das Werk baut auf sieben thematisch gegliederten Kapiteln auf, die einer chronologischen Logik folgen und jeweils mit einer kurzen Zusammenfassung schließen. Als erstes erläutert der Autor die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Staat und Kirche in den beiden Ländern. Dann geht er der Frage nach, wo sich Freiräume entfalten konnten, und beschreibt ostdeutsche Phänomene wie die „Bausoldaten“ und „Aktion Sühnezeichen“. Das dritte Kapitel befasst sich mit selbstgefertigten Publikationen (Samisdaten) und informellen Netzwerken in den jeweiligen kirchlichen Sphären, und im vierten geht der Autor der Konstruktion von neuen öffentlichen Räumen nach, wobei Pilgerfahrten, aber auch Formen kirchlicher Friedensarbeit im Mittelpunkt stehen. Der darauffolgende Abschnitt, der auch namensgebend für das Buch war, behandelt den Übergang von religiösen Betätigungen zu Protesthandlungen. Ein sechstes Kapitel beleuchtet Graswurzelaktivitäten in den jeweiligen Ländern, und das siebente mündet in die Darstellung der Ereignisse des Jahres 1989.

In seiner Einleitung stellt Doellinger dar, dass er davon ausgehe, dass die Kirchen ein wichtiges Element im Geschichtsverlauf darstellen können, und zieht als Beispiel hierfür Polen heran (S. 3). Auch die geheime Kirche in der Slowakei habe eine wichtige Rolle in der Historie ihres Landes gespielt (S. 3), innerhalb ihrer Strukturen seien regelmäßig Einladungen an Gemeindemitglieder zu (inoffiziellen) Bibelkreisen und anderen spirituellen Aktivitäten erfolgt. In ähnlicher Weise veranstaltete die evangelische Kirche in der DDR  Friedensgebete, die durchaus auch Personen, die keine Kirchenmitglieder waren, anzogen. Durch die Glaubensgemeinden in der DDR und der Slowakei entstanden so in den jeweiligen Staaten Schutzräume, in denen weitgehend unbehelligt vom Staat Kritik geäußert werden konnte (S. 5). Der einzige große Unterschied zwischen den beiden Vergleichsgrößen, meint Doellinger, sei gewesen, dass es sich um zwei unterschiedliche Glaubensrichtungen und zweierlei Arten der Beziehung zwischen Kirche und Staat gehandelt habe: In der Slowakei waren es Christen der katholischen Kirche, die sich für Religionsfreiheit einsetzten, in der DDR Angehörige der evangelischen Kirche, die sich für friedenspolitische Aktionen engagierten (S. 6). In der Slowakei waren etwa 60 Prozent der Bevölkerung katholisch, und die geheime katholische Kirche in der Slowakei stellte die größte Untergrundkirche dar (S. 6). Doellinger beziffert die Zugehörigkeit der DDR-Bürger zur Evangelischen Kirche Deutschlands für die frühen achtziger Jahre auf etwa die Hälfte der DDR-Bevölkerung (S. 6.), womit er absolut zu hoch gegriffen hat. Im Gegensatz zur katholischen Kirche in der Slowakei, die im Untergrund agieren musste, genoss die evangelische Kirche in der DDR einen offiziellen Status als Institution. Während die Bürger in der Slowakei zunächst für Religionsfreiheit kämpften, engagierten sich Gläubige in der DDR für andere Themen wie Umweltschutz oder friedensbewahrende Maßnahmen (S. 8). In der Slowakei wurden die Aktionen der religiösen Bewegungen streng überwacht und zahlreiche Priester gerieten in Haft (S. 23). Nachdem immer mehr Glaubensanhänger festgenommen worden waren, bildete sich zwischen 1960 und 1968 ein Netzwerk im Untergrund. Auch die Priesterausbildung erfolgte in der Illegalität (S. 36–41). In der DDR bildeten sich derweilen Aktivistengruppen, die als Untergruppen von Gemeinden den Schutz der Institution genossen, „unter das Dach der Kirche“ standen. Unter anderem gründete sich die Gruppe „Aktion Sühnezeichen“, die das Ziel hatte, mittels verschiedener Projekte zur Tilgung der Schuld am Zweiten Weltkrieg beizutragen (S. 50). Die Wahl von Papst Johannes Paul II. im Jahr 1978 gab vielen Gläubigen in der Slowakei neue Hoffnung, denn sie dachten, dass dieser Kenner der kirchlichen Situation im Staatssozialismus sich auch für die Rechte der Katholiken in ihrem Land einsetzen würde (S. 102). Sie veranstalteten zahlreiche Pilgerfahrten, um andere Christen zu treffen, die Lage zu diskutieren und auch um zu demonstrieren (S. 109). Im Folgenden kämpften gläubige Slowaken immer stärker für Religionsfreiheit, stellten Petitionen zusammen und initiierten Demonstrationen (S. 161). Auch in der DDR traten evangelische Christen deutlicher aus dem Schutz und Schatten der Kirche hervor, um sich in der Öffentlichkeit politisch zu betätigen (S. 170).

Im November 1989 erreichte die katholische Kirche mit der Revolution endlich auch ihre Legitimation in der Slowakei (S. 224). Mit den Montagsdemonstrationen bildete die evangelische Kirche in der DDR ein wichtiges Element in den revolutionären Momenten. Durch die Demonstrationen entstand eine Brücke zwischen der Kirche und der Straße (den Bürgern) (S. 225). Doellinger meint, die Tatsache, dass die Bewegungen zuletzt so große Erfolge gefeiert hätten, sei zu großen Teilen der Mobilisierung der Massen und der Entstehung zahlreicher revolutionärer Bewegungen zu verdanken gewesen (S. 228).

Der Vergleich, den der Autor in seinem Werk ziehen will, wirkt äußerst problematisch und konstruiert. Doellinger vergleicht zwei kirchliche Institutionen bzw. Bewegungen, die nicht nur einen unterschiedlichen Ausgangspunkt hatten, sondern auch verschiedene Ziele anstrebten. Während die Glaubensgemeinden in der Slowakei um ihre Existenz bzw. ihre Anerkennung und Legitimation kämpften, verfügten die Christen in der DDR bereits über einen gewissen Status. Die evangelischen Kirchengemeinden der DDR hatten dadurch eine komplett andere Ausgangssituation als die katholischen Gemeinden in der Slowakei. Daher ergaben sich logischerweise auch unterschiedliche Zielsetzungen. Die katholischen Kirche in der Slowakei kämpfte um Religionsfreiheit, die evangelische Gemeinde der DDR konnte sich anderen Themen widmen, die häufig über die strikt religiösen Grundbedürfnisse hinausgingen, wie Aktivitäten der Friedensbewegung im Rahmen der Abrüstungsdebatten, der Aufarbeitung der Vergangenheit des Zweiten Weltkriegs und zivilgesellschaftlichem Engagement. Doellinger vergleicht somit eine Bewegung, die überhaupt erst den Weg aus dem Untergrund finden musste, mit einer, die in der Öffentlichkeit eine gewisse Position besaß und die der Staat auch nicht völlig ignorieren konnte. Dieser ungleiche Vergleich wird im Fazit Doellingers deutlich, wenn er schreibt: „If the transition from prayers to protests were compared to running a race, the Slovak activists ran a marathon and the East German activists ran a relay race.“ (S. 231).

Doellinger stellt zwar die Situation in der Slowakei und der DDR in Bezug auf unterschiedliche Aspekte wie zum Beispiel Publikationen nebeneinander dar, doch der eigentliche Vergleich fällt am Ende der Kapitel immer sehr kurz aus. Nach der Lektüre des gesamten Werkes scheint der Fokus zudem eher auf den Geschehnissen in der DDR zu liegen. Während der Leser hier zahlreiche und detaillierte Informationen erhält, ist die Beschreibung der Situation in der Slowakei von einer gewissen Redundanz geprägt. Vor allem verwundert, dass das abschließende Kapitel The Revolution of 1989, das den Höhepunkt der Proteste in der DDR und der Slowakei beschreibt, das kürzeste Kapitel im Buch darstellt. Auf gerade einmal 12 Seiten wird gerafft zusammengefasst, wie die katholischen Gemeinden in der Slowakei endlich ihre öffentliche Akzeptanz erreichten und wie die evangelische Kirche in der DDR mit dem Mauerfall umging. Ebenfalls zu knapp wird der Kontext der katholischen und evangelischen Kirche zu Beginn der Darstellung beschrieben. Wie sah die Situation der evangelischen und katholischen Glaubensgemeinschaft während der Zeit des Nationalsozialismus aus, welche politischen und sozialen Positionen hatten sie besetzt und welche Auswirkungen hatten diese Verortungen auf die Zeit nach 1945?

Turning Prayers Into Protests bietet äußerst interessante Einblicke in das Leben der Glaubensgemeinschaften in der Slowakei und der DDR. Durch den ungleich gewichteten Vergleich werden viele Aspekte jedoch zu oberflächlich beleuchtet und zu kurz erläutert. Vielleicht hätte die Untersuchung der kirchlichen Entwicklungen in einem Staat eine Darstellung mit größerer Tiefenschärfe ergeben.

Ruth Leiserowitz, Warschau

Zitierweise: Ruth Leiserowitz über: David Doellinger: Turning Prayers into Protests. Religious-Based Activism and its Challenge to State Power in Socialist Slovakia and East Germany. Budapest, New York: Central European University Press, 2013. XIII, 288 S. ISBN: 978-615-5225-78-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Leiserowitz_Doellinger_Turning_Prayers_into_Protests.html (Datum des Seitenbesuchs)

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