Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Ruth Leiserowitz

 

Rudolf Agstner: Von Kaisern, Konsuln und Kaufleuten. Österreich und die Ukraine 1785–2010 – Pro Cisariv, konsuliv i kupciv. Avstrija i Ukrajina 1785–2010. Berlin, Münster, Wien [usw.]: LIT, 2011. 409 S., Abb. = Forschungen zur Geschichte des österreichischen Auswärtigen Dienstes, 3. ISBN: 978-3-643-50335-0.

Der Autor und studierte Historiker war von 1977 bis 2009 im diplomatischen Dienst der Republik Österreich und lehrt gegenwärtig am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Er hat eine Reihe von Publikationen über die Geschichte österreichisch-ungarischer und österreichischer diplomatischer Einrichtungen verfasst. Das hier zu besprechende Werk ist ein erster Band, dem im Jahr 2012 ein zweiter unter dem ThemaDie k.u.k. Konsulate in Arabien, Lateinamerika, Lettland, London und Serbienfolgte, der ebenfalls in der Reihe Reihe:Forschungen zur Geschichte des österreichischen Auswärtigen Diensteserschienen ist. Diese Arbeit ist Teil eines großen Projektes, innerhalb dessen die Geschichte der Konsulate der habsburgischen Erblande, des Kaiserreiches Österreich bzw. Österreich-Ungarns aufgearbeitet werden soll. Der Autor stellt sich in dem vorliegenden Band die Aufgabe, die Präsenz Österreichs in der Ukraine seit 1785 nachzuzeichnen, in einem weiteren umfangreichen Kapitel der Geschichte verschiedener Konsulate in Brody, Czernowitz und Lemberg zwischen 1816 und 1918 nachzugehen sowie die Geschichte der diplomatischen Vertretungen der 1. österreichischen Republik und die der österreichischen Vertretungen in der Ukraine seit 1991 zu dokumentieren. Damit will er die These untermauern, dass Österreich seit Jahrhunderten mit diesem Raum historisch, wirtschaftlich und kulturell eng verbunden ist.

1718 wurde in Passarowitz zwischen den Unterhändlern Kaiser Karls VI. und Sultan Selims III. ein Handels-und Schifffahrtsvertrag abgeschlossen, auf dessen Basis die Habsburger in Hafenorten des Osmanischen Reiches Konsule ernennen konnten. Damit begann das k.k. Konsularwesen, das sich laut Agstner von Anfang an auf Honorarkonsuln stützte. Da in der Mehrzahl fremde Kaufleute die Konsularpflichten übernommen hatten, diesen aber häufig nur ungenügend nachkamen, woraus sich eine Fülle verschiedener Probleme ergab, kam es nach 1815 zu einer ersten Reform des österreichischen Konsularwesens, der weitere folgten, bis 1859 das Konsularwesen dem Außenministerium unterstellt wurde und nach dem Ausgleich von 1867 unter dem gemeinsamen Titel österreichisch-ungarisch firmierte und neu hierarchisiert wurde. Seit 1784 hatten die Konsuln auch eine Uniform zu tragen. Ihre Aufgabe bestand in der Förderung des Exports, der Unterstützung der heimischen Schiffe sowie darin, ihre Staatsbürger zu beschützen und betreuen. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden alle k.k. Konsulate in der Ukraine geschlossen. In der Republik Österreich wurde das Netz der Konsulate drastisch verkleinert, bis diese 1938 geschlossen wurden. Seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Österreich und der Ukraine 1992 existieren wieder österreichische Vertretungsbehörden in Kiew und Lemberg.

Die quellengesättigte Darstellung behandelt viele unterschiedliche Aspekte des Konsularlebens. Es geht um die Bewerbung verschiedener Personen für den Posten und deren wirtschaftliches Profil. In diesem Zusammenhang werden auch Fragen des Gehalts, der Anmietung von Räumlichkeiten und ähnliche Themen behandelt. Wichtig sind vor allem die Berichte über den Handelsverkehr gerade aus der Hafenstadt Odessa, stellten doch die Schwarzmeerschifffahrt und der Getreidehandel in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine der ergiebigsten Erwerbsquellen Österreichs dar. Der Autor liefert hier mit Zitaten aus Ladelisten u.ä. interessante Splitter wirtschaftsgeschichtlicher Quellen, die es sich bestimmt lohnt unter weiteren Gesichtspunkten umfassend auszuwerten. Am Rande eröffnet Agstner auch weitere Blicke auf konsularische Betätigungsfelder. So sorgte der Generalkonsul Cischini zum Beispiel 1854 für die in Odessa stationierten französischen Kriegsgefangenen und erwarb sich dadurch Verdienste bei der französischen Regierung.

In dem Kapitel, das die Geschichte anderer fremder Konsulate in der Ukraine darstellt, verwendet der Autor ausschließlich österreichische Quellen, so dass hier nicht von einer Darstellung der Existenz des deutschen, französischen, russischen, britischen, belgischen usw. Konsularwesens in Brody, Czernowitz und Lemberg gesprochen werden kann, sondern von der Geschichte der Wahrnehmung dieser diplomatischen Einrichtungen durch ihre österreichischen Kollegen. Erst nach dem Inkrafttreten des Staatsvertrages von St. Germain im Juli 1920 konnte die Republik Österreich erneut diplomatische Beziehungen aufnehmen und Vertretungsbehörden einrichten. Zuvor gab es aber schon amtliche Präsenzen, beispielsweiseÖsterreichische Heimkehrer Missionendes Österreichischen Kriegsgefangenen- und Zivilinterniertenamtes, die österreichische Staatsbürger und deren Familien mit Hab und Gut aus den nun nicht mehr zu Österreich gehörenden Gebieten ins Heimatland brachten.

Gerade die Berufung von Honorarkonsuln in den multiethnischen Gebieten war nach dem Ersten Weltkrieg in den Zeiten nationalistischer Zuspitzungen äußerst schwierig, wie das Beispiel von Czernowitz zeigt. Es gab 1923 im Ort Stimmen, die nachdrücklich darauf hinwiesen,dass es dem Ansehen Österreichs Abbruch täte, wenn ein Nichtarier zum Honorarkonsulernannt werden würde. Als 1936 die Stelle erneut besetzt werden sollte, tobten derart erbitterte Kämpfe verschiedener Ethnien und Fraktionen um den Posten, dass schließlich auf eine Neubesetzung verzichtet wurde. Auch die Schilderungen über die Einrichtung des Konsulats im nun polnischen Lemberg liefern aufschlussreiche Details über die geopolitische Position Lembergs nach dem Ersten Weltkrieg. Einerseits war die österreichische Regierung überhaupt nicht daran interessiert, dem künftigen Lemberger Konsul die Passbefugnis zu erteilen, da man den Zuzug von Ostjuden unbedingt in Grenzen halten wollte. Andererseits beklagte sich 1922 der österreichische Konsul Clemens Wildner, dass die ihm dort zustehende Bezahlungnicht der Bedeutung dieses Amtsentspreche. Lemberg habe eine größere politische Bedeutung, da hier die ukrainische Bewegung im Allgemeinen und die westukrainische im Besonderen genau beobachtet werden müssten. Von Wildner sind auch Beobachtungen überliefert, wie die Polen die ukrainische Bevölkerung besonders in den östlich gelegenen Kreisen unterdrückt hätten. Von Interesse sind auch zahlreiche in dem Band dargelegte Details, wie reichsdeutsche Stellen 1938 die österreichischen Einrichtungen übernahmen. Die Schilderungen der Einrichtung diplomatischer Stellen ab 1992 sind kurz gefasst und haben rein dokumentarischen Charakter.

Insgesamt zeichnet sich der zweisprachige Band, der aus einem deutschen und einem ukrainischen Teil besteht, vor allem durch seine zahlreichen Anregungen aus, die er hinsichtlich wirtschafts-, sozial- und alltagsgeschichtlicher Aspekte des galizischen und ukrainischen Raumes liefert. Ein genaues Archiv-und Quellenverzeichnis wäre für weiterführende Studien hilfreich gewesen.

Ruth Leiserowitz, Warschau

Zitierweise: Ruth Leiserowitz über: Rudolf Agstner: Von Kaisern, Konsuln und Kaufleuten. Österreich und die Ukraine 1785–2010 – Pro Cisariv, konsuliv i kupciv. Avstrija i Ukrajina 1785–2010. Berlin, Münster, Wien [usw.]: LIT, 2011. 409 S., Abb. = Forschungen zur Geschichte des österreichischen Auswärtigen Dienstes, 3. ISBN: 978-3-643-50335-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Leiserowitz_Agstner_Von_Kaisern_Konsuln_und_Kaufleuten.html (Datum des Seitenbesuchs)

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