Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Stefan Lehr

 

Aleksandr V. Čudinov: Žil’ber Romm i Pavel Stroganov. Istorija ne­obyč­nogo so­juza [Gilbert Romme und Pavel Stroganov. Die Geschichte eines un­gewöhn­li­chen Bündnisses]. Moskva: Novoe literaturnoe obo­zrenie, 2010. 344 S. = Historia Rossica. ISBN: 978-5-86793-805-5.

Das Buch erzählt die Geschichte zweier bekannter Persönlichkeiten: die des französischen Revolutionärs Gilbert Romme (1750–1795) und des russischen Adligen Graf Pavel Stroganov (1772–1817), der als liberaler Reformer und Staatsmann an der Seite Zar Alexanders I. in die Geschichte einging. Was verband diese so unterschiedlichen Personen? Romme leitete die Ausbildung des jungen Stroganov und begleitete ihn auf Reisen. So verbrachten sie zwölf Jahre ihres Lebens (1779–1790) gemeinsam in Russland, der Schweiz und Frankreich. Ihr „ungewöhnliches Bündnis“ stellt daher einen interessanten Beitrag zu den kulturellen Beziehungen und zum Austausch zwischen Frankreich und Russland dar. Der Autor Aleksandr Čudinov ist auf diesem Gebiet ein ausgewiesener Kenner und unter anderem an einem russisch-französischen Editionsprojekt beteiligt, welches Rommes Briefwechsel betreut (A.-M. Bourdin / Ph. Bourdin / J. Ehrard [u.a.] (Hrsg.): Gilbert Romme. Correspondance. Vol. 1. T. 1 (1774–1776), T. 2 (1777–1779). Clermont-Ferrand 2006). Zudem hat er schon mehrere Studien zu beiden Protagonisten vorgelegt, die im vorliegenden Buch nun überarbeitet und erweitert vereint sind. Vom Autor erschien zuletzt außerdem eine Edition der Korrespondenzen Pavel Stroganovs und Gilbert Rommes an Pavels Vater, A. S. Stroganov, in den Jahren 1788–1790 (V. S. Ržeuckij / A. V. Čudinov: Istočniki po istorii francuzskoj revoljucii i ėpochu Napoleona. Russkie „učastniki“ Francuzskoj revoljucii, in: Francuzskij ežegodnik (2010), S. 6–98).

Der Verfasser setzt sich zunächst ausführlich mit der bisherigen Literatur zu seinen beiden Hauptfiguren auseinander. Er hat erstmalig sowohl in Russland als auch in Westeuropa mit den einschlägigen Quellen gearbeitet. Der erste Teil des Buches beschäftigt sich fast ausschließlich mit Rommes Biographie. So ist das zweite Kapitel seiner Sozialisation von der Geburt bis 1774 gewidmet, als er seine Heimatstadt Riom verließ und nach Paris übersiedelte, um dort mathematische und medizinische Studien zu betreiben. Rommes  Plan, die Laufbahn eines Gelehrten einzuschlagen, scheiterte jedoch aus unterschiedlichen Gründen, und er verdiente sich seinen Unterhalt als Hauslehrer. Sein ‚russischer‘ Lebensabschnitt in Paris begann mit seiner Freundschaft mit dem russischen Adligen A. A. Golovkin, dessen Sohn Romme Mathematik-Unterricht erteilte. Golovkin führte ihn in die gehobene Pariser Gesellschaft ein. Über diese Kontakte und durch die Zugehörigkeit zur selben Freimaurerloge ergab sich auch Rommes Bekanntschaft mit Aleksandr S. Stroganov, der ihm 1779 die Erziehung seines Sohnes anvertraute. Noch im selben Jahr übersiedelte der 29-jährige Franzose zusammen mit den Stroganovs nach Petersburg. Auch im weiteren Verlauf der Darstellung  spielt Romme eine zentrale Rolle – nun während des Aufenthaltes in Russland, wo er beispielsweise ein Manuskript über die russische Armee verfasste. Doch rückt nun immer mehr die Beziehung zwischen ihm und seinem Schüler in den Mittelpunkt. So schildert der Verfasser ihre gemeinsamen Reisen zunächst innerhalb Russlands (1781: Moskau, Nižnij Novgorod, Kazan’, Ural; 1783: Vyborg, Imatra; 1784: Karelien, Weißes Meer; 1785: Kiew) und anschließend von 1786 bis 1790 nach Genf und dann nach Paris. Dabei stützt er sich auf die vorhandenen Korrespondenzen zwischen A. S. Stroganov, dessen Sohn und Romme sowie Rommes Briefe an Freunde in Frankreich und andere Egodokumente wie Reiseberichte, aus denen er oft extensiv zitiert.

Das Buch liefert intensive Einblicke in die Ausbildung des jungen Stroganov. Romme orientierte sich an Rousseaus Lehren und begleitete seinen Schüler auf Reisen, Wanderungen usw., um ihn mit der Umwelt vertraut zu machen. Russische Lehrer unterrichteten Pavel in Russisch und in Religion. Dessen teilweise geringer Lerneifer traf bei Romme auf eine strenge Einstellung, was bald zu Konflikten zwischen beiden führte. Die Zeit während der Französischen Revolution in Paris, in der sich Romme bemühte, seinen Schüler für die revolutionären Ziele zu gewinnen, führte zu einem starken Interesse beider am politischen Geschehen. Mit der durch das  Drängen des Vaters veranlassten Rückkehr Pavels aus dem revolutionären Frankreich 1790 schließt das Buch. Ein Epilog behandelt noch kurz Rommes weiteres Engagement in der Revolution auf der Seite der Jakobiner bis zum Todesurteil über ihn im Jahre 1795. Čudinov geht dann der Frage nach, welche Bedeutung die Ereignisse und Lehren der Französischen Revolution für Pavel Stroganov hatten. So sei dieser aufgeklärt, liberal und Reformen gegenüber offen gewesen, jedoch sollten diese behutsam ‚von oben‘ geplant und erlassen werden und die Ordnung dabei aufrechterhalten bleiben.

Da es dem Autor um die zwölf Jahre des „außergewöhnlichen Bündnisses“ der beiden Männer geht, kann man kritisch fragen, warum er so ausführlich auf Gilbert Rommes Leben eingeht. Stroganovs weiteres Schicksal nach 1790 wird dagegen nur kurz behandelt. Immer wieder setzt sich der Verfasser mit der bisherigen Literatur zum Thema auseinander und zitiert ausführlich aus dieser. Solchermaßen deckt er zahlreiche faktische und interpretatorische Fehler auf. Durch die Verlagerung der langen Zitate aus Briefen und Beschreibungen in den Anhang hätte der Haupttext allerdings gestrafft werden können. Insgesamt stellt das Buch jedoch einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der französisch-russischen Beziehungen dar.

Stefan Lehr, Münster

Zitierweise: Stefan Lehr über: Aleksandr V. Čudinov: Žil’ber Romm i Pavel Stroganov. Istorija ne­obyč­nogo sojuza [Gilbert Romme und Pavel Stroganov. Die Geschichte eines ungewöhnlichen Bündnisses]. Moskva: Novoe literaturnoe obo­zrenie, 2010. 344 S. = Historia Rossica. ISBN: 978-5-86793-805-5., http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Lehr_Cudinov_Zilber_Romm_i_Pavel_Stroganov.html (Datum des Seitenbesuchs)

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