Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Jan Kusber

 

V. Ja. Grosul:  Russkoe zarubež’e v pervoj polovine XIX veka. [Auslandsrussentum in der ersten Hälfte des 19. Jh.] Moskva: Rosspėn, 2008, 703 S. ISBN: 978-5-8243-0992-8.

V. Ja Grosul’ hat ein opus magnum vorgelegt. Auf fast 700 Textseiten schildert er Personen, die Russland zeitweise oder dauerhaft in Richtung Mittel- oder Westeuropa verlassen haben. Ihre Beweggründe waren ganz unterschiedlich. Im ersten Drittel seines Buches schildert er Personen, die als Militärs etwa im Rahmen der Befreiungskriege das viel beschriebene „Europaerlebnis“ hatten, Persönlichkeiten, die Salons führten, welche in verschiedenen europäischen Städten außerhalb Russlands Anlaufpunkte für ein entstehendes „Russia abroad“ (Marc Raeff) darstellten, wohlhabende Adlige, die sich in See- und Heilbädern kurten und das warme Klima suchten. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt aber auf den dreißiger bis fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts und auf der politischen Emigration, als Bildung, Rezeption von liberalen und frühsozialistischen Ideen und einer über Bildung gewonnen Gegnerschaft zur Autokratie zur Opposition und damit zur freiwilligen oder erzwungenen Emigration führten. Dies waren Lebenswege, die dauerhafte und personenstabile russische Emigrantenmilieus entstehen ließen. Im Mittelpunkt der Untersuchungen im letzten Drittel des Buches stehen die bekannten Beispiele von Nikolaj Ogarev und Aleksandr Gerzen , deren Biographien Grosul um manche Nuancen bereichert.    

Es ist nicht ganz leicht, über dem ausgebreiteten Faktenreichtum und der Unterschiedlichkeit der Kontexte, in denen sich Grosul’s Akteure bewegen, übergreifende Interpretationslinien zu finden. Er hat eigentlich thematisch und in seinen wechselnden Erkenntnisinteressen ganz unterschiedliche Kapitel zusammengefügt. Übergreifend bleibt der Eindruck, dass er politische Emigranten, Studenten, Diplomaten und andere als Bestandteil einer russischen Kultur im Ausland betrachtet. Dazu passt, dass er eine Vielzahl von gedruckten russischsprachigen Ego-Dokumenten zitiert und zahlreiche Archivalien, die manches interessante Detail bieten. Nichtrussischsprachige Literatur findet kaum Eingang in die Studie. So geht es Grosul  nicht um Transfer- und Akkultu­rations­prozesse, die etwa unter kulturgeschichtlicher Fragestellung interessant sein könnten, und auch nicht um einen Aufschluss historischer Lebenswelten.  Klassische Ideen-, Beziehungs- und Biographiegeschichte sind leitend. Grosul selbst gibt einen prägnanten und treffenden Hinweis auf den Charakter seines Buches: Es trägt enzyklopädischen Charakter. Durch das sorgfältige und umfassende Personenregister ist es daher vor allem auch als Nachschlagewerk zu nutzen.

Jan Kusber, Mainz

Zitierweise: Jan Kusber über: V. Ja. Grosul’: Russkoe zarubež’e v pervoj polovine XIX veka. [Auslandsrussentum in der ersten Hälfte des 19. Jh.] Moskva: Rosspėn, 2008, 703 S. ISBN: 978-5-8243-0992-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Kusber_Grosul_Zarubeze.html (Datum des Seitenbesuchs)

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