Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Henner Kropp

 

California Through Russian Eyes, 1806–1848. Compiled, translated and edited by James R. Gibson. Norman, OK: University of Oklahoma Press, 2013. 492 S., 13 Abb. = Early California Commentaries Series, 2. ISBN: 978-0-87062-421-6.

Retrospektiv gehört Russlands Präsenz in Kalifornien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sicherlich zu den erstaunlichsten Episoden russischer Expansionspolitik in Nordamerika. Russlands Ausgreifen über Alaska hinaus in südlichere Gebiete des Nordpazifiks – auf die Hawaii-Inseln, an die Mündung des Columbia River und eben nach Kalifornien – ist Zeugnis der vielschichtigen und dynamischen Expansionsprozesse verschiedener Parteien, denen der nordamerikanische Kontinent bis zu seiner staatlichen Konsolidierung durch die Vereinigten Staaten von Amerika unterworfen war. Neben der im Niedergang begriffenen Kolonialmacht Spanien, dem nach Souveränität strebenden Mexiko, den zunehmend entschiedener als kontinentaler Hegemon auftretenden USA und der autochthonen Bevölkerung waren es eben auch Russen, die um Einfluss in Kalifornien konkurrierten.

Im Verbund mit US-amerikanischen Kapitänen befuhren russische Pelzjäger von Alaska aus ab 1803 zur Seeotterjagd die Küste Kaliforniens. 1806 erschien nach einer russischen Expedition die strategische Ausgangslage für einen russischen Vorstoß nach Kalifornien günstig, hatte sich doch die spanische Vorherrschaft in diesem Gebiet als fragil erwiesen. Außerdem hatte sich die prekäre Versorgungssituation der russischen Alaska-Kolonie weiter verschlechtert. Der Kolonie stand eine Hungersnot bevor und es mussten dringend Alternativen zur unzureichenden Versorgung Alaskas vom russischen Festland aus erschlossen werden. Das milde kalifornische Klima bot sich mit seinen Möglichkeiten für Ackerbau und sogar Viehzucht an. Außerdem würde sich durch einen Stützpunkt in Kalifornien auch die Möglichkeit zur Seeotterjagd in diesem Gebiet bieten. Schließlich machte die Pelzjagd die wirtschaftliche Daseinsberechtigung Russlands im Pazifik aus und immer mehr zeichnete sich ab, dass die Pelztierbestände in Alaska angesichts der starken Bejagung zurückgingen.

1811/12 errichtete die Russisch-Amerikanische Kompagnie, die mit der Verwaltung der Alaska-Kolonie betraut war, schließlich einen Außenposten an der kalifornischen Pazifikküste unweit des spanischen San Francisco: Fort Ross. Die Nähe zu spanischen Niederlassungen, die ironischerweise in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eigentlich zur Prävention einer russischen Expansion nach Kalifornien errichtet worden waren, erwies sich angesichts der nur noch wenig durchschlagskräftigen Kolonialherrschaft Spaniens wie erhofft als weitestgehend ungefährlich. Die autochthone Bevölkerung Kaliforniens stellte sich – anders als einige Stämme in Alaska – als ebenso wenig bedrohlich für die russische Siedlung heraus und wurde zu Arbeitseinsätzen auf den russischen Plantagen gezwungen. Weder die Landwirtschaft noch die Seeotterjagd erwiesen sich aber als rentabel und unter dem Eindruck der zunehmenden politischen Attraktivität der amerikanischen Pazifikküste zog sich das im Stillen Ozean auf Beschwichtigung bedachte Russland 1841 wieder aus Kalifornien zurück.

Die vorliegende Quellenedition veranschaulicht diese Themenfelder mit ausgewählten Texten. Bei dem Großteil der Texte handelt es sich um Archivalien aus russischen Beständen, einige liegen erstmals in englischer Übersetzung vor. Die 32 editierten Texte decken den Zeitraum von 1806 bis 1849 ab und setzen sich mit sehr unterschiedlichen Themen auseinander. Der Leser erfährt auf diese Weise sowohl etwas über die Lebenswelten der kalifornischen Kolonisten (Dokument 12) als auch die breiteren politischen Zusammenhänge (Dokument 26). Einige Detailstudien widmen sich sehr speziellen Aspekten, zum Beispiel der Landwirtschaft (Dokument 28) und der Viehzucht (Dokument 29). Der Band sollte also nicht als vollständige Rekonstruktion der Geschichte Russisch-Kaliforniens, sondern eher als Ergänzung zur einschlägigen Sekundärliteratur gelesen werden. Bei der großen Mehrheit der Texte handelt es sich um Reiseberichte russischer Marineoffiziere, die die Eindrücke ihres Besuches der Kalifornien-Kolonie festgehalten haben. Der Herausgeber zieht dabei einerseits prominente Figuren wie zum Beispiel Nikolaj P. Rezanov (Dokument 1) heran, räumt aber dankenswerterweise auch weit weniger bekannten Texten Platz ein wie zum Beispiel denen des Kreolen Egor L. Černych (Dokumente 27–29).

Der kanadische Historiker und Geograph James R. Gibson hat sich ohne Zweifel den Ruf des besten nicht-russischen Kenners der Materie Russisch-Amerika erworben. Seine hervorragenden Arbeiten zum Thema und seine gründliche Kenntnis der relevanten Sammlungen (nicht nur) in russischen Archiven prädestinierten ihn für die Zusammenstellung einer kommentierten Quellensammlung in englischer Sprache. Zudem konnte sich Gibson bei der Arbeit am vorliegenden Band auf Aleksej Istomin berufen, der als der beste Chronist der Geschichte Russisch-Kaliforniens gilt und die Entstehung der Publikation unterstützend begleitete.

Die hohen Maßgaben kann Gibson auch im vorliegenden Band einlösen. Die Auswahl der verwendeten Texte spricht hinsichtlich ihrer thematischen Diversität eine breite Leserschaft an und belegt die umfangreiche Recherche des Herausgebers. Die Übersetzung überzeugt durch Fehlerfreiheit und einen authentischen und ansprechenden Stil. Sein ganzes Repertoire kann Gibson bei den einleitenden Kommentaren und bei den ergänzenden Anmerkungen im Fußnotenapparat ausspielen. Hier zeigt sich die Fachkenntnis des Herausgebers am eindrucksvollsten, auch wenn der einleitende Kommentar etwas knapp geraten ist und nur die wichtigsten Aspekte der Geschichte Russisch-Kaliforniens skizziert werden. Die ausführliche Bibliographie besticht durch eine prägnante Auswahl relevanter Schriften. Einige farbige Illustrationen runden die gelungene Aufmachung des Bandes ab. Hier hätte man sich allerdings eine stärkere Berücksichtigung des umfangreichen archivierten Kartenmaterials gewünscht, denn im Band findet sich lediglich eine kartographische Darstellung der San Francisco Bay.

Unklar bleiben bei der Arbeit mit dem Band leider aber die Kriterien für die Auswahl der Texte und somit in Teilen auch die Zielsetzung der vorliegenden Publikation. Die Klärung dieser Frage scheint umso dringender, da Gibson mittlerweile im Verbund mit dem genannten Aleksej Istomin und Valerij Tiškov bereits zwei weitere, dem hier besprochenen Band sehr ähnliche Quelleneditionen vorgelegt hat: a) Rossija v Kalifornii. Russkie dokumenty o kolonii Ross i rossijsko-kalifornijskich svjazjach, 1803–1850 (Tom 1. Moskva 2005; Tom 2. Moskva 2012) sowie b) Russian California, 1803–1860. A History in Documents (Vol. 1–2. London 2014). Dass Gibson die Auswahl im vorliegenden Band nicht kommentiert, lässt den Leser irritiert zurück. Erst in Russian California begründet der Herausgeber die Auswahl der Texte knapp (Vol. 1, S. l). Angesichts des tiefen Quellenverständnisses des Herausgebers hätte sich der Leser vor allem hier eine eingehendere Begleitung durch Gibson gewünscht. Den positiven Gesamteindruck des Bandes trübt dieser eher technische Einwand aber nur bedingt.

Henner Kropp, Regensburg

Zitierweise: Henner Kropp über: California Through Russian Eyes, 1806–1848. Compiled, translated and edited by James R. Gibson. Norman, OK: University of Oklahoma Press, 2013. 492 S., 13 Abb. = Early California Commentaries Series, 2. ISBN: 978-0-87062-421-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Kropp_Gibson_California_Through_Russian_Eyes.html (Datum des Seitenbesuchs)

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