Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 7 (2017), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Peter Mario Kreuter

 

Power and Influence in South-Eastern Europe. 16th – 19th century. Ed. by Maria Baramova / Plamen Mitev / Ivan Parvev / Vania Racheva. Berlin, Münster, Wien: LIT, 2013. 451 S., Abb., Tab. ISBN: 978-3-643-90331-0.

Inhaltsverzeichnis:

http://d-nb.info/1030494037/04

 

Unter dem Titel Power and Influence in Southeastern Europe, 16th – 19th Centuries wurde im Oktober 2010 in Sofia an der Fakultät für Geschichte der dortigen Sv. Kliment-Ohridski-Universität eine internationale Konferenz abgehalten. Drei Jahre später konnten die vier Herausgeber die Frucht ihrer Bemühungen in Form des vorliegenden Sammelbandes der Öffentlichkeit präsentieren. Insgesamt 37 Beiträge, etwa die Hälfte der seinerzeit gehaltenen Vorträge, sind im zu besprechenden Band versammelt, die meisten davon eher kurz – Beiträge von zehn oder elf Seiten sind die Regel. Es war wohl die Absicht der Herausgeber, mittels der Vielzahl an Aufsätzen die Diversifiziertheit der Konferenz widerzuspiegeln. Leider bleibt dabei häufig die analytische Tiefe auf der Strecke; nicht alle Beiträge kommen über eine, wenn auch interessante, deskriptive Betrachtung ihres jeweiligen Gegenstandes hinaus.

Eingeteilt ist der Band in insgesamt sieben Abschnitte. Generell lässt sich konstatieren, dass die meisten Beiträge sich im Rahmen einer osmanisch zentrierten Betrachtung dieser Jahrhunderte bewegen, es sei denn, sie verorten ihr Thema beim Wettstreit der Imperien auf den Balkan bzw. in der Orientkrise.

Lediglich eine Handvoll Beiträge vermeiden es, Südosteuropa zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert weitgehend durch eine ‚osmanische Brille‘ zu betrachten oder den Streit der Imperien in den Vordergrund zu stellen. So wird die Donau von Maria Baramova in ihrem Beitrag Did the Danube Exist in Habsburg Power Politics in South-Eastern Europa before 1699? (S. 25–35) zum geographischen Dreh- und Angelpunkt erkoren, speziell auch die Mitteldonau. Und in der Tat ist die Frage in ihrer Überschrift reizvoll, denn wann wurde denn die „Donaumonarchie“ im politisch-strategischen Denken tatsächlich zu einer solchen? Baramova zeigt auf, dass die Donau zwar schon zu Zeiten Kaiser Karls V. ihren Platz in den politischen Konzepten und den Planungen von Feldzügen hatte. Aber erst mit der Zurückdrängung der Osmanen nach 1683 und konkret mit dem Frieden von Karlowitz 1699 wird die Donau zum Fokus einer Donaustrategie, einer genuinen Donaumachtpolitik, die vor allem die Kontrolle der Mitteldonau zum Ziel hatte (S. 35).

Ein weiterer Beitrag, der nicht der Fokussierung auf das Osmanischen Reich erliegt, stammt aus der Feder von Angelina Vacheva und trägt den sperrigen Titel The Russo-Turkish War from 1768–1774 in Eighteenth-Century Russian Poetry and the Creation of the Mythology of Power in Russia (S. 319–326). Zwar auf Russland und damit auf ein Imperium zentriert und ziemlich kurz, handelt es sich bei ihrem Aufsatz um eine Form der literarischen Ideologiekritik. Anhand mehrerer Beispiele zeitgenössischer russischer Lyrik stellt sie besonders auf die Darstellung Griechenlands als „the enslaved cradle of European civilization“ (S. 325) ab.

Ebenfalls ein wenig aus dem osmanischen Rahmen fällt der Beitrag von Stoica Lascu, Balkan Vlachs – Autonomies and Modernity (S. 191–207). An sich ein reizvolles Thema, nur schafft es Lascu, seine im Titel aufgeführten Schlagworte undefiniert zu lassen, was den Beitrag leider sehr beliebig werden lässt und noch nicht einmal das größte Übel darstellt. Denn der Beitrag strotzt nur so von Versatzstücken jener Meistererzählung über „the tragedy and the greatness of Romanian national history“ (S. 191), mit denen Teile der rumänischen Historiographie seit gut 150 Jahren hausieren gehen. Selbstredend sind die Vlachen, sind die Aromunen und die Meglenorumänen „the Southern branch of the Eastern Romanian ethnic group“ (S. 192–193), und ihre Sprachen sind nichts anderes als Dialekte des Rumänischen (S. 193). Die unter dieser Prämisse gemachten Beobachtungen sind zwar reizvoll, doch fragt man sich bei der Lektüre dennoch, ob bei einer weniger ideologiebelasteten Herangehensweise nicht die eigentlich interessanten Dinge hätten erforscht werden können – wer die Aromunen als eigenständigen Teil der Ostromania begreift, tut sich leichter, ihre sozialen Strukturen wie ihre wirtschaftliche Betätigung zu verstehen.

Der Beitrag von Viorel Panaite hingegen, „… Our Religion is Granted by Turks …“ Ottoman Sultans and Tributary Voyvodas of Wallachia and Moldavia (Sixteenth – Seventeenth Centuries) (S. 177–189), kann in seiner thematischen Ausrichtung stellvertretend für diejenigen Aufsätze stehen, die „power“ und „influence“ im Rahmen des osmanischen Staatengefüges betrachten. Panaite zeigt die großen Linien auf, denen die osmanische Beherrschung der Donaufürstentümer in Bezug auf die Fürsten und ihre Ernennung folgte. Dabei gestaltete sich die osmanische Herrschaftsausübung sehr flexibel – Phasen der Zurückhaltung, in denen der jeweils von den Bojaren bestimmte Fürst bestätigt wurde, wechselten sich mit solchen ab, in denen der Sultan sehr direkt bei der Ernennung der Fürsten eingriff. Panaite fügt dem Bild eines Reiches, das sein Herrschaftssystem völlig an aktuellen Bedürfnissen ausrichtete, eine weitere Schattierung hinzu.

Wo Panaite „osmanisch“ ist, ist Ivan Parvev mit seinem Beitrag namens Power without Influence, Influence without Power: Habsburg and Russian Influence in the Balkans in the Seventeenth to Nineteenth Centuries as a Comparison (S. 47–55) ‚imperienzentriert‘. Er ist allerdings auch der einzige, der die auch für seinen Beitrag so wichtigen Begriffe „power“ und „influence“ eingehender untersucht und definiert – „power“ ist mit militärischen Aktionen und politischen Maßnahmen konnotiert, „influence“ hingegen zielt auf wirtschaftliche Abhängigkeiten ebenso ab wie auf Beeinflussung via Kulturpolitik oder systematische ideologische Bearbeitung eines Gegenstandes (S. 48).

Was dem Band insgesamt leider fehlt, wurde bereits angedeutet. Es mangelt augenfällig an einem engeren thematischen oder auch einem theoretischen Rahmen. Jenseits der Zugehörigkeit der Beiträge zur eingangs erwähnten Konferenz und zu einem jeweils der sieben Abschnitte des Sammelbandes findet sich keine weitere werkimmanente Einordnung der Beiträge. Auch innerhalb eines Abschnitts sind sie nicht verschränkt, und ihre Anordnung entspricht nicht derjenigen der Konferenz – die Herausgeber „thought it better to divide contributions according to topic and the logic of their narratives, an approach which would allow the texts to be grouped in a more appropriate manner“ (S. 2). Leider bleibt das Vorwort der Herausgeber die Antwort schuldig, worin nun die „appropriate manner“ besteht, und man fragt sich auch, ob die Anordnung in der Konferenz selber dann less appropriate oder gar inappropriate war. Zentrale Begriffe wie „power“ oder „influence“ werden, mit der einen Ausnahme Parvev, nicht definiert und changieren daher von Beitrag zu Beitrag in ihrer Semantik. Nicht zuletzt die bei den meisten Beiträgen doch vorhandene Tendenz, bei der machtpolitischen Verortung Südosteuropas die ausgetretenen Pfade nicht zu verlassen, erweckt bei der Lektüre den Eindruck, dass hier letztlich „mehr“ möglich gewesen wäre.

Unterm Strich bietet der vorliegende Band zwar eine anregende Lektüre, da der Mangel an theoretischem Unterbau durch die Vielzahl der angesprochenen Themenfelder, die – in sich zumeist gut strukturierten – informativen, wenn auch oftmals recht deskriptiven Beiträge und ein sorgsames Lektorat der Herausgeber ausgeglichen wird. Die Kürze der meisten Beiträge wirkt dennoch störend, und mit Sicherheit wäre es gewinnbringend gewesen, Macht und Einfluss in Südosteuropa auch jenseits der bekannten Hintergrundfolie des Osmanischen Reiches zu betrachten.

Peter Mario Kreuter, Regensburg

Zitierweise: Peter Mario Kreuter über: Power and Influence in South-Eastern Europe. 16th – 19th century. Ed. by Maria Baramova / Plamen Mitev / Ivan Parvev / Vania Racheva. Berlin, Münster, Wien: LIT, 2013. 451 S., Abb., Tab. ISBN: 978-3-643-90331-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Kreuter_Baramova_Power_and_Influence.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2017 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg and Peter Mario Kreuter. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact jahrbuecher@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.